Rabenvögel, die schwarze Gesundheitspolizei
Die Biologin Gela Preisfeld über unsere klugen, schwarzen Singvögel
Wer im Wuppertaler Naherholungsgebiet Scharpenacken spazieren geht, dem fallen besonders die vielen Krähen und Dohlen auf, die in Scharen Zäune und Wiesen belagern. Die Wuppertaler Biologin Gela Preisfeld kennt die Geschichte der sowohl verhassten als auch angebeteten, meist schwarzen Singvögel und deren Bedeutung für das Ökosystem.
Rezente Dinosaurier
„Vögel sind die rezenten Dinosaurier, sie sind die, die überlebt haben“, sagt Gela Preisfeld, Professorin für Zoologie und Didaktik der Biologie an der Bergischen Universität und zitiert zur Verdeutlichung einen Satz, der die Vögel als eine ganz besondere Wirbeltiergruppe hervorhebt: „Es gibt keinen rezenten (in der heutigen Zeit lebenden, Anm. d. Red.) Vogel ohne Federn und es gibt kein Tier, das Federn hat und kein Vogel ist.“ Evolutionsbiologisch seien sie als eine Abstammungsgemeinschaft mit den Reptilien den Menschen näher als z. B. die Amphibien. „Sie haben sich aus einer ganz bestimmten Dinosaurierlinie entwickelt, den Theropoden. Diese hatten auch schon Federn und waren auch schon gleichwarm, also homoiotherm. Vögel sind die einzige Tiergruppe neben uns Säugetieren, die gleichwarm ist. Alle anderen Tiere sind wechselwarm, können also ihre Innentemperatur nicht unabhängig von der Außentemperatur gestalten. Vögel haben wie ihre Vorfahren schon diese stärker beweglichen Arme und Hände, die gemeinsam mit der Entwicklung von Federn dazu führen, dass sie die auch als Flügel benutzen können. Die Theropoden waren zwar flugunfähig – manche konnten evtl. gleiten -, aber einige haben sich zu Vögeln weiterentwickelt. D.h. Vögel sind lebende Dinosaurier!“ Interessant in diesem Zusammenhang sei auch die Tatsache, dass Archäopteryx, der meist bekannte sogenannte Urvogel, nicht etwa riesengroß gewesen sei, sondern lediglich die Ausmaße einer Taube erreicht hätte.
Heimat der Rabenvögel
Rabenvögel kommen ursprünglich aus dichten Bewaldungen der Tropenwälder Südostasiens und haben sich heute nahezu alle Habitate (Lebensräume) erobert. „Die Trennlinie zwischen den Faunengebieten der Orientalis und der Australis ist die sogenannte Wallace-Linie (Die Wallace-Linie ist die biogeografische Linie, die die weiteste Ausbreitung australischer Fauna auf dem Malaiischen Archipel angibt, Anm. d. Red.)“ erklärt Preisfeld, „diese Trennlinie stellt ein unglaublich artenreiches Gebiet mit hoher Biodiversität dar (ein Hotspot), das sich dann aber nordöstlich und südwestlich etwas aufteilt. Östlich davon kommen die bei uns existierenden Rabenvögel außer Krähe und Rabe nicht vor, aber sonst haben sie sich bis auf Südamerika, wo die Blauraben die ökologische Nische besetzen, weltweit durchgesetzt.“
Bei den gegenwärtig lebenden Vögeln gehe die Wissenschaft von insgesamt ca. 11.000 Arten aus, berichtet die Biologin, davon seien alleine 5.000 Arten den Singvögeln zuzuordnen. „Rabenvögel gibt es ungefähr 120 bei uns. Aus der Gattung Corvus, das sind dann die Raben und Krähen, kommen davon neun vor. Das sind die Saatkrähen, Nebelkrähen und deren Bastarde, die Rabenkrähen, Alpendohlen, Dohlen, Eichelhäher, Tannenhäher, Elstern und die mit 75 cm größten Vertreter dieser Arten, die verspielten Kolkraben.“
Rabenvögel gehören zu den Singvögeln
„Die Singvögel sind eine große Gruppe innerhalb der Neognathae (Neukiefervögel) und erzeugen ihre Töne im Syrinx, dem unteren Kehlkopf“, erklärt Preisfeld. „Wir Menschen haben unsere Stimmbänder ja im Kehlkopf, bei den Vögeln liegt die Syrinx tiefer, und zwar an der Stelle, an der sich die Trachea (Luftröhre) in die Bronchialäste aufspaltet. Dort sitzen paarig rechts und links davon kleine Membranen. Wenn der Vogel einatmet und sich reckt, wird die Muskulatur angespannt und beim Ausatmen werden die Membranen dann in Schwingung versetzt und es erfolgt der Ton.“ Bis zu neun Häute haben Singvögel, die unabhängig voneinander angespannt werden könnten. Dadurch seien sie auch in der Lage, mehrstimmig zu singen. Nun würde der Laie das Krächzen und Schreien der Rabenvögel nicht unbedingt mit der Fähigkeit des Singens in Verbindung bringen, jedoch gehe es bei den Vögeln meist um die verschiedenen Rufe, die sie stimmlich hervorbringen könnten. Dazu die Biologin: „Für den Kolkraben sind ca. 80 verschiedene Rufe bekannt. In der Regel sind das Alarmrufe für die anderen. Sie haben aber auch sogenannte Subsongs, so etwas wie Unterlieder. Das ist dann mehr so etwas wie das Geplapper von kleinen Kindern. Diese Subsongs befähigen aber auch zum Nachahmen von anderen Tierlauten, Klingeltönen oder menschlichen Stimmen. Man vermutet, dass mit den Subsongs der ganze Stimmerzeugungsapparat geschult werden soll. Das machen daher vorwiegend Jungtiere. Die Rufe der Tiere sind im Gegensatz zu den Subsongs strukturiert und haben eine Bedeutung. Bei diesen schreienden Lauten, die vor Feinden warnen, spricht die Ornithologie vom ´Hassen`, und diese Fähigkeit ist bei den Rabenvögeln sehr stark ausgeprägt, d.h. sie schreien und fliegen auch gezielt in Richtung der Gefahr, können also beide Aktionen miteinander kombinieren. Das ist eine unglaubliche Intelligenzleistung.“
Tumbe Galgenvögel oder weise Orakel
In früherer Zeit sprach man bei Rabenvögeln auch gerne von Hexentieren und Galgenvögeln, die oftmals für ein böses Omen standen. Das rühre daher, dass sie erst einmal schwarz seien und damit verband man oft das Negative, erklärt Preisfeld, aber eigentlich sei der ´Galgenvogel` ganz einfach zu erklären: „Sie sind auch Aasfresser. Wenn Gehängte länger am Galgen baumelten, dann haben sie das Fleisch abgefressen. Auch in Zeiten schwerer Krankheiten haben sie das Fleisch der Toten gefressen. In früherer Zeit, wenn auf einem Schlachtfeld die Leichen lagen, kamen die Rabenvögel und fraßen die Toten auf. Damit hatten sie eine wichtige ökologische Funktion – ähnlich wie die Totengräber -, denn das machen sie ja auch dort, wo Tiere verenden.“ Auf der anderen Seite werden sie auch als weise bezeichnet und man habe früher gedacht, dass sie die Zukunft voraussagen könnten. Deswegen hätten auch Frauen, die man als Hexen bezeichnete, oftmals Raben oder Krähen dabeigehabt. „Selbst Aristoteles hat die Intelligenz der Tiere schon erkannt und darüber auch geschrieben. Wenn man in andere Kulturkreise, wie z. B. bei nordamerikanischen indigenen Menschen schaut, dann sieht man, dass sie dort als gottesähnliche Geschöpfe verehrt werden.“
Auch in Dörfern und Städten habe man sie früher gerne gehabt, weil sie ´aufgeräumt` hätten. „Heute brauchen wir das nicht mehr und empfinden sie eher als störend.“
Vorurteile sind oft überliefertes Wissen
Bis 1940 wurden Rabenvögel fast bis zur Ausrottung gejagt, stehen heute aber unter Naturschutz, was viele Bauern ärgert. „Die Bauern sind der Meinung, dass sie große Schäden beim Ackerbau sowie Ernteschäden anrichten und den Bestand von Niederwild und kleineren Vögeln stören. Ebenso besteht die Meinung, sie würden sich ungezielt und übermäßig vermehren“, sagt Preisfeld, stimmt dieser Meinung aber nur bedingt zu. Fakt ist, dass die Tiere flach auf den Boden eingebrachte Saat, Aas und auch Kleintiere fressen würden, denn das sei nun mal ihre Nahrung. „Aber von diesem ganzen Aberglauben, diesen Vorurteilen und Ängsten ist wissenschaftlich nichts erwiesen. Es gibt keine belastbaren Evidenzen für irgendeine dieser Befürchtungen. Dass man auf diese Tiere so einen Hass hat, das ist eher ein überliefertes Brauchtum.“
Elstern oder auch andere Rabenvögel stehlen zwar Eier von anderen Vögeln, aber das liege bei 1% bis 10 % ihrer Gesamtnahrung, spiele also keine große Rolle. Die Tiere, von denen sie die Eier stehlen würden, seien zudem im Bestand nicht gefährdete Tiere wie die Amsel oder die Ringeltaube. „Beim Niederwild hat man herausgefunden, dass kurz nach der Geburt natürlich auch die Nachgeburt herauskommt und die Jungtiere sich zum ersten Mal lösen. Beides ist für Rabenvögel sehr nahrhaft. Und da diese Tiere sehr schlau sind, bekommen sie das sehr schnell mit, fliegen dann dort hin und hassen dann das Neugeborene, welches dann aufsteht, so dass die Vögel sich an die Ausscheidungen machen können. Ohne Hintergrundwissen könnte man dann denken, sie wollten das Jungtier fressen.“ Es gäbe Vergleichsstudien, in denen man Habitate gewählt habe, in denen die Rabenvögel geschützt waren, also nicht geschossen werden durften und solche, wo sie geschossen werden durften. In den Schutzzonen konnte man im Vergleich mit den Jagdzonen keine übermäßige Vermehrung feststellen, die Populationsgröße sei gleichgeblieben.
Rabenvögel kommen näher an Besiedlung
„Es gibt also nicht zu viele Krähen und Raben, der Bestand ist einigermaßen stabil“, sagt die Wissenschaftlerin und erklärt, warum wir sie heute stärker wahrnehmen. „Der natürliche Lebensraum geht für die Tiere mehr und mehr verloren, sie kommen näher an unsere Besiedlungen heran, und wir präsentieren ihnen alles, was sie brauchen.“ So beleuchten wir beispielsweise gerne unsere Gärten am Abend und liefern den Tieren die Helligkeit, die sie lieben. „Zudem sorgen wir für viel Abfall, den sie fressen, wenn z. B. die Mülltonnen nicht verschlossen sind, der Kompost nicht abgedeckt ist oder Fallobst zu lange auf dem Boden liegt. Wenn man füttert, sollte man das nur für kleine Vögel zugänglich machen, das, was auf den Boden fällt, sollte man besser wegnehmen, also keine Bodenstreufütterung anbieten, das lockt die Rabenvögel an. Es gibt auch Figuren oder Modelle, die man kaufen kann, die man dann an Zäunen oder Fensterbänken anbringt, die stören sie auch. Auch Hunde und Katzen verscheuchen ungebetene Gäste aus dem Garten.“
Manchmal habe man den Eindruck einer Überpopulation, wenn man Bäume mit bis zu 1.000 Tieren erblicke, aber die schlössen sich nur in der Nacht zusammen, um stärker zu sein, eigentlich seien es einzelne Scharen, die sich in der Regel am Folgetag wieder trennten. „Ein weiterer Eindruck der Überpopulation entsteht auch bei den Elstern, weil die bis zu 10 Scheinnester bauen und oftmals nur eines benutzen.“
Rabenvögel regulieren unser Ökosystem
Rabenvögel sind ein wichtiger Bestandteil unseres Ökosystems. „Sie sind Allesfresser“, fasst Preisfeld noch einmal zusammen, „fressen also auch Schädlinge wie den Drahtwurm, den wir nicht so gerne im Garten haben, Insekten und Kleintiere und regulieren damit das Ganze. Räuber und Beute stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Dadurch werden Krankheiten relativ geringgehalten. Sie fressen alles, was tot ist, verdauen, scheiden es wieder aus und führen es dadurch wieder in den Kreislauf zurück.“
Uwe Blass
Professorin Dr. Gela Preisfeld studierte, promovierte und habilitierte an der Universität in Bielefeld. Nach kurzen Forschungsaufenthalten in Australien und einer Vertretung an der Goethe-Universität Frankfurt/Main nahm sie 2006 den Ruf auf den Lehrstuhl Biologie und ihre Didaktik, Zoologie an der Bergischen Universität an.