Promenade entlang des nördlichen Wupperufers wird Hans-Singer-Weg
Volkswirt Hans Frambach erinnert an den in Elberfeld geborenen Weltökonomen Hans Wolfgang Singer, der sich zeitlebens in seinen Forschungen mit der Bekämpfung von Armut und sozialer Benachteiligung beschäftigte
Herr Frambach, am 26. Februar 2006 starb in England der Ökonom Hans Wolfgang Singer, ein in Wuppertal geborener jüdischer Wissenschaftler, nach dem in diesen Tagen in Wuppertal ein Weg benannt wird. In Fachkreisen hochgeschätzt, ist er vielen Wuppertalern dennoch nicht bekannt. Wer war dieser Mann?
Frambach: Hans Wolfgang Singer wurde am 29.11.1910 in Elberfeld geboren und starb am 26.02.2006 in Brighton. Sein Vater Heinrich war ein in Elberfeld angesehener Arzt und Apotheker. Hans Singer studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn u.a. bei Joseph Schumpeter und Arthur Spiethoff, emigrierte nach der Machtübernahme der Nazis 1933 über die Türkei nach England. Auf Vermittlung von Schumpeter erhielt er ein Stipendiat an der Cambridge University, wo er 1936 zum Thema „Materials for the Study of Urban Ground Rent“ im unmittelbaren Umfeld von John Maynard Keynes (britischer Ökonom) promovierte. Von 1936 bis 1938 wirkte er an einer umfänglichen Pionierstudie über Arbeitslosigkeit in Großbritannien mit. Die aus dieser Studie gezogenen Lehren und Erfahrungen sollten großen Einfluss auf seinen weiteren wissenschaftlichen Werdegang ausüben. Mit Kriegsbeginn wurde Singer, wie alle deutschen Immigranten, interniert, kam jedoch bereits nach sechs Wochen auf persönliche Intervention von John Maynard Keynes und Erzbischof William Temple frei. Er arbeitete in den folgenden Jahren als Dozent an der Universität Manchester, nach Kriegsende auch kurz im „Ministry of Town and Country Planning“ und anschließend an der University of Glasgow. 1947 wechselte Hans Singer zu den Vereinten Nationen nach New York, um dort zunächst beim Aufbau der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten zu helfen. Aus einer zunächst zweijährigen Vereinbarung wurden 22 Jahre, in denen Singer die UN federführend vertrat. Neben dieser seiner Haupttätigkeit unterrichtete er noch als Gastprofessor abendlich an der New York School for Social Research. 1969 verließ Hans Singer die UN, um als Professorial Fellow am 1966 gegründeten Institut of Development Studies (IDS) an der Universität von Sussex in Brighton zu wirken. Dort erfolgte 1975 auch seine Ernennung zum ordentlichen Professor. Nach seiner Emeritierung im Jahr 1985 blieb Singer dem Institut Zeit seines Lebens verbunden, was eindrücklich die 97 Bücher und Berichte sowie 61 weitere Berichte für die UN und 176 Aufsätze belegen, die er dort veröffentlichte.
Singer hatte 1934 seine Verlobte Ilse Lina Praut auf dem Weg von Istanbul nach Cambridge in Hildesheim geheiratet. Die Ehe, aus der zwei Söhne hervorgingen, sollte 67 lang, bis zum Tod von Ilse Lina am 13.03.2001 bestehen.
Am heutigen Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium machte er sein Abitur und wanderte bereits 1933 im Alter von 22 Jahren aus.
Frambach: Ja, Hans Singer machte 1929 am damaligen Humanistischen Gymnasium Elberfeld, dem heutigen Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium, sein Abitur und begann auf Drängen des Vaters ein Medizinstudium an der Universität Bonn. Bereits im zweiten Semester wechselte er, angeregt durch Hinweise auf die Vorlesungen Joseph A. Schumpeters, zum Studium der Volkswirtschaftslehre, das er 1931 mit der Diplomprüfung abschloss. Im Anschluss beabsichtigte er über städtischen Wohnungsbau und Grundstückspreise zu promovieren. Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 änderten sich jedoch die Lebensbedingungen für Juden in dramatischer Weise. Singers seit dem I. Weltkrieg kriegsversehrter Vater Heinrich wurde in einem dubiosen Gerichtsverfahren, das vom 18.-20. Juli 1933 in Elberfeld stattfand, zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt und starb am 17.12.1933 in der Haftanstalt Münster. Hans Singer emigrierte noch im Sommer 1933 über die Schweiz in die Türkei. Er sollte aber im März 1934 die Türkei verlassen und in Cambridge (England) ein Stipendium wahrnehmen.
Singer hat zeitlebens versucht, seinen Vater zu rehabilitieren. Ist ihm das gelungen?
Frambach: Von 1949 bis 1966 hatten Hans Wolfgang Singer und sein Bruder Walter verschiedene Versuche einer juristischen Rehabilitierung des Vaters unternommen. Wenngleich vor Gericht kleine Teilerfolge erzielt werden konnten, blieb eine vollständige Rehabilitierung aus. Als wohl gewichtigste Hinderungsgründe können das fast vollständige Verschwinden der Justizakte und der zwischenzeitliche Tod des Hauptbelastungszeugen genannt werden. Viele Informationen haben sich nur mühsam aus z.B. Aktenfragmenten der Staatsanwaltschaft, Zeugenvernehmungen und anderen Quellen rekonstruieren lassen. Aus dem Briefwechsel zwischen Hans Singer und dem 2012 verstorbenen Wuppertaler Historiker, Schulleiter und Stadtverordneten Ulrich Föhse aus den 1980er Jahren wissen wir von Hans Singers Enttäuschung über eine ausgebliebene zumindest politische und moralische Rehabilitation, die er angesichts seines Besuchs in Wuppertal im Jahr 1983 erwartet hatte. Die gute Nachricht: Zum Anlass der Einweihung des Hans-Singer-Weges am 21.08.2024 hat sich die Stadtspitze unter der Leitung von OB Schneidewind dazu entschlossen, diesen längst überfälligen Akt der Rehabilitierung vorzunehmen.
Singer wollte zunächst in Bonn Medizin studieren, kam dort aber mit dem österreichischen Nationalökonomen Prof. Joseph Schumpeter in Kontakt, nach dem an der Bergischen Universität die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft benannt ist. Diese Begegnung änderte seinen Werdegang nachhaltig. Wie?
Frambach: Singers Interesse an der Medizin war wohl nie sonderlich ausgeprägt gewesen. Er begann das Medizinstudium auf Wunsch seines Vaters, vielleicht auch vor dem Hintergrund, einmal die väterliche Praxis übernehmen zu können. Auch zeichnete Hans Singer stets ein sehr starkes Interesse an den großen gesellschaftlichen Fragen aus. Joseph Schumpeters Vorlesungen und seine mitreißende Art der Wissensvermittlung waren zu seiner Zeit an der Universität Bonn nicht nur fakultätsübergreifend, sondern auch weit über den Bonner Raum bekannt. Singer zeigte sich sofort begeistert, brach sein Medizinstudium gleich nach dem ersten Semester ab und wechselte zum Studium der Volkswirtschaftslehre.
1947 boten ihm die neugegründeten Vereinten Nationen eine Stelle für Entwicklungsplanung an. Dabei spielte die sogenannte ´Prebisch-Singer-These` eine entscheidende Rolle. Worum geht es dabei?
Frambach: Singer hatte ja von 1936-38 an der großen Arbeitslosigkeitsstudie in Großbritannien mitgewirkt und gemeinsam mit Walter Oakeshott und David Owen den Endbericht verfasst, der unter dem Titel „Men without Work“ erschien. David Owen war bei den Vereinten Nationen zum Leiter der Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten ernannt worden, zu deren Aufbau er auf die Unterstützung von Hans Singer hoffte, der das Angebot auch prompt annahm.
Durch die Beschäftigung mit den Problemen von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Benachteiligung war Singers Blick in besonderer Weise für die Probleme von Menschen geschärft, denen es am Notwendigen für das tägliche Überleben fehlte, und die auch damals in den Industrienationen, aber in noch größerer Zahl in den wirtschaftlich wenig entwickelten Ländern vorhanden waren. Ihnen galt Singers ganze Aufmerksamkeit, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass die Probleme der wirtschaftlich wenig entwickelten Länder in den Standardmodellen der ökonomischen Theorie kaum Berücksichtigung fanden. Singer begann, den Ursachen einer sich immer ungleicher gestaltenden Verteilung der Einkommen und Vermögen auf dieser Welt nachzuspüren. So konstatierte er in mehreren Veröffentlichungen bereits Ende der 1940er Jahre für einen schrumpfenden Anteil der Weltbevölkerung einen raschen Anstieg des Lebensstandards, während jener einer wachsenden Weltbevölkerungsmehrheit sehr viel langsamer gestiegen oder sogar konstant geblieben war. Singer hatte beobachtet, dass die zunehmende Ungleichheit des Welteinkommens zumindest teilweise auf eine wichtige strukturelle Veränderung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zurückzuführen sei, nämlich auf die Veränderung der Preisrelationen zwischen Rohstoffen und Industriegütern. Als besonders auffallend zeigte er in einer für die Vereinten Nationen durchgeführten Untersuchung die Entwicklung massiv gefallener Rohstoffpreise über große Zeiträume (vor dem II. Weltkrieg), während in den Industriestaaten die Preise der Industriegüter gleichgeblieben und gestiegene Löhne sowie die Geldpreise der Produktionsfaktoren durch Effizienzsteigerungen mehr als kompensiert worden sind. Weiterhin, so seine Beobachtungen, seien in den Entwicklungsländern Effizienzsteigerungen bei der Produktion von Rohstoffen lediglich durch größere Mengen an Industriegütern getauscht, nicht aber etwa durch höhere Preise ausgedrückt worden. Die Austauschverhältnisse zwischen den Exporten der Entwicklungsländer (landwirtschaftliche Güter) und denen der entwickelten Staaten (Industriegüter) hätten sich im Zeitablauf systematisch zum Nachteil der ersteren verändert, so seine These (während die Preise für landwirtschaftlichen Güter konstant bleiben, müssen die Entwicklungsländer für die Industriegüter aus den entwickelten Staaten relativ immer mehr bezahlen). Kurz gesagt, die Bedingungen für die rohstoffexportierenden (unterentwickelten) Länder verschlechtern sich, während sich die der reichen Industrieländer verbessern. Unabhängig von Singer hatte der lateinamerikanische Ökonom Raúl Prebisch ähnliche Entdeckungen gemacht. Die Singer-Prebisch These war entstanden, mit der eine strukturelle Tendenz der Verschlechterung der Terms of trade für die Entwicklungsländer erkannt wurde. Aus ihr wurde nun (zumindest für Daten bis zum Beginn der II. Weltkriegs) eine Politik abgeleitet, Entwicklungsländer beim Aufbau einer eigenen Industrie zu unterstützen und den Import von Industriegütern aus den entwickelten Ländern mithilfe von Schutzzöllen zu verhindern (Importsubstitutionsstrategie). Diese Argumentation widersprach der klassischen Lehrbuchauffassung, die stets von steigenden Rohstoff- und sinkenden Industriegüterpreisen ausgegangen war.
1969 übernahm er schließlich eine Professur an der University of Sussex. Singer war sogar einmal hier an der Bergischen Universität, oder?
Frambach: Ja, das war im Jahr 1983. Der 1996 verstorbene Prof. Dr. Bernd Biervert, Volkswirt an der Universität Wuppertal, war Singer zuvor auf einer Konferenz begegnet und hatte ihn zu einem Vortrag an die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft eingeladen. Mir selbst hatte Bernd Biervert Anfang der 1990er einige Male von dem Treffen erzählt, dem bewegenden Vortrag Singers vor Studierenden und von der Besichtigung der Orte seiner Kindheit und Jugend.
Singer wurde durch die Queen in den Adelsstand erhoben und erhielt Ehrendoktorwürden von sieben Universitäten. Seit 2004 war er auch Ehrenbürger der Universität Freiburg. Zeitlebens lagen ihm die Probleme der Entwicklungsländer und der Rückgang der Handelsbeziehungen mit den Industrienationen am Herzen. Auf seine empfohlenen Maßnahmen hörte die Welt trotzdem lange nicht, oder?
Frambach: Hans Singer wurde 1994 von Queen Elisabeth II in den Adelsstand erhoben. Im Laufe der Jahre erhielt er sieben Ehrendoktortitel, 2004 von der Universität Freiburg. Im Mittelpunkt seiner Forschungen stand immer die Bekämpfung von Armut und sozialer Benachteiligung. Singer vertrat dabei eindeutige Positionen, die auf Veränderung abzielten und damit natürlich vielerlei Widerstände erzeugten. Bereits nach dem Ende des II. Weltkriegs setzte sich Singer stark für das neue, durch Steuermittel finanzierte Sozialversicherungssystem, das sog. Beveridge-System, ein, und argumentierte zu dessen Umsetzung ganz in Keynesianischer Manier für eine massive Staatsverschuldung. Überhaupt war er ein überzeugter Verfechter einer keynesianischen Nachfragepolitik zur Erzeugung von Wirtschaftswachstum und letztlich zum Abbau von Arbeitslosigkeit. Mit der bereits angesprochenen Prebisch-Singer-These stellte er sich gegen die Auffassung der orthodoxen Lehrmeinungen und rief damit den Widerstand berühmter Verfechter der These des freien Welthandels hervor. Ein wissenschaftlicher Disput über die Angemessenheit theoretischer Grundpositionen und deren empirischer Relevanz entbrannte und sollte über Jahrzehnte anhalten. Es ist hier nicht der Rahmen, um darauf einzugehen. Vielleicht aber nur so viel: Hans Singer ist bei der ganzen Diskussion als Pionier und Mitgestalter der Entwicklungsökonomik hervorgetreten, der mit seinen Arbeiten über Jahrzehnte hinweg auch die Entwicklungspolitik der Vereinten Nationen maßgeblich mitbeeinflusst hatte. Dabei berücksichtigte er stets die Änderungen der Rahmenbedingungen und passte seine Erkenntnisse den Veränderungen an. Insofern kann gesagt werden, dass er die „Geschicke der Welt“ und der Entwicklungsökonomie im Besonderen im Rahmen seiner Möglichkeiten und Handlungsfelder durchaus mitbeeinflusst hat.
Sein Wunsch nach Krediten für Entwicklungsländer wurde viele Jahre durch den Präsidenten der Weltbank, Eugene Black, der Singer auch gerne als einen der ´wilden Männer der UN` bezeichnete, abgelehnt. Warum?
Frambach: Dabei geht es wohl um eine Geschichte aus den 1950er Jahren. Hans Singer war entscheidend bei der Ausgestaltung und Benennung eines internationalen Sonderfonds für Hilfszuschüsse und zinsgünstige, langfristige Darlehen beteiligt, der den Namen "Sonderfonds der Vereinten Nationen für wirtschaftliche Entwicklung" (SUNFED) erhielt. Die Beiträge für diesen Fonds sollten freiwillig sein und von den Regierungen entsprechend eigener Einschätzung und Fähigkeit erfolgen. Allerdings sollte der Fonds erst starten, wenn mindestens 30 Regierungen ihre Zusage erteilt hatten und ein Mindestvolumen von 250 Millionen US-Dollar gesichert war. Eine Schlüsselposition bei der Konstruktion des Fonds kam der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD), also der Weltbank zu, deren Präsident von 1949-1962 Eugene Black war. Singer schlug zur Einrichtung des Fonds einen Katalog messbarer Kriterien für die Zuteilung von Geldern an die unterentwickelten Länder vor, was bei der Weltbank jedoch die Befürchtung eines mehr oder minder automatischen Bezuschussungssystems auslöste, das u.a. einen, aus deren Sicht, gesunden Mix aus Zuschüssen und Darlehen unterlaufe. In den folgenden Jahren aber änderte sich die politische Einstellung und Singer wurde beauftragt, Argumente für die Einrichtung des Sonderfonds ausführlich darzulegen, die für die Gewährung der Zuschüsse und zinsgünstigen Darlehen u.a. Faktoren berücksichtigen sollte wie die wirtschaftliche Lage der einzelnen Empfängerländer, einschließlich deren Armutsgrade und konkrete Finanzierungsprobleme. Auch die weiteren Vorschläge wurden von Black abgelehnt. Singer schlug als Kompromissoption sogar vor, SUNFED weniger als einen eigenen Mechanismus, sondern eher als ein "internationales Konsultations- und Vereinbarungssystem zur Gewährung von weichen Hilfen“ zu begreifen und Finanzunterstützungen für unterentwickelte Länder auf bilateraler und multilateraler Ebene, aber nicht durch internationale Organisationen umzusetzen. Letztlich bestand das Problem darin, dass die Weltbank SUNFED vollständig verwalten wollte, aber nicht bereit war auf dazu erforderliche Verpflichtungen einzugehen. Singer betonte die Gefahr, dass bei vollständiger Integration des Fonds in die IBRD, sich bereits gewonnene Unterstützer zurückziehen könnten. Eine Lösung wurde gefunden, indem der Sonderfonds für einen befristen Zeitraum (fünf Jahre) eingerichtet und vor dem Hintergrund der dann gewonnenen Erfahrungen, die Ergebnisse neu bewertet werden sollten. Mit der Erweiterung der Weltbankgruppe um die Internationale Finanz-Corporation (IFC) 1956 und die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA) 1960 schließlich gaben US-Regierung und Weltbank ihren Widerstand gegen eine Fazilität für weiche Finanzierungen für unterentwickelte Länder auf. Wenngleich SUNFED an Bedeutung verlieren sollte, waren doch die von ihm ausgehenden Bemühungen entscheidend für den Aufbau der IDA und der IFC.
Singer prägte viele der Ideen, die der Nahrungsmittelhilfe und der Gründung des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen im Jahr 1963 zugrunde lagen. Welche z. B.?
Frambach: Hans Wolfgang Singer war in vielen Organisationen der Vereinten Nationen tätig und vertrat diese meist federführend. Um nur einige Beispiele zu nennen: dem UN Department of Economic and Social Affairs, der UN Industrial Development Organization, der UN International Children’s Emergency Fund, dem UN World Food Programe, der UN Economic Commission for Africa, der International Labour Organization und Asian Development Bank. Sehr bekannt wurde etwa die im Auftrag der Internationalen Arbeitsorganisation durchgeführte Mission to Kenya, die Hans Singer gemeinsam mit Richard Jolly Anfang der 1970er Jahre leitete. Auf diese Studie gehen die Grundzüge des sogenannten „redistribution from growth“-Ansatzes, also Umverteilung durch Wachstum, zurück, wobei Singer dabei auch die Berücksichtigung des informellen Sektors, vor allem aber die Beseitigung unter dem Existenzminimum liegender Löhne als zentral erachtete. Nicht zuletzt liegen in dieser Studie die Wurzeln des späteren „basic needs“-Ansatz der Internationalen Arbeitsorganisation.
Zeitgenossen sagen über ihn, dass er seine außergewöhnliche Herzlichkeit, seine sanfte Art und sein menschliches Anliegen sein ganzes Leben lang bewahrte. Aber so richtig aussöhnen konnte er sich aufgrund seiner Biografie mit Deutschland nicht, oder?
Frambach: Über seine Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit und sein bescheidenes Auftreten ist in der Tat viel berichtet worden – das ist ein Faktum. Zurückhaltender bin ich bezüglich des Punktes einer wirklichen Aussöhnung mit Deutschland, die wohl nicht endgültig erfolgt ist. Zunächst musste Singer als Jude in der Nazizeit aus Deutschland emigrieren, sein Vater starb unter mysteriösen Umständen im Zuchthaus. Während des II. Weltkriegs beschäftigte Singer sich intensiv mit der deutschen Kriegswirtschaft und veröffentlichte dazu allein zwölf Artikel im von John Maynard Keynes herausgegebenen „Economic Journal“. Aus seiner Familie wurde berichtet, dass man nach der Emigration in der Familie nicht mehr deutsch gesprochen habe. Bei seinem einmaligen Besuch in Wuppertal 1983 wurden seine Erwartungen hinsichtlich einer zumindest politischen und moralischen Rehabilitation seines Vaters Heinrich Singer enttäuscht. Seine Besuche aber zu einem Kongress Anfang der 1990er Jahre an der Universität Hohenheim, Stuttgart und die Verleihung der Ehrendoktorwürde 2004 aus Anlass des sechzigsten Jahrestages des 20. Juli 1944, gemeinsam mit Albert O. Hirschmann, durch die Wirtschafts- und verhaltenswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg waren schon Ereignisse, die ihn sicherlich sehr gefreut und bestimmt auch ein Stück weit mit Deutschland versöhnt haben.
Singer starb hochbetagt mit 95 Jahren in England. Die Stadt Wuppertal benennt nun in Elberfeld einen Weg nach ihm und Sie, Herr Frambach, werden auch dort eine Rede halten. Wie werden Sie an ihn erinnern?
Frambach: Es werden ganz gewiss einige Personen an Hans Wolfgang Singer erinnern. Als Mitglied der Schumpeter School of Business and Economics, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal werde ich über seinen Weg als Entwicklungsökonom und seine großen Leistungen auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre berichten.
Wo kann man den Hans-Singer-Weg in Zukunft finden?
Frambach: Natürlich in Elberfeld, und zwar ist es der Fußweg entlang der Wupper zwischen Moritzstraße und Robert-Daum-Platz. Selbstverständlich werden auch ein Straßenschild und eine Gedenktafel angebracht.
Uwe Blass
Prof. Dr. Hans Frambach leitet den Arbeitsbereich Mikroökonomie und Geschichte des ökonomischen Denkens in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft, Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität.