Flora Klee-Palyi – eine fast vergessene Künstlerin aus Wuppertal
Gastprofessorin Agathe Mareuge forscht zu Leben und Werk der in Wuppertal beheimateten ungarischen Illustratorin, Übersetzerin und Herausgeberin französischer Dichtung
Über dreißig Jahre lebte sie in einer Villa in der Boltenbergstraße in Wuppertal Sonnborn. Viele Künstler verkehrten bei ihr, mit manchen arbeitete sie zusammen und sie engagierte sich kulturell und sozial im Wuppertal der Zwanziger bis Fünfziger Jahre: Flora Klee-Palyi. Und doch ist der Name vielen Bürger*innen im Tal gänzlich unbekannt. Dr. Agathe Mareuge, erste Maurice-Halbwachs-Gastprofessorin an der Bergischen Universität, will daran nun endlich etwas ändern. Seit September 2023 lehrt und forscht die ambitionierte Französin im Tal zu Leben und Werk dieser faszinierenden Frau. Auf ihre Anregung hin hat die Unibibliothek durch den Ankauf einer Sammlung von Gedichtbänden mittlerweile den Bestand der Arbeiten Klee-Palyi`s zu den bereits im Stadtarchiv vorliegenden Dokumenten erweitert.
Alles begann in Ungarn
1883 wurde Flora Palyi im ungarischen Budapest geboren. Sie stammte aus einer gutbürgerlichen jüdischen Familie und studierte in jungen Jahren in der französischsprechenden Schweiz in Genf und Lausanne, berichtet Mareuge. „Dann kam sie nach München. München in den 20er Jahren war natürlich ein wichtiger Ort für die Kulturszene. Dort hatte sie mit ihrer Ausbildung als Grafikerin und Buchgestalterin auch ihre allererste Ausstellung und lernte ihren späteren Mann, Philipp Klee, kennen. 1927 bekam dieser eine Stelle als Chefarzt im damaligen Ferdinand Sauerbruch Klinikum in Elberfeld. So kamen beide nach Wuppertal.“
Internationale Kontakte und erste Ausstellung in Wuppertal
„Ich interessiere mich für ihr vielfältiges Werk“, sagt Mareuge, „aber auch ihr Leben ist faszinierend. Allein schon, wie sie in der damaligen Zeit zwischen den Ländern hin und hergereist ist. Sie war oft in Paris, sehr gut vernetzt und sie kannte viele Künstler.“ Bis zu ihrem Tod habe sie alle Aktivitäten weitergeführt, habe Bücher gestaltet, Linolschnitte angefertigt, Übersetzungen vorgenommen und Essays geschrieben. „Sie war sehr vielseitig und hat nie auf einen Aspekt verzichtet.“ Eine erste Ausstellung in Wuppertal konnte Klee-Palyi schon 1930 realisieren. „Damals gab es das Von der Heydt-Museum, wie wir es heute kennen, noch nicht, aber im Kupferstichkabinett des Elberfelder Museums, später in der Kunststube Leithäuser im Turmhof und danach noch im Wuppertaler Kunst- und Museumsverein hat sie damals ausgestellt“, berichtet die Wissenschaftlerin.
Deportation nach Theresienstadt
Im Leben der interessanten Illustratorin gab es aber auch eine traurige, schwere Phase. Gesundheitlich angeschlagen, überlebte die in einer sogenannten "Mischehe" verheiratete Jüdin den Holocaust nur knapp. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 konnten sowohl sie, als auch ihr Mann, nicht mehr frei arbeiten. „Allein die Tatsache, dass Phillip Klee nicht jüdisch war, hat sie wahrscheinlich gerettet“, mutmaßt Mareuge, denn zumindest gehörte sie nicht zu den meisten Wuppertaler Jüdinnen und Juden, die 1941/42 direkt nach Auschwitz deportiert wurden. „1944 kommt sie zunächst in ein Arbeitslager bei Halle, wird dann noch einmal in ein anderes Arbeitslager verlegt und im Februar 1945 nach Theresienstadt gebracht.“ Dort erlebt sie das Ende des Krieges und kehrt dann aber im Juni 1945 wieder nach Wuppertal zurück. „Im Stadtarchiv Wuppertal gibt es eine kleine Sammlung von und zu Flora Klee-Palyi“, erzählt Mareuge, „das ist dem ehemaligen Leiter des Stadtarchivs, Herrn Eckardt, zu verdanken. Da befindet sich auch die Wiedergutmachungsakte. Darin heißt es, dass sie sofort nach dem Krieg als ´Opfer des Nationalsozialismus` anerkannt wurde, aber einen Anspruch auf eine Rente erhielt sie dennoch erst einmal nicht, obwohl Arztberichte ihren Krankenstatus durch die Arbeitslager bestätigten.“ Ihre Gesundheit hatte sich sehr verschlechtert. Erst zehn Jahre später bekam sie Anspruch auf eine kleine Rente.
Die Einheit von Wort und Bild
Flora Klee-Palyi arbeitete aber auch nach dem Krieg weiter. Sowohl sprachlich als auch künstlerisch bleibt sie vielseitig. „Was bei ihrer Arbeit so interessant ist, ist die Buchgestaltung. Für sie waren Wort und Bild eine Einheit“, beschreibt Mareuge das Werk der Künstlerin. Das komme in der buchgestalterischen Arbeit besonders gut zum Ausdruck, weil da ihre Bilder zu sehen seien. „Das sind meist Linolschnitte, die viele Möglichkeiten boten. Einige Linolplatten sind sogar noch im Stadtarchiv erhalten.“ Nach dem Krieg veränderte sich ihr Stil: „In der Vatikanbibliothek in Rom hatte sie die sogenannte Initialkunst aus dem Mittelalter studiert. Das sind die verschnörkelten großen ersten Buchstaben in den alten Texten. In ihren Arbeiten hat sie vor dem Krieg figurativ gearbeitet, also Illustrationen für große Verlage in München erstellt. Nach dem Krieg, ausgehend von dieser Initialkunst, befreite sie sich von der Figuration und arbeitete abstrakt. Damit sich Wort und Bild überdecken konnten, probierte sie alles Mögliche aus. Dadurch entstanden ca. 50 Gedichtbände, die sie selbst illustriert und herausgebracht hat. Die wurden teilweise in den grafischen Werkstätten der damaligen Werkkunstschule in Wuppertal gedruckt.“ Spätere Werke entstanden dann auch in einem anderen Verlag. „Das ist wirklich abstrakte Kunst, entspricht also der Entwicklung der abstrakten Kunst in den 50er Jahren“, beschreibt die Wissenschaftlerin diese Gedichtbände.
Klee-Palyi gibt Anthologien heraus
Wolle man Flora Klee-Palyi auf die Gestaltung von Büchern reduzieren, würde man der vielseitigen Künstlerin jedoch nicht gerecht, denn sie hat auch als Herausgeberin von Anthologien (Eine Anthologie ist eine Sammlung ausgewählter Texte oder Textauszüge in Buchform, Anm. d. Red.) gearbeitet. „Das war jedes Mal ein riesiger Aufwand, und da merkt man auch, wie gut sie vernetzt war“, erklärt Mareuge. „Sie hat zwei wichtige Anthologien herausgebracht. Zunächst eine Anthologie französischer Dichtung im Selbstverlag unter FKP für Flora Klee-Palyi. Dann konnte sie den Limes-Verlag in Wiesbaden gewinnen und veröffentlichte die Anthologie noch einmal in einer Neuauflage 1958. Im gleichen Jahr wird auch eine weitere Anthologie deutscher Frauendichtung in Paris veröffentlicht.“ Das Besondere dabei: Beide Anthologien erschienen zweisprachig. Sie habe sogar selber einige der Übersetzungen sowohl französisch/deutsch, als auch deutsch/französisch übernommen, obwohl beide Sprachen keine Muttersprachen waren.
Künstlertreffen in der Boltenbergstraße
Nachdem Flora Klee-Palyi 1945 nach Wuppertal zurückgekehrt war, pflegten sie und ihr Mann das künstlerische Leben in Wuppertal und veranstalteten in Ihrer Villa viele Künstlertreffen. „Es ist sehr schwierig, das zu rekonstruieren“, sagt Mareuge, „denn die beiden hatten keine Kinder und auch keine Erben. Es gibt einfach keinen Nachlass. Man muss es aufgrund der Briefe, die noch in verschiedenen Archiven existieren, versuchen zu rekonstruieren.“ Sicher sei jedoch, dass es Treffen mit Schriftstellern und Dichtern in kleinen Kreisen in der Boltenbergstraße in Wuppertal-Sonnborn gegeben habe. „Es gibt einen schönen Brief von Flora Klee-Palyi an Hans Arp (Hans Arp -1886 – 1966- war ein deutsch-französischer Maler, Grafiker, Bildhauer und Lyriker, Anm. d. Red.), der damals vorwiegend bei Paris lebte. Sie lädt ihn nach Wuppertal ein und schreibt dazu: ´Wir haben ein Gästezimmer`.“ Auch sozial engagierte sich Klee-Palyi. „Sie hat auch Frauen, die mit ihr deportiert wurden, bei sich aufgenommen und in der Nachkriegszeit unterstützt. Auch Sinti und Roma, die damals unter schlimmen Bedingungen lebten.“
Deutsch-französische Entwicklung der Literatur
Ein besonderes Anliegen ihrer späteren Tätigkeit war der Austausch französischer und deutscher Literatur. Ihr Ansatz bei ihren Veröffentlichungen war die Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung beider Kulturen in der Literatur. „In den Anthologien und den Essays, die sie veröffentlicht hat, zeigt sie deutlich, wie, ausgehend vom französischen Symbolismus, also von Nerval, Mallarmé, Baudelaire und Rimbaud, die moderne Poesie in Deutschland von der französischen beeinflusst wurde und auch umgekehrt“, erklärt Mareuge. Es sei eine gegenseitige Rezeption von deutscher Literatur in Frankreich und andersherum gewesen. So ließen sich auch die Surrealisten von den deutschen Romantikern beeinflussen. Flora Klee-Palyi komme so von den französischen Symbolisten bis zu den europäischen Avantgarden, also Dada und Surrealismus. Darüber hinaus zeige sie auch deren Weg und die Entwicklung des Schreibens in der Nachkriegszeit und engagiere sich für die Gegenwartsdichtung, um den Lesern einen Zugang dazu zu verschaffen. „Dieses deutsch-französische Engagement in der Nachkriegszeit war auch von politischer Bedeutung.“ Für ihre Arbeiten erhielt sie 1956 den Eduard von der Heydt-Preis der Stadt Wuppertal.
Universitätsbibliothek erwirbt Sammlung von Gedichtbänden
„Die meisten Arbeiten von Flora Klee-Palyi sind in Wuppertal zu finden“, sagt Agathe Mareuge. Im Ausland sei es sehr schwierig, da sie meist nur in kleinen Auflagen veröffentlicht habe, und die befänden sich weitestgehend in Privatbesitz. „Im Von der Heydt-Museum werden ein paar grafische Arbeiten von ihr aufbewahrt, Linolschnitte aus den 30er Jahren, tatsächlich sogar mit einer Widmung an die Frau Baronin von der Heydt aus dem Jahr 1934. Ein paar weitere Arbeiten gibt es im Stadtarchiv, im Archiv der Bergischen Universität sind drei Bände aufbewahrt, und mehrere Gedichtbändchen befinden sich auch in der Stadtbibliothek in Elberfeld“, fasst Mareuge den bekannten Bestand zusammen. Durch ihre eifrige Recherche konnte die französische Wissenschaftlerin allerdings eine Sammlung ausfindig machen, die die Universität nun erworben hat. „Dabei sind 40 Gedichtbände mit ihren Illustrationen und auch originale Aquarellzeichnungen für ein sehr schönes Buch von Guillaume Apollinaire mit dem Titel „Bestiarium“, in der Übersetzung von Karl Krolow, mit dem sie eng zusammenarbeitet hat.“
Ausstellung zu Leben und Werk in der Unibibliothek
Agathe Mareuge möchte die fast vergessene Künstlerin Flora Klee-Palyi wieder ins Bewusstsein der Wuppertaler Bevölkerung rücken. Mit der jüngst angekauften Sammlung und den im Wuppertaler Stadtarchiv sowie im Von der Heydt-Museum befindlichen Exponaten bereitet die engagierte Wissenschaftlerin zusammen mit ihren Student*innen eine Ausstellung zu Leben und Werk der Künstlerin vor. „Den Kern der Ausstellung bildet die neuerworbene Sammlung“, schwärmt sie, „das ist wirklich ein Schatz. Dadurch kann man auch rekonstruieren, mit welchen Typographen und Dichtern sie zusammengearbeitet hat, denn das Netzwerk ist auch durch die Widmungen sichtbar. Es sind großformatige Werke mit Linolschnitten dabei und es gibt diese original Aquarellzeichnungen. Andere Bände mit einer Folge von Zeichnungen haben keinen Titel. Das müssen wir noch eruieren.“ Die Unibibliothek stellt dazu neun Vitrinen zur Verfügung, damit diese fragilen Gedichtbände gezeigt werden können. Leihgaben vom Stadtarchiv und dem Von der Heydt-Museum runden die Ausstellungsexponate ab. Von Studierenden angefertigte Plakate informieren zudem über Leben und Werk.
„Ich finde, Flora Klee-Palyi muss erinnert werden“, erklärt Mareuge abschließend, „und mir war wichtig, dass die Vielfältigkeit ihrer Arbeit gezeigt wird. Ich glaube, ein Grund, warum sie und auch viele andere Künstlerinnen in Vergessenheit geraten sind, ist die Tatsache, dass Ihre Arbeit so schwer zu kategorisieren ist. Für sie war das alles eins, Dichtung und Kunst waren eins.“
Uwe Blass
Dr. Agathe Mareuge ist Dozentin in Germanistik und Kulturvermittlung an der Sorbonne Universität in Paris und diesjährige Maurice-Halbwachs-Gastprofessorin. Die Maurice-Halbwachs-Gastprofessur ist interdisziplinär und interkulturell konzipiert und soll das Frankreich-Engagement der Universität Wuppertal sichtbar machen sowie den deutsch-französischen Forschungstransfer und Kulturaustausch fördern.