Die geheimnisvolle Bilderwelt wissenschaftlicher Instrumente
Prof. Dr. Volker Remmert und Dr. Julia Ellinghaus forschen an wissenschaftlichen Instrumenten der frühen Neuzeit
So faszinierende Namen wie Astrolabium oder Torquetum bezeichnen wissenschaftliche Instrumente der frühen Neuzeit. Mit ihrer Funktion haben sich Wissenschaftler in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder beschäftigt. Bisher weitestgehend unbeachtet blieben dabei ihre aufwändig gestalteten, meist filigranen Bilder, welche ihre Rückseiten oder ihren Korpus schmücken. Dr. Julia Ellinghaus und Prof. Dr. Volker Remmert aus dem Bereich der Wissenschafts- und Technikgeschichte der Bergischen Universität beschäftigen sich in einem von der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) geförderten Projekt mit dieser geheimnisvollen Bilderwelt auf wissenschaftlichen Instrumenten des 16. und 17. Jahrhunderts.
Ein Museumsbesuch mit Folgen
Die Idee dazu hatte Volker Remmert, nachdem er den Dresdner Zwinger mit seiner Sammlung historischer Instrumente besucht hatte und beim Betrachten eines Astrolabiums (Ein Astrolabium ist ein scheibenförmiges astronomisches Rechen- und Messinstrument. Anm. d. Red.) feststellte, dass das aufwändig gefertigte, mechanische Gerät auch eine interessante Rückseite bot, mit der sich bisher die Wissenschaft nicht so recht beschäftigt hatte. „Man guckt ja immer die Vorderseite an, mit den Skalen und Zahlen für den Gebrauch, aber hinten ist immer noch Platz für etwas Anderes. Weil es leider schlecht ausgestellt war, habe ich mir ein Foto schicken lassen und festgestellt, da waren Atlas und Herkules drauf.“ Der Wissenschaftler dachte sofort an die Legende, die besagt, dass Atlas der erste Lehrer der Astronomie war und Herkules sein erster Schüler, der dem Lehrmeister die Weltkugel abnimmt. „Da sieht man plötzlich, dass diese Instrumente etwas zeigen, was für die technische Bedienung eigentlich gar nicht gebraucht wird“, sagt er. Bei der weiteren Recherche stellte er dann fest, dass sich noch niemand systematisch mit diesen Bilderwelten – die häufig graviert, aber auch mal gemalt oder in einer anderen Technik aufgetragen sind – auseinandergesetzt hat. „In den älteren Ausstellungskatalogen ist da immer die funktionale Vorderseite und von der Rückseite gibt es kein Foto, weil die Sammlungsmacher und Kuratoren es nicht so sehr interessiert hat.“
Um dies zu ändern, suchte der Wissenschaftler nach Kooperationspartnern, die er in der Zusammenarbeit mit dem Mathematisch-Physikalischen Salon in Dresden, dem Astronomisch-Physikalischen Kabinett in Kassel und dem History of Science Museum in Oxford fand. Zusammen bereitete man den Antrag für die Deutsche Forschungsgemeinschaft vor. Von der anfänglichen Idee einer Kabinettausstellung trennte sich das Team schnell wieder und auch Reisen, um Exponate vor Ort zu begutachten, wurden durch die Coronapandemie unmöglich. „Manchmal stellt man sich auch Dinge vor, die dann nicht so zustande kommen“, erklärt Remmert, doch „die Digitalisierung hilft uns da sehr und die Datenbanken mit den Digitalisaten waren die Rettung für uns.“
Objekte der Begierde
Eine Vielzahl wissenschaftlicher Instrumente zeigt eine Bilderwelt, die Aufschlüsse über das Leben und die Arbeit der Vergangenheit liefern. Diese Instrumente gelten als materialisierte und geformte Ideen. „Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert sind sehr viele Instrumente erfunden wurden, auch Instrumente, die wir heute noch kennen“, erzählt Ellinghaus. „Das sind Fernrohre, Mikroskope, aber auch Thermometer und Barometer, mit denen wir heute selbstverständlich arbeiten. Die kann man dann in optische oder meteorologische Instrumente einteilen.“ Die beiden Wissenschaftler interessierten sich besonders für mathematische und astronomische Instrumente, mit denen man die Landschaft oder den Himmel vermessen konnte. „Da wäre dann das Astrolabium, diese Scheibe, die sehr kompliziert aussieht und mit der man die Sternenposition bemessen kann“, schwärmt sie, „oder das Torquetum (Ein Torquetum ist ein astronomisches Instrument, welches die Koordinaten eines Himmelskörpers bestimmen kann. Anm. d. Red.) sowie Sonnen- und Räderuhren, die in dieser Zeit aufkommen und schön geschmückt werden.“
Ein Smartphone aus dem 16. Jahrhundert
„Spannend ist auch zu wissen“, fährt Ellinghaus fort, „dass es zu der Zeit schon Schrittzähler gab. Man denkt heute, das kann nur meine Superuhr machen, aber nein, das gab es damals auch schon. Man hing sich ein kleines Gerät mit einer Strippe an den Gürtel und befestigte einen kleinen Faden an seinem Fuß, der an einer Feder hing und beim Gehen jeden Schritt zählte. Das war natürlich nur etwas für reiche Leute. Oder das Smartphone des 16. Jahrhunderts. Da gibt es astronomische Taschenbestecke, die haben dann eine Sonnenuhr, Tabellen, wo sie Höhen- und Breitengrade einstellen können, um das Ding auch auf Reisen zu benutzen. Sie haben eine Monduhr, damit sie auch nachts die Zeit bestimmen können. Das Teil ist ganz klein und wird einfach aufgeklappt.“
Bestandsaufnahme
Zunächst mussten die Wissenschaftler*innen aber erst einmal die Fülle an Exponaten finden und sichten. Dazu Ellinghaus: „Wir haben uns Bestandskataloge von Sammlungen, die uns bekannt sind, die viele dieser Instrumente haben, vorgenommen sowie Sonderausstellungskataloge. Wir durchforsteten die Forschungsliteratur und haben natürlich mit den Datenbanken im Netz eine tolle Quelle. Dresden, Oxford und Florenz stellen für ihre wissenschaftlichen Instrumente sogar schon eine extra Datenbank zur Verfügung. Dann hat man auch sofort die Fotos und eine Beschreibung dazu.“ Vielfach gehörten die noch erhaltenen Exponate natürlich einer gehobenen Schicht, wie z.B. Automatenfiguren, die sich dann auf den Fürstentischen unerklärlich, scheinbar magisch bewegten und die Gäste zum Staunen brachten. Diese Objekte seien natürlich auch schon damals Sammlerstücke gewesen. „Ein für einen Arzt angefertigtes Torquetum stand sicher für alle sichtbar in der Praxis und bedeutete den Menschen, dass dieser Arzt sein Handwerk versteht, denn über die Sternposition und den Kalender wurde der Aderlass gezielt angesetzt. Nur wenn die Konstellation richtig war, der Mond seine Position hatte, wurde entsprechend behandelt, und der Arzt hatte somit Ahnung vom Kosmos“ erklärt Ellinghaus. Doch die beiden Wissenschaftler kennen auch Papier- und Holzinstrumente, die ebenfalls verziert waren.
Ellinghaus und Remmert bewegen sich bei ihren Forschungen dabei in einer wenig ausgeleuchteten Zone der Wissenschaft. „Meist befinden sich diese Geräte ja in technikgeschichtlichen Museen, wo die Experten für wissenschaftliche Geräte sitzen, die natürlich vor allem an der Funktionalität dieser Instrumente interessiert sind“, sagt Ellinghaus, „da werden dann die Skalen untersucht und man schaut, wie genau man mit diesen Instrumenten berechnen konnte. Und die Kunsthistoriker sagen, na ja, das ist ein Gebrauchsgerät, da interessiert mich das Bild darauf nicht.“ Das sehen die beiden Wissenschaftler anders, denn viele dieser Gebrauchsgegenstände seien stark verziert und zeigen eine Bilderwelt, die sich an bestimmte Nutzer richte. „Wir untersuchen, was diese Verzierung, jenseits von Sprache, dem Nutzer mitteilen will“, erklärt sie und das sei oft nicht offensichtlich und müsse erst erschlossen werden. Im eingangs genannten Fall von Atlas und Herkules bedeute dies, erklärt Ellinghaus, „wenn ich die abbilde, zeige ich, was für eine lange Tradition die Astronomie hat und auf welche mythischen und königlichen Figuren sie zurückgreift. Damit stellte man sich selbst dann auch in diese Reihe.“ Andere Abbildungen fungierten auch als verkürzte Gebrauchsanweisung und bewiesen die Nützlichkeit eines Instruments. Vieles, was uns heute geheim erscheine, ergänzt Remmert, war den Menschen im 17. Jahrhundert durchaus bekannt und müsse heute erst wieder erschlossen werden.
Ikonographie – die Inhaltsdeutung von Kunstwerken
Der Ikonographie auf wissenschaftlichen Instrumenten kommt somit eine besondere Bedeutung zu. „Ikonographie ist ja ein Begriff, der vielen Menschen nicht bekannt ist“, sagt Ellinghaus. „Es ist eine Methode der Kunstgeschichte: statt, dass man über den Stil eines Kunstwerkes redet, reden wir über den Inhalt. Es geht um die Inhaltsdeutung von Kunstwerken.“ Ein häufig wiederkehrendes Motiv ist die biblische Geschichte des Königs Hiskia, der sterbenskrank im Bett liegt und durch den Propheten Jesaja Gottes Entscheidung übermittelt bekommt, dass er noch einige Jahre weiterleben darf. „Diese Szene finden wir mehrfach auf Instrumenten. Bei einer ikonographischen Untersuchung schau ich mir dann an: wie wird diese Szene dargestellt.“ So finde sich beispielsweise auf einer Uhr die gesamte Geschichte in nur einem Bild komprimiert, während sie auf einem Torquetum in vier ausführlichen Szenen geschildert werde. Stehe auf der Uhrendarstellung noch der König im Vordergrund, ändere sich die Gewichtung auf dem astronomischen Instrument zugunsten des Propheten und zeige, Heilung ist nur durch die göttliche Macht möglich, der Mensch sei dabei der verlängerte Arm Gottes.
Remmert nennt ein weiteres Beispiel aus dem mathematisch- physikalischen Kabinett in Kassel. „Es gibt dort eine nicht besonders große astronomische Uhr des Schweizer Uhrmachers Jost Bürgi. Da sind auf vier Seiten der Uhr acht Stationen aus der Geschichte der Geometrie und Astronomie abgebildet. Das fängt bei Adam und seinem Sohn Seth sowie Abraham an und geht bis zu Kopernikus über griechische Astronomen und Mathematiker (z.B. Archimedes und Prolemäus) und Alfons von Kastilien als historische Entwicklung. So wird die Relevanz dieses Wissens auch noch einmal inszeniert in einer auch christlichen Traditionslinie.“
Zentrum der Herstellung: Südwestdeutschland
„Es ist durchaus interessant“, sagt Remmert, „die meisten Instrumente, die wir anschauen konnten, kommen tatsächlich aus Südwestdeutschland“, und Ellinghaus ergänzt: „Wir haben auch international gesucht. Doch die meisten geschmückten Instrumente kommen aus Augsburg oder Nürnberg. Das sind die Städte für Kunsthandwerk in dieser Zeit, da sitzen die Stecher, die Uhrmacher, aber eben auch die Künstler, die die schönen Gehäuse herstellen.“
Dresden, Kassel und Hamburg sind Museumsstädte, die noch eine Vielzahl wissenschaftlicher Instrumente ausstellen. Doch auch an der ein oder anderen Stelle in NRW kann man fündig werden. „Das Arithmeum in Bonn ist sicher eine gute Adresse“, sagt Ellinghaus abschließend, „die hatten sogar vor ein paar Jahren ein interessantes Exponat aus Hamburg ausgestellt. In Bielefeld gibt es zudem das Museum Huelsmann. Die haben eine große Sammlung angewandter Kunst und offensichtlich auch viele Instrumente, auch geschmückte Instrumente.“ Wuppertal, bedauert sie, wäre auch eine tolle Adresse gewesen, wenn nicht das wunderbare Uhrenmuseum Abeler vor ein paar Jahren aufgelöst worden wäre. „Das war wirklich eine der renommiertesten Uhrensammlungen weltweit und Jürgen Abeler ist auch in der Uhrenliteratur hochgeschätzt.“
Uwe Blass
Prof. Dr. Volker Remmert studierte Geschichte und Mathematik in Freiburg, Zürich und Karlsruhe. Er habilitierte sich in Neuerer und Neuester Geschichte sowie in der Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften. Seit 2011 ist er Professor für Wissenschafts- und Technikgeschichte an der Bergischen Universität. Zudem leitet er das Interdisziplinäre Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung ebenda.
Dr. Julia Ellinghaus ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Wissenschafts- und Technikgeschichte in der Fakultät für Geistes- und Kulturgeschichte der Bergischen Universität.