Fassadenschmuck: Die lange Tradition von Masken und Fratzen
Die Kunstgeschichtlerin Dr. Doris Lehmann über Neidköpfe und Maskaronen, die es auch in Wuppertal gibt
Frau Lehmann, von vielen Häusern, Giebeln und Mauern hier in Wuppertal starren uns Fratzen an, die man als Neidköpfe bezeichnet. Seit wann gibt es diese Figuren?
Lehmann: Köpfe, Masken und Fratzen haben eine lange Tradition als Fassadenschmuck, je nach Lesart reichen die Wurzeln bis zurück in die Antike oder das Mittelalter. Die von vielen heute als "Neidköpfe" bezeichneten Beispiele lassen sich mit erhaltenen Beispielen aus Holz oder Stein anschaulich bis ins Spätmittelalter zurückverfolgen. So alt ist indes der Begriff "Neidkopf" vermutlich nicht, der gerne auf Alexander Cosmar zurückbezogen wird. Dieser setzte das Wort 1831 seinerseits in seiner Publikation "Sagen und Miscellen aus Berlin's Vorzeit" als bekannt voraus. Cosmar selbst bezog sich allerdings damit nicht auf eine besondere Skulpturengattung, sondern speziell auf eine Büste, die er ins 18. Jahrhundert datierte und die damals noch die Fassade des Berliner Hauses Heiliggeist Str. 38 zierte.
Welche Bedeutung haben sie?
Lehmann: Die Bedeutung der Köpfe an den Fassaden ist über ihre Funktion als Bauschmuck hinaus nicht gesichert. Cosmar brachte in der Zeit der Romantik den heute vom Stadtmuseum Berlin aufbewahrten Fassadenschmuck in Verbindung mit einer Anekdote um neidische Konkurrenten. Da er kein Kunsthistoriker war, war ihm nicht klar, dass die Büste, die er sah, von seinen Mitbürgern korrekt als "Neid" bezeichnet wurde, weil sie der seit der Renaissance etablierten Bildtradition entsprechend deren Personifikation zeigt: eine ausgemergelte und häßliche Alte mit Schlangenhaaren. Die volkskundliche Ausweitung des Namens dieses Einzelstücks zu einer Terminologie, die auch auf viel ältere Beispiele anderer Darstellungstypen übertragen wird, stellt eine aus meiner Sicht problematische Verallgemeinerung dar, die sich meines Wissens nach nicht auf frühere Schriften stützen kann. Die Benennung und Interpretation von Fassadenschmuck als Neidköpfe schreibt den Artefakten eine Funktion zu, die mehr oder weniger spekulativ der Abwehrsymbolik zugeordnet wird. Wenn dabei explizit die Ableitung vom "Neid" vermieden wird, um stattdessen die Herleitung über das althochdeutsche oder mittelhochdeutsche "nit" oder "nid" zu leisten, dann wird dabei der etymologische Unterschied betont: Der Kontext der Köpfe wird damit aus einem spezifischen Zusammenhang gelöst und in allgemeinere Zusammenhänge gerückt.
Die Ursprünge gehen vermutlich bis zu den Kelten zurück, also in die vorchristliche Zeit. Dienten sie schon da zur Abschreckung?
Lehmann: Das ist möglich, aber bewiesen ist es nicht. Aberglauben und Abwehrzauber sind als Geheimwissen mit Bedacht schlecht dokumentiert worden.
Neidköpfe gibt es in den unterschiedlichsten Ausführungen. Welche sind das zum Beispiel?
Lehmann: An Fachwerkbauten wurden die Enden von Balken als frontal ausgerichtete Köpfe gestaltet, andere Exemplare sind aus Stein geschnitten. Es gibt bartlose Gesichter ebenso wie bärtige und dazu weitere Kombinationsmöglichkeiten. Es gibt Köpfe mit weit aufgerissenen Augen und wie zum Schrei geöffneten Mund, aber auch ruhige Gesichtsausdrücke mit stark oder wenig herausgestreckter Zunge. Ergänzt werden kann eine Darstellung durch lange tierähnliche Ohren, die an Ziegen oder Esel erinnern, als andere Zutat finden sich Beispiele mit Narrenkappe.
Neidköpfe kommen eher aus dem Zauberglauben. In der Renaissance waren sie unter dem Namen Maskaron (Fratzengesicht) als reines Zierwerk sehr beliebt. Warum gerade in dieser Epoche?
Lehmann: In der Renaissance wuchs die Wertschätzung für Fantasie und Kreativität. Masken oder die mit der Architektur fest verbundene Maskarons konnten verschiedene Rollen übertragen werden und damit der Verlebendigung dienen. Die mögliche Bandbreite, mit der Betrachterinnen und Betrachter erfreut werden konnten, reichte von witzig bis gelehrt, von schön bis schauerlich hin zu grotesk.
Man findet auch Darstellungen von prominenten Personen. So z.B. der Fratzenkopf von Catherine Bellier (1614 – 1689) im Hotel de Beauvais in Paris, einer Mätresse König Ludwig des XIV, die zur damaligen Zeit dort wohnte. Konnten solche Darstellungen einer Person also auch zu deren Ehre gereichen?
Lehmann: So lange kein historisch gesichertes Bildnis der Catherine Bellier bekannt ist, bleibt die Benennung des Kopfes zweifelhaft. Ich habe keine Ahnung, seit wann der Fassadenschmuck mit der Langhaarfrisur so genannt wird, mich würde interessieren, ob es einen Nachweis gibt aus der Zeit vor der französischen Revolution. Als Reiseführerin würde ich das mit der Anekdote verknüpfte Potenzial auch auf jeden Fall nutzen, um die Neugier meiner Zuhörer*innen zu wecken. Als Wissenschaftlerin bin ich aber eher skeptisch, was die Beweislage und die Frage einer "Würdigung" angeht. Da vermute ich eher, dass mit der "Identifizierung" belegt werden soll, dass die Mätresse gerade kein Schönheitsideal erfüllt hat, denn der Kopf schielt. Welchem Ziel könnte ein so fragwürdiger Zusammenhang dienlich gewesen sein? Hier halte ich Vorsicht für angebracht, denn eine schielende Darstellung zielt nicht zwangsläufig auf die Würdigung der angeblich dargestellten Person, auch wenn es ihr dienen kann.
Neidköpfe oder auch Gaffköpfe genannt, sind eine Art Fassadenschmuck, der den Betrachter regelrecht anschaut. Ein schauriges Bespiel finden wir in der Wuppertaler Straße Zur Scheuren. War das eigentlich schon Massenware oder immer nur eine spezielle Auftragsarbeit?
Lehmann: Im Zusammenhang mit der Errichtung von Bauten, die für die einzelnen Auftraggeber kostenintensiv waren, von "Massenware" zu sprechen ist ein Thema für sich. Im Bereich der Fassadendekoration ist es eine Besonderheit, die wir durchausaus im Historismus nachweisen können, denn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten zur Herstellung dekorativer Bauelemente Vervielfältigungen durch Gießverfahren genutzt werden. An der Wiener Ringstraße lässt sich das gut beobachten. Von einer solchen "Massenware" würde ich in diesem Fall allerdings nicht sprechen.
Selbst heute finden sich Neidköpfe und Maskarone immer noch. Der Modemacher Gianni Versace z.B. kreierte mit seiner Serie „Medusa“ einen zeitlosen Entwurf, den man auch in Form von Vasen oder Stuckreliefs erwerben kann. Ist das nach wie vor die Faszination des Unheimlichen?
Lehmann: Das Versace-Logo spielt mit dem Aufmerksamkeit erregenden Gorgoneion, wie man das isoliert dargestellte Medusenhaupt seit der Antike nennt. Dem Mythos nach versteinert der Anblick jeden vor Schreck, der es anblickt. Für das Luxuslabel entschied sich der Designer nicht für eine archaische Variante mit weit aufgerissenen Augen und herausgestreckter Zunge, die als Apotropaion (Ein Apotropaion wurde in der Antike zum Schutz von Menschen, Tieren, Gebäuden etc. angebracht und sollte die üblen Auswirkungen von Zauberei abwehren. Anm. d. Red.) gedeutet wird. Stattdessen bediente er sich eines schöneren und gemäßigten Vorbildes, wie wir es in dem hellenistischen Marmorhochrelief der Medusa Rondanini in der Münchner Glyptothek bewundern können. Ob eine Antike dieses Typs, wie es die Firmenlegende behauptet, während der Kindheit des Designers in Kalabrien ausgegraben wurde, weiß ich leider nicht. Aber die gut erhaltene Antike, die schon von Goethe wertgeschätzt worden war, hat genügend Verwandte, die Gianni Versace zu der Idee inspiriert haben dürften, dass andere beim Anblick seiner Mode vor Neid erblassen sollen. Mit der ursprünglichen "Faszination" durch bezaubernden Blicke hat das wenig zu tun, denn inzwischen wissen wir, dass Blicke nicht physisch töten können. Wer ein Versace T-Shirt sieht oder von einem Teller mit entsprechendem Dekor isst, muss also keine Angst haben.
Uwe Blass
Dr. Doris H. Lehmann ist gelernte Fotografin und studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie, Provinzialrömische Archäologie und Lateinische Philologie an der Universität zu Köln und wurde 2005 ebenda promoviert. 2018 habilitierte sie sich an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn mit einer Arbeit zu den Streitstrategien bildender Künstler in der Neuzeit und ist seitdem Privatdozentin. Seit Oktober 2018 lehrt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin Kunstgeschichte an der Bergischen Universität.