Wuppertals Temperaturmessungen in 87 Kilometern Höhe
Atmosphären- und Umweltforscher Christoph Kalicinsky lebt und arbeitet in einem Langzeitexperiment
Um den Klimawandel verstehen zu können, bedarf es diverser Untersuchungen und Experimente, die international und interdisziplinär durchgeführt werden. Bei vielen dieser Projekte geht es in erster Linie um Grundlagenforschung, also das reine Verstehen der atmosphärischen Abläufe, bevor überhaupt Aussagen zu möglichen Auswirkungen getroffen und Handlungsempfehlungen entwickelt werden können. In einem dieser Experimente unter dem Titel ´Charakterisierung der internen Variabilität der Atmosphäre` (CHIARA) setzt sich der Wuppertaler Atmosphären- und Umweltforscher Dr. Christoph Kalicinsky mit den menschengemachten und natürlichen Klimavariationen im Laufe der Zeit auseinander.
Phänomene in der Atmosphäre
„Atmosphärenforscher schauen sich Phänomene in der Atmosphäre an, versuchen diese zu verstehen, physikalisch zu beschreiben und im Idealfall auch mit Computermodellen zu simulieren“ erklärt Kalicinsky. Dabei sei das Feld der Themen sehr breit gefächert. So beschäftigen sich manche Wissenschaftler mit Strahlungsphänomenen oder den Wolken, wieder andere untersuchen z.B. Mischungs- und Austauschprozesse in der Atmosphäre. „Ein Unterschied zu anderen Physikern und Physikerinnen ist auch,“ beschreibt der Wissenschaftler, „wir leben in unserem Experiment, denn unser Experiment ist die Atmosphäre, die sich kontinuierlich verändert.“ Es bestehe also nicht die Möglichkeit, ein Experiment unter Laborbedingungen x-mal zu wiederholen, sondern ein Phänomen im besten Fall noch ein anderes Mal in gleicher Form zu erwischen. Mit speziellen Messgeräten werden so z.B. die Zusammensetzung der Atmosphäre, also die Spurengaskonzentrationen sowie die Temperatur regelmäßig über lange Zeiträume gemessen, um die Entwicklung in der Zeit zu erkennen.
Temperaturschwankungen im Laufe der Zeit
Christoph Kalicinsky arbeitet mit seinem Team im Teilprojekt CHIARA eines Kooperationsprojektes mit dem Namen ISOVIC (Einfluss der solar-, vulkanischen und internen Variabilität auf das Klima) innerhalb des großen BMBF-Programms ROMIC (Role of the Middle Atmosphere in Climate) und sagt: „Wir untersuchen in diesem Projekt den Einfluss von der Sonne, von Vulkanen, aber auch von internen Temperaturschwankungen in der Atmosphäre selber, im Laufe der Zeit.“ Dabei gehe es auch um mögliche Klimaeffekte, die man durch langfristige Beobachtungen zu verstehen versucht. „Das schauen wir uns dann in Zusammenarbeit mit Gruppen anderer Institute an. Jeder hat den Blick nach seiner Expertise auf besondere Themen. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen ist auf die Sonne spezialisiert und untersucht die Variationen der solaren Einstrahlung in den letzten 300 Jahren. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg untersucht den Einfluss von Vulkanen und wir schauen uns die Temperaturschwankungen in der Atmosphäre in diesem Zeitraum an.“
Dazu nutzen die Wuppertaler Wissenschaftler unterschiedliche frei zugängliche Temperaturdatensätze von Communities oder Instituten sowie eigene Messungen in ungeahnten Höhen. „Wir beobachten seit den 1980er Jahren von Wuppertal aus die Temperaturen in ungefähr 87 Kilometer Höhe. Das ist eine einzigartige Messreihe aufgrund der Länge. Wir messen Strahlung, die von Molekülen aus der Atmosphäre kommt. In dieser Höhe gibt es eine Schicht angeregter OH-Moleküle (Hydroxyl-Molekül: Ein Molekül aus einem Sauerstoff- und einem Wasserstoffatom, Anm. d. Red.) und diese emittieren dann Strahlung aus dieser Schicht. Diese Strahlung messen wir jede klare Nacht.“ Aus diesen Daten werden dann die Temperaturen bestimmt. Auch die Geräte zur Messung dieser Temperaturdatenreihe wurden in Wuppertal gebaut. „Diese Geräte heißen GRIPS (Ground-based Infrared P-branch Spectrometer) und es gibt von denen mittlerweile weltweit einige. Diese wurden von einem ehemaligen Mitarbeiter der Bergischen Universität weiterentwickelt und in einer größeren Serie gefertigt.“
Temperaturmessungen seit 1659
Temperaturmessungen und Wettervorhersagen sind keine Disziplinen der Moderne. Zwar seien die Datenreihen aufgrund technischer Entwicklungen kürzer, je höher man in die Atmosphäre vordringt. Bodenmessungen gebe es aber schon sehr lange, weiß Kalicinsky. „Die längste bekannte bodennahe Messung ist die Central England Temperature-Datenserie. Die startet 1659 für Mittelengland. Es gibt aber auch in Deutschland Messreihen, die Ende des 18. Jahrhunderts beginnen.“ Das gelte für Europa. Auf anderen Kontinenten hänge die Länge der Datenreihen natürlich auch mit der Besiedelung zusammen. Die Datenreihen in Afrika seien in der Regel kürzer und auch in Australien könne man sehr schön beobachten, dass es an der stark besiedelten Ostküste deutlich längere Messreihen gebe. „Es gibt auch Messungen auf Schiffsrouten. Das kann man dann in den Logbüchern lesen“, ergänzt er.
Messungen in größeren Höhen sind ohne Hilfsmittel schwierig. Bis in bestimmte Höhen kann man mit Ballonen messen, aber die wesentlichen Informationen generiere man heute durch Fernerkundung, die über boden-, flugzeug- oder satellitengetragene Sensoren ermöglicht wird.
Voraussagen sind schwierig
Beim Thema Klimawandel will alle Welt wissen, wie man ihn aufhalten kann und wünscht sich Handlungsempfehlungen von der Wissenschaft. Das sei jedoch mit Blick auf die Temperaturschwankungen schwierig, konstatiert Kalicinsky, „weil ich mich mit dem Istzustand und der Vergangenheit beschäftige, aber zunächst nicht mit der Zukunft. Es geht hier im Wesentlichen um das Verständnis der Prozesse. Der Blick in die Zukunft ist deswegen schwierig, weil wir die Ursachen für die Temperaturschwankungen noch nicht alle kennen.“ Selbst wenn die Messungen in der Vergangenheit eine eindeutige Temperaturschwankung gezeigt haben, kann man trotzdem nicht sagen, dass es immer so weitergeht. Daher seien zukünftige Aussagen bzgl. dieses Punkts vom jetzigen Standpunkt aus nicht seriös. Wenn man sich generell Langzeitentwicklungen anschaue, komme es immer auch auf die richtigen Skalen an und die Frage, ob man Datensätze vergleichen könne und wenn ja, wie. „Wenn man unterschiedliche Datenreihen miteinander vergleicht, muss man auf die Zeiträume achten. Wenn man Unterschiede zwischen den Datenreihen sieht, aber unterschiedliche Zeitintervalle betrachtet hat, bedeutet das nicht unbedingt, dass die Datenreihen auch ein unterschiedliches Bild zeigen, da die Temperaturschwankungen natürlich einen zeitlichen Verlauf haben und sich regional durchaus unterscheiden können.“
Natürliche und unnatürliche Temperaturschwankungen
Atmosphärenphysiker unterscheiden natürliche und unnatürliche Temperaturschwankungen. Dazu Kalicinsky: „Unter natürlichen Temperaturschwankungen versteht man Auswirkungen, auf die der Mensch keinen Einfluss hat, die einen natürlich vorhandenen Antrieb haben. Das kann ein Vulkanausbruch sein, der die Atmosphäre beeinflusst, weil er Aerosole in die Atmosphäre bringt, die wiederum zur einer Abkühlung führen. Auch die Variation der Sonne ist ein natürlicher Antrieb, einer der stärksten Antriebe hier in der Atmosphäre. Das ganze Leben würde ohne die Sonne nicht funktionieren und auch die Temperatur ist abhängig von ihr. „Die Aktivität der Sonne unterliegt einem 11-Jahres-Zyklus, was man gut an der Anzahl der Sonnenflecken sehen kann. Das hat einen direkten Einfluss auf die Temperatur in vielen Höhenschichten.
„Unnatürliche Temperaturschwankungen sind jene, die wir Menschen verursacht haben. Dazu gehören z.B. die Treibhausgasemissionen, denn die verändern die Strahlungsbilanz in der Atmosphäre und das führt auch wieder zu Temperatureffekten.“ Um Zusammenhänge zur Temperaturveränderung aufzuklären ohne Modellsimulationen zu nutzen, arbeite man mit mehreren zusätzlichen Datenreihen, die diese natürlichen oder unnatürlichen Phänomene zeigten. Diese vergleiche man dann mit der Temperatur, um mögliche Gemeinsamkeiten zu finden. Da sich in der Atmosphäre vieles gegenseitig beeinflusse, ist eine Unterscheidung der verschiedenen Effekte nicht immer ganz einfach. „Unser Experiment befindet sich zudem im kontinuierlichen Veränderungszustand“, sagt Kalicinsky.
Wissenschaftler versuchen stetig, den kompletten Mechanismus zu begreifen und zu den Ursachen vorzurücken, ohne die eine valide Voraussage unmöglich ist. Sicher ist aber, sagt Kalicinsky zum Schluss: „Es gibt einen langfristigen Anstieg der Temperatur, der eine deutliche Zunahme an extremen Wetterereignissen zur Folge hat. Hochwasser, Fluten und Dürreperioden merken wir überall. Und was man ebenfalls nachweisen und messen kann, ist das Abschmelzen der Gletscher und der Rückgang der Eisschilder an den Polen, weil es eben in den letzten Jahren deutlich wärmer geworden ist.“
Daher können Erkenntnisse über Klimavariationen, die über einen langen Zeitraum erhoben werden, auch in Zukunft beim Kampf gegen den Klimawandel nützlich sein.
Uwe Blass
Dr. Christoph Kalicinsky forscht am Institut für Atmosphären- und Umweltforschung unter der Leitung von Prof. Dr. Ralf Koppmann in der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften.