Gitarren statt Knarren
Antonius Weixler über den politischen Einfluss der Popmusik
1967: Militärputsch in Griechenland, Protest gegen den Besuch des Schahs in Berlin, Benno Ohnesorg wird erschossen, Sechstagekrieg in Israel, Rassenunruhen in den USA, Tod Che Guevaras, erste Herztransplantation…, nur wenige Menschen wissen, dass mit diesem Jahr auch eine entscheidende Wende in der Popmusik erfolgte. Dr. Antonius Weixler, Literaturwissenschaftler an der Bergischen Universität, forscht zu der Bedeutung von Popkultur und sagt: „Wenn man sich fragt, was unsere Kultur eigentlich ausmacht, dann kommt man an der Popmusik nicht vorbei.“ Der gebürtige Kemptener untersucht die Popkultur mit Methoden der Literaturwissenschaft und beschäftigt sich dabei mit dem Erzählen von popkulturellen Phänomenen, die sich auch im filmischen Erzählen oder auf Onlineportalen wie Instagram finden.
1967 als Schaltjahr des Pop
Dem Jahr 1967 kommt in der popmusikalischen Geschichte eine besondere Bedeutung zu, die Weixler zusammen mit Gerhard Kaiser und Christoph Jürgensen auch als Herausgeber des Buches ´Younger than yesterday – 1967 als Schaltjahr des Pop` hervorhebt. „1967 erscheint mit Sgt. Pepper`s Lonely Hearts Club Band das wichtigste Album der Beatles“, erklärt er, „und wenn man der Geschichtsschreibung glaubt, auch das wichtigste und beste Popalbum der Popgeschichte.“ Danach sei nichts mehr wie zuvor gewesen, attestieren auch Musikwissenschaftler, denn Popmusik erhebt hier erstmals selbstbewusst den Anspruch, auch Kunst zu sein. „Das merkt man schon an der Produktion. Legendär ist z.B., dass die Beatles sechs Monate im Studio an diesem Album rumgewerkelt haben, was für damalige Verhältnisse eine geradezu aberwitzige Länge war. Man merkt es auch daran, dass die Texte zum ersten Mal überhaupt auf dem Albumcover mit abgedruckt wurden, d.h. die Beatles behandeln ihre Texte wie Literatur, die deswegen auch mit abgedruckt werden müssen.“ Das Albumcover zähle zudem nach Einschätzung von Kunstwissenschaftler*innen zu den bedeutendsten Bildern des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus sei auch die Trennung ähnlich der von Autor- und Erzählerinstanz aus der klassischen Literatur hier übernommen worden, da nicht die Beatles selber, sondern eben Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band die Lieder auf der Platte spiele.
Dieses Phänomen, dass Popmusik nun selbstreflexiv werde, d.h. die eigenen Produktions- und Erscheinungsweisen reflektiere, betont Weixler, ziehe sich gerade 1967 durch ganz viele in diesem Jahr erschienene Alben, die Popgeschichte geschrieben hätten. Unser Verständnis von Popmusik basiere wesentlich auf den Alben, die 1967 veröffentlich wurden. „Es gibt ein paar ganz bedeutsame Debuts, also erste Alben von Bands, wie Pink Floyd (The Piper at the Gates of Dawn), David Bowie (David Bowie), The Velvet Underground (The Velvet Underground & Nico), Jimmy Hendrix (Are you Experienced) oder Grateful Dead (The Grateful Dead) “, zählt er auf, „alles 1967, wo auch zum ersten Mal so eine elektronische, avantgardistische Musik vorgeführt wird. Dazu kämen auch eine ganze Reihe von bedeutsamen Alben von Musiker*innen, die davor schon Songs publiziert hätten, 1967 aber die Höhe „ihrer Kunst“ erreichten, wie Bob Dylen, Aretha Franklin oder Jefferson Airplane.“ Auch eine kuriose Nichtveröffentlichung, die sich Jahre später im Künstlerdepot wiederfindet, das Album ´Smile` von den Beach Boys, dass als das größte nicht-erschienene Album in die Rockgeschichte gilt, gehört in dieses Jahr.
RESPECT – eine Hymne der Bürgerrechtsbewegung
Wie politisch sich Popmusik in diesem Jahr zeigt, behandelt ein ganzes Kapitel seines Buches, welches sich mit Aretha Franklin beschäftigt. Heute könne man sich fast gar nicht mehr vorstellen, sagt Weixler, was diese Songs in einer konservativen Gesellschaft auslösten. „Es war unerhört, dass eine farbige, junge Frau ganz selbstbewusst Respekt, auch sexuellen Respekt für sich als Frau, als Poeple of Colour, einfordert.“ Vea Kaiser, die dieses Kapitel geschrieben hat, gehe sogar so weit zu sagen, dass ohne diese Emanzipationsgeste, es Jahrzehnte später nicht möglich gewesen wäre, dass ein Mann wie Barak Obama Präsident wurde. Ab 67 nahm dann auch die Hippiekultur mehr Fahrt auf und Weixler betont, „das, was wir heute als 68er Bewegung verstehen, das war eine neue Kategorie, denn sonst nehmen wir so große gesellschaftliche Umbrüche als etwas wahr, dass vor allem aus der Politik kommt. Darauf reagiere dann die Popkultur und die Popmusik. 68 ist aber eine Bewegung, die aus der Popkultur und aus der Popmusik kommt und die dann zu einem gesellschaftlichen Umbruch führt.“
Popmusik wird nobelpreiswürdig
Heute seien Popmusiker als Literaten nicht mehr umstritten, der Literaturnobelpreis an Bob Dylan 2016 habe das schon gezeigt, sagt Weixler. „Es gab zwar auch Kritik an der Verleihung, aber im Wesentlichen wurde das doch eigentlich begrüßt.“ Außerdem wurde bereits kurz danach zum ersten Mal ein Rapper, Kendrick Lamar, mit dem Pulitzer Price ausgezeichnet. Mittlerweile wird Popmusik ganz selbstverständlich auch in den Feuilletons der großen Zeitschriften verhandelt und rezensiert. Die Popmusik und die Lyrics der Popmusik sind in diesem breiten literarischen Feld angekommen.“ Auch die Umschreibung von Songtexten als Drei-Minuten-Texte lasse sich schon immer auf jedwede Lyrik gleichermaßen anwenden. „Wenn ich ein altes Gedicht von Goethe oder Schiller nehme und das aufsage, dann ist das auch ein Drei-Minuten-Text. Und es funktioniert nach ganz ähnlichen Methoden.“ Weixler weiß um den Stellenwert der Popliteratur in der Literaturwissenschaft, die sich klassischer Weise mit ernster Literatur beschäftige und sagt lächelnd, „Popliteratur wird oft nicht so wertgeschätzt wie klassische Literatur, das war aber im Fach übrigens auch mit der Gegenwartsliteratur lange Zeit so.“ Doch auch da ändern sich die Zeiten, denn die jüngere Literaturwissenschaft behandele popmusikalische Lyrics heute genauso wie Lyrik.
Die Bedeutung von Liedtexten in der Literatur
„Wenn man es historisch betrachtet, spielen Lieder in der Literatur schon immer eine große Rolle“, fährt Weixler fort. „Die großen Literaten haben oft auch Libretti geschrieben. In ganz vielen klassischen, literarischen Texten werden Lieder eingebaut.“ Die Romantik habe begonnen, Volkslieder zu sammeln. In ´Des Knaben Wunderhorn` veröffentlichten seinerzeit Clemens Brentano und Achim von Arnim erstmals eine Sammlung von Volksliedtexten. Wenn man so wolle, könne man auch Bertold Brechts Dreigroschenopersong ´Mackie Messer` zu einer frühen Form der Popmusik zählen, der ein enormer Erfolg wurde. Andere Literaten, wie der Dichter Wolf Dieter Brinkmann, orientierten sich erklärtermaßen an den Texten von Popsongs. Die Qualität von Popsongs habe oft einen literarischen Wert, erklärt Weixler, dazu gehöre selbstverständlich nicht jeder Schlager, aber Songpoeten der Hamburger Schule, wie Jochen Distelmeyer, Kopf der Band Blumfeld oder Dirk von Lowtzow, Mitglied der Rockband Tocotronic, seien aktuelle Vertreter moderner, guter und auch textlich anspruchsvoller Popliteratur.
Mit Musik protestieren
Lana Del Rey hat ein Gedichtalbum veröffentlicht ´Violet Bent Backwards Over the Grass`, dem auch noch ein Hörbuch folgt. Darin beschäftigt sie sich in Gedichten auch mit dem Klimawandel. Barbra Streisand schrieb den Anti-Trump-song ´Don`t lie to me`.
Musikalische Texte wirken oft stärker und schneller auf Missstände hin, als bloße Reden es tun. Weixler sieht den Grund in der Mischung, aus der Popmusik bestehe. „Zur Popmusik gehört auch immer die Person, der Star, der die Musik vorträgt. Es gehört die Kleidung dazu und die Pose, also alles, was zur jugendkulturellen Identifikation dazugehört.“ Zudem könnten Lieder einen Zuhörer auch emotional viel stärker ansprechen, als eine rein textliche Parole. Und auch die Rezeption in der Intimität des Kinderzimmers sei nicht zu unterschätzen, sagt er, denn in dieser Umgebung verstärke sich die emotionale Wirkung. „Und wenn es um die politische Botschaft geht, dann würde ich sagen, kann Popmusik wirksamer sein, weil sie das Gefühl stärker anspricht als den Verstand.“
Popmusik transportiere immer auf eine ganz subtile Art und Weise Normen und Werte einer Gesellschaft. „Wenn so eine alternative Rolle oder so eine oppositionelle Rolle attraktiv ist, dann möchte ich auch so sein. Wenn der Star sexy ist, dann nehme ich auch diese politische Botschaft dieses Stars eher wahr, als wenn das ein alter Politiker sagt“, erklärt der Wissenschaftler.
Musik und Politik – Aktuelle Ausstellung in Bonn
Wie nah Weixler am Puls der Zeit arbeitet, zeigt auch eine aktuelle Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte. Unter dem Titel ´Hits & Hymnen` geht es um das Zusammenspiel von Musik und Politik. „Einer der schönen Ausstellungsstücke für uns Wuppertaler bei dieser Ausstellung ist natürlich die Gitarre, die Udo Lindenberg Erich Honecker am 9. September 1987 in Wuppertal überreicht hat mit dem schönen Slogan ´Gitarren statt Knarren`“, sagt der 42-jährige. Der Titel der Ausstellung zeige die Auswirkung, die ein Lied haben könne, dann können aus Hits Hymnen werden. „Das kann dann die ´Ode an die Freude` sein (Gedicht von Friedrich Schiller, von Ludwig van Beethoven 1785 im 4. Satz seiner Sinfonie vertont, Anm. d. Red.), es kann aber genauso die Hymne für den Mauerfall sein, also ´Wind of Change` von den Scorpions.“
So fasse ein Popsong in drei Minuten ein geschichtliches Ereignis zusammen, welches man ansonsten in langen Texten nachlesen müsse und erziele dabei oft eine viel intensivere Wirkung. Der Starstatus tue sein Übriges. „Stichwort Live Aid: (Live Aid war ein von den Musikern Bob Geldorf und Midge Ure organisiertes Wohltätigkeitskonzert 1985 aus Anlass der akuten Hungersnot in Äthiopien, Anm. d. Red.), oder der Klimawandel; wenn Bono (Leadsänger der Band U2, Anm. d. Red.) sich für den Klimawandel einsetzt, dann wird er von der Uno oder von Politikern empfangen und kann diese Botschaft wirksamer überbringen, als es Normalsterbliche könnten.“
Pophymne der Zukunft
Nach einem Lied gefragt, das Potential hätte in Zukunft zur Hymne zu werden, fällt Weixler spontan der Song `Blinding Lights` von The Weeknd ein. Doch gespannter ist er auf einen noch zu findenden Begleithit für eine ganz junge Protestbewegung. „Ich bin persönlich sehr neugierig darauf, wie sich Fridays for Future in der Popmusik ausdrücken wird. Ich glaube, da fehlt uns noch ein wenig die popmusikalische Antwort auf diese sehr neue Jugendbewegung. Wir haben eine Jugendbewegung, die sich in neuen Protestformen ausdrückt, aber wir haben noch keine richtig populären Popsongs dazu. Vielleicht“, orakelt er zum Schluss, „hat Billie Eilishs ´All the good girls go to hell` das Potential dazu.“
Die Zeit wird zeigen, ob er recht hat.
Uwe Blass (Gespräch vom 22.03.2021)
Dr. Antonius Weixler arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft der Bergischen Universität.