„Ein Arzt muss keinen Dienstplan schreiben“
Der Wuppertaler Professor Sebastian Rachuba entwickelt Modelle zur Unterstützung komplexer Planungsentscheidungen im Gesundheitswesen
„Wir wollen Entscheidungsunterstützung liefern“, sagt Sebastian Rachuba, dessen Forschung sich mit einer Vielzahl von Problemstellungen aus dem Bereich des Healthcare Operations Management beschäftigt. Aber was ist das eigentlich? „Der englische Begriff Operations beschäftigt sich eigentlich mit Aktivitäten zur Leistungserstellung“, erklärt der Juniorprofessor, der seit 2017 am Lehrstuhl für Produktion und Logistik der Fakultät Wirtschaftswissenschaft der Bergischen Universität arbeitet. „Im Gesundheitswesen, das ist der Health Care-Teil dann, sind es die originären Leistungserstellungsprozesse, die wir uns anschauen. D.h., wie sind die Arbeitsabläufe der Mediziner? Wie funktioniert der Dienstplan? Wer hat welche Botengänge zu tun usw..“ Die Aufgabe des Managements ist es dann, die gesamten Prozesse des Systems zu koordinieren. Ob Vorschriftsänderungen, Ärzteeinteilung, Urlaubswünsche oder der Einsatz von Teilzeitkräften, die Liste der Aufgaben ließe sich unendlich fortsetzen und ist dermaßen komplex, dass sie ohne ein entsprechend automatisiertes Grundgerüst nur schwer zu bewältigen ist. Und da möchte der Wissenschaftler gerne helfen, denn „das wird ganz oft immer noch mit Stift und Papier gemacht“, erklärt er, was in Zeiten der Digitalisierung einfacher ginge. Dabei betont Rachuba, dass diese Aufgabe selbstverständlich nur im gemeinsamen Miteinander der Institutionen mit der Hochschule erfolgen kann. „Man muss das mit den Anwendern zusammen entwickeln.“
Optimierungsmodell und Simulationsmodell
Rachuba arbeitet mit zwei unterschiedlichen Modellen; dem Optimierungsmodell zur Entscheidungshilfe sowie dem Simulationsmodell, welches Prozesse abbilden kann. „Bei Optimierungsmodellen habe ich viele Auswahlmöglichkeiten und muss trotzdem sehr viele Einschränkungen berücksichtigen“, erläutert er am Beispiel der OP-Saalbelegung. „Wenn ich eine Liste von Patienten habe, viele Säle und viele Tage, dann wird das Ganze sehr schnell sehr komplex. Dann gibt es so viele Kombinationsmöglichkeiten, aber woher weiß der Entscheider eigentlich, welche davon gut ist? Soll der Herr Meier am Montag in Saal 1 oder Saal 2 usw.? Ich kann aber versuchen, mit einem Optimierungsmodell einen Vorschlag zu machen, indem ich fordere: Finde einen Plan, wo ich möglichst wenig Überstunden mache, aber trotzdem so viele Patienten wie möglich behandele. Das mag dann vielleicht nicht jedem Operateur passen, aber es wäre für das Gesamtsystem unter Umständen sinnvoll.“ So erarbeiten seine Optimierungsmodelle je nach Vorgabe kostenminimale, zeitoptimale oder auslastungsmaximale Lösungen.
Rachubas Simulationsmodelle setzen meist nachher an. Im Falle der Notaufnahme können so bestehende Abläufe auch visuell abgebildet werden. In Zusammenarbeit mit einem Krankenhaus in England hat er dies bereits erfolgreich eingesetzt. Ein neuer Behandlungspfad durch eine neue Vorschrift im Gesundheitswesen, der bei möglichen Herzinfarktpatienten mit einem wiederholten Bluttest umgesetzt wurde, musste im laufenden Betrieb geändert werden. „Es gab also neue medizinische Erkenntnisse, die dazu geführt haben, eine Richtlinie aufzulegen. Die Frage war, was passiert, wenn ein Krankenhaus dieser Größenordnung dieses Zwei-Blutprobenverfahren jetzt durchführen würde? Funktionieren die Prozesse noch so, wie sie augenblicklich laufen? Wir haben mit den Anwendern zusammen analysiert, dass der Prozess nun anders aussehen muss.“
Die Notaufnahme: ein exemplarisches Beispiel
„Wir versuchen, dass, was da im realen Leben abläuft, rauszunehmen, zu abstrahieren, zu formalisieren, so, dass wir daran Experimente machen können.“ Am Beispiel eines Simulationsmodells, „können wir nachbilden, wie so eine Notaufnahme funktioniert“. Dann probiert man ein anderes Schichtsystem aus oder simuliert die Veränderungen durch neue Vorschriften im laufenden Betrieb. Gemeinsam mit den Anwendern werden am runden Tisch so die möglichen Veränderungsprozesse entwickelt. In diesem geschützten Raum können Möglichkeiten erarbeitet, Stellschrauben gedreht und in einer Was-wäre-wenn-Betrachtung Optionen durchgespielt werden, die den Ablauf verbessern. In Bezug auf überlastete Notaufnahmen kann eine Simulation u.a. den sinnvollen Einsatz von Pflegepersonal aufzeigen, welches nicht unbedingt erhöht, aber zeitlich anders eingesetzt werden müsste. „Das ist immer der spannende Teil und der mitunter auch aufwändigste. Dann setzt man sich mit den Ärzten und Pflegern zusammen um zu verstehen, was da in der Notaufnahme alles passiert.“.
Auch krankheitsbedingte Ausfälle von Pflegepersonal können in Monats- oder Jahresplanmodellen berücksichtigt werden. „Dann krieg ich einen Dienstplan raus, der evtl., wenn alle da sind, ein bisschen überbesetzt ist.“ Die Anwender entscheiden schließlich, ob sie das wollen“, sagt Rachuba. „Auf jeden Fall wäre dann auch mal Zeit, sich mit dem Patienten etwas länger zu unterhalten oder die Zeit für Dokumentationen zu nutzen.“
Die effiziente Planung der Operationssaalbelegung
Bereits in seiner Promotion hat sich der gebürtige Herner damit beschäftigt, wie man verschiedene Ziele gleichzeitig berücksichtigen kann. Für die effiziente Planung der Operationssaalbelegung überprüft er die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen. Der Patient möchte möglichst wenig Zeit im Krankenhaus verbringen, das Krankenhausmanagement wünscht sich die zügige Durchführung der Einzelbehandlung und das Personal ist an reibungslosen Abläufen ohne Überstunden interessiert. „Es ist ja häufig so“, erklärt Rachuba, „die Allgemeinchirurgie hat den Saal 1 am Montag, die Orthopädie den Saal 2. Ein Patient der Allgemeinchirurgie wird aber selten im OP-Saal der Orthopädie operiert.“ Diese alten Muster gilt es zu hinterfragen. „Wenn man so etwas mehr verschwimmen lässt, kann man die Zeiten viel sinnvoller ausnutzen. Ich habe vielleicht in der Allgemeinchirurgie einen Patienten, dessen Operation sehr wahrscheinlich nur eine Stunde dauert und in der Orthopädie ist der Saal noch zwei Stunden frei. Den Saal könnte ich ja eventuell auch für die Operation der Allgemeinchirurgie nutzen, hätte somit eine OP mehr, das Personal wäre entsprechend beschäftigt und ich habe trotzdem keine Überstunden. Es passt alles.“
Dass die Theorien an Abteilungsleitern scheitern können, weiß der studierte Wirtschaftswissenschaftler sehr wohl. Kommen die Chefärzte untereinander klar, „ist das eine Idee“, sagt er, „wir können dann mit den Optimierungsmodellen eine Art Vorlage für die Woche im OP als Entscheidungsunterstützung liefern.“ Mit einem Simulationsmodell könnten wir sogar noch zusätzlich das Jahres-OP-Volumen eines Krankenhauses visualisieren und dann analysieren, ob die Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden. Salopp formuliert er: „Ich verschwende weniger OP-Zeiten und Personalzeiten, und die Leute kommen zügig auf den Tisch.“
Wo sollten Rettungswachen sein?
Das Martinshorn schrillt, der Notarztwagen ist unterwegs. Tagtäglich hören und erleben das die Menschen im Stadtverkehr. Sebastian Rachuba hinterfragt auch da die Effizienz. „Die Grundregel ist immer die: Rettungswagen sollten da positioniert sein, wo auch die Nachfrage ist.“ Klingt eigentlich ganz einfach, doch die Realität sieht anders aus. Einsatzschwerpunkte verschieben sich im Tagesverlauf, was auch dazu führt, dass an den Wachen nicht immer gleich viele Fahrzeuge stehen. „Wir haben in einer Studie mit Kollegen an der Uni Bochum auch schon einmal die Option untersucht, Rettungsfahrzeuge nicht ausschließlich in Rettungswachen zu stationieren“, berichtet Rachuba. „Wir haben verschiedene Positionen analysiert, z.B. Krankenhäuser, Schulen oder sonstige öffentliche Gebäude, so dass auch eine Toilette oder Sozialräume vorhanden wären. Im Wesentlichen waren das Standorte, wo die Rettungswagen unter Umständen viel besser positioniert wären, weil sie dann näher an den Einsatzschwerpunkten sind“, resümiert er. Auch das Auffüllen des verbrauchten Materials könnte nicht ausschließlich an den Rettungswachen geschehen. „Die flexible Positionierung bietet sicherlich noch viel mehr Möglichkeiten, die gemeinsam mit den Anwendern diskutiert werden müssten.“ Mit einer Simulation kann er dies alles außerdem noch visuell verdeutlichen und zeigen, wieviel Zeitersparnis erreicht würde, wenn die Fahrzeuge z.B. nicht immer wieder zum Standort zurückkehren müssten.
Ein Solinger Krankenhaus will Veränderung
Rachuba war einige Zeit als Referent in einem Solinger Krankenhaus beschäftigt. Bestehende Kontakte aus dieser Zeit zu führenden Medizinern im Haus sind für ihn sehr wertvoll. Mit dem Chef der Notaufnahme kann er seine Ideen diskutieren und erhält auch Einblicke in die Sichtweisen der Profis. Aus der Erkenntnis, dass viele Dinge für das medizinische und pflegerische Personal nicht leistbar sind, erwächst der Wunsch nach Verbesserung. Die Frage, ob wir wirklich so gut sind, wie die Fachgesellschaft das vorschreibt, führt zum ersten entscheidenden Schritt, sich selber zu analysieren. Da kann Rachuba dann mit seinen Modellen ansetzen. In Solingen hat man die Möglichkeiten des Wandels erkannt. Rachuba merkt an: „Es muss der Wille da sein, sich zu trauen, auch einmal so etwas Unliebsames wie Veränderungsprozesse anzugehen. In Krankenhäusern ist das Fachpersonal nicht dafür ausgebildet worden, logistische Prozesse zu verbessern oder komplexe Planungsaufgaben zu lösen. Ein Arzt muss keinen Dienstplan schreiben. Das könnte man automatisieren. Außerdem sind das keine medizinischen Tätigkeiten. Die kann man Leute machen lassen, die das besser können, die Zeit dafür haben und sich damit auskennen. Auch hier ist natürlich der Dialog wesentlich für den Erfolg dieser Entscheidungsunterstützung. Wenn Abläufe reibungsloser funktionieren, Entscheidungen dadurch abgenommen werden, weil sie automatisiert aus dem Computer kommen, wird es einfacher.“
Das digitale Krankenhaus der Zukunft wird die Arbeit erleichtern, darüber haben jüngst Entscheider aus Krankenhäusern beim zweiten Innovationsforum Krankenhaus im Deutschen Ärzteverlag in Köln diskutiert. Künstliche Intelligenz wird Arbeitsprozesse erleichtern, erfordert aber auch entsprechende Schulungen der Mitarbeiter. Eine digitalisierte Triagierung der Notaufnahme, also die Priorisierung der medizinischen Behandlung von Patienten, oder eine webbasierte Dienstplanung, versprechen eine höhere Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter.
Optimierungs- und Simulationsmodelle, wie sie Sebastian Rachuba entwickelt, könnten diese Entwicklung effektiv unterstützen.
Uwe Blass (Gespräch vom 18.09.2019)
Sebastian Rachuba studierte Wirtschaftswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, wo er 2013 auch promovierte. Darauf folgte eine einjährige Tätigkeit als Referent des Medizinischen Direktors am Städtischen Klinikum Solingen. Von 2014 bis 2017 war der gebürtige Herner Postdoc an der Medical School der University of Exeter. Seit 2017 ist er neuer Juniorprofessor für BWL, insbesondere Operations Management, an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal.