Prof. Dr. Bärbel Diehr / Didaktik des Englischen
Foto: UniService Transfer

An der Universität stehen die Phänomene, in der Schule steht der Mensch im Vordergrund

Die Fachdidaktikerin Professor Dr. Bärbel Diehr über das Lernen und Lehren im Englischunterricht

„Als Fachdidaktikerin fühle ich mich wie eine Vielseitigkeitsreiterin,“ sagt die Anglistin Bärbel Diehr, „denn ich muss in verschiedenen Disziplinen und Teildisziplinen ausgewiesen sein, nicht nur in der Didaktik des Englischen, sondern auch in der Sprachwissenschaft, in der Literatur- und Kulturwissenschaft und in den Bildungswissenschaften.“ Transfer gehört ihrer Auffassung nach zum Kerngeschäft aller Fachdidaktiken, die in der Lehrerbildung die Verbindungen zwischen Theorie, Empirie und Praxis herstellen.
„In meinem Fall spielt dabei die englische Sprache eine herausragende Rolle,“ betont Diehr und stellt klar, dass sie von vielen zu Unrecht als besonders leichte Sprache eingestuft wird. „Das Englische ist eine der wortreichsten Sprachen der Erde und birgt so manchen Stolperstein.“ Sie erzählt schmunzelnd, wie sie selbst einmal ins Stolpern kam und sich tüchtig ärgerte, weil sie es hätte besser wissen müssen. „Ich war zu einem 65. Geburtstag eingeladen und sagte ganz automatisch ‚Congratulations! ´ zu dem Geburtstagskind. Der Mann schaute mich leicht irritiert an und sagte: ‚You thought I wouldn`t make it?´“ Richtig wäre ein einfaches ‚Happy birthday´ oder ‚Many happy returns´ gewesen“, denn, so erläutert sie, „‚Congratulations‘ sagt man zu einer Leistung, wenn jemand etwas großartig gemacht hat, wenn man beispielsweise in Cheltenham das Pferderennen gewonnen hat. ‚Congratulations‘ kann also zu einem pragmatischen Stolperstein werden.“ Und derer gibt es sehr viele, eingedenk der Tatsache, dass im Vergleich zum deutschen Duden, der ca. 300.000 Wörter beinhaltet, das Oxford English Dictionary mehr als 600.000 Wörter umfasst. „Dieser Umfang ist sprachhistorisch zu erklären“ sagt Diehr, „denn das Englische ist durch Assimilation so groß geworden. Die Sprache hat keine Angst vor Überfremdung. Das Englische hat stets Wörter aus anderen Sprachen der Erde aufgenommen. Wo es im Deutschen z. B. nur einen Begriff gibt, hat das Englische zwei, drei oder mehr“, erklärt sie an dem Adjektiv ‚groß´. „Wenn ich im Deutschen von einer großen Leistung, einem großen Tier oder einem großen Haus spreche, verwende ich im Englischen mit den Adjektiven ‚great‘, ‚big‘ oder ‚large‘ immer ein anderes Wort.“ Es gilt daher, angehende Englischlehrerinnen und -lehrer schon in der universitären Englischlehrerbildung darauf vorzubereiten, dass Englisch keine leichte Sprache ist und guter Englischunterricht ein gründliches Studium voraussetzt, das selbstverständlich einen längeren Auslandsaufenthalt umfasst.
 

Prof. Dr. Bärbel Diehr / Didaktik des Englischen
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Ein guter Englischunterricht muss vermittelt werden

Die Frage nach den Qualitätskriterien eines guten Englischunterrichtes beantwortet die gebürtige Dortmunderin so: „Diese Frage weist in zwei Richtungen. Was soll bei gutem Englischunterricht herauskommen? Das ist für mich die wichtigste Frage, die fachdidaktische Frage. Und die zweite Frage lautet: Wie muss Englischunterricht gestaltet sein, damit er diese Ziele auch erreicht? Das ist die fachmethodische Frage.“ Guter Englischunterricht zielt ihrer Auffassung nach auf hohe Sprachkompetenzen und auf Sprachwissen ab. „Er muss aber vor allem einen Bildungsauftrag erfüllen und bei der Sprachvermittlung kulturelles, politisches, demokratisches und globales Lernen fördern.“
Bärbel Diehr ist zudem eine Verfechterin des Bilingualen Unterrichts, welcher seit der Unterzeichnung des Élysée Vertrages von 1963 zunächst die französisch-deutschen Beziehungen durch einen regen Austausch festigen sollte. Seit den 70er und 80er Jahren wird er vom Englischen dominiert. „Ich finde es ganz wichtig, sich daran zu erinnern, dass auch der Bilinguale Unterricht einen Bildungsauftrag hat, der der Völkerverständigung dient und die demokratische Bildung voranbringt.“

Ein guter Englischunterricht muss gestaltet werden

Methoden dazu gibt es sehr viele, aber da beruhigt die Fachdidaktikerin auch gleich die angehenden Lehrkräfte, denn sie kennt die Sorgen der Jungakademiker. „Methoden und Handwerkszeuge des Unterrichtens“, sagt sie, „kann sich jeder im Laufe des Berufslebens aneignen“. Wichtiger als konkrete Methoden sind ihr in der universitären Lehrerbildung das Verständnis für wissenschaftlich fundierte Prinzipien.
Auf drei ausgewählte Prinzipien, die zur Fremdsprachenvermittlung unabdingbar hinzugehören, weist sie ausdrücklich hin: Input, Intake und Output sowie die Reflexion über Sprache. Input meint das Sprachangebot und das Sprachvorbild; deshalb ist es unerlässlich, dass Englischlehrkräfte selbst ein sehr gutes Englisch sprechen. Mit Intake und Output ist die Aneignung und aktive Anwendung der Sprache gemeint, denn nur das eigene Kommunizieren führt zum Lernerfolg. Da sind dann die Lehrkräfte gefragt, die entsprechenden Gesprächsanlässe zu schaffen, d.h. sie müssen überlegen, wofür sich junge Menschen interessieren, worüber sie sprechen möchten und worüber sie nachdenken sollten. Wenn die Lernenden dann noch begreifen, warum bestimmte sprachliche Konstruktionen in der Kommunikation angemessener sind als andere, hat die Reflexion über Sprache begonnen; sie trägt dazu bei, dass die neue Sprache im Weiteren besser verstanden und bewusster angewendet wird.

Das Medium Film im Lehreinsatz

In ihren Lehrveranstaltungen für Lehramtsstudierende thematisiert Diehr auch die Möglichkeiten, die das Medium Film dem Unterricht bietet. „Gerade für den Bereich der Pragmatik (Pragmatik ist die Lehre vom Sprechen als Handeln) ist Film hilfreich, weil er Sprache in einem Kontext zeigt. Die Lehrwerke enthalten vorrangig kurze Texte und auch Einzelsätze. Aber ein Film liefert soziokulturell geprägte Situationen. Ich höre, wie die Personen miteinander sprechen und sehe gleichzeitig, wie sie sich verhalten und welche Gesten sie machen.“ Auch in diesem Bereich hat sie wissenschaftlich geforscht. „Ich bin ein Fan des britischen Films“, schwärmt sie, „deshalb habe ich mich mit seinen Besonderheiten beschäftigt und in dem Motto ‚Small is beautiful‘ zusammengefasst“. Ein paar wesentliche Merkmale fasst sie kurz zusammen: „Die britische Filmindustrie ist sehr lebendig, sehr aktiv, aber sie muss mit schmalem Budget auskommen, also mit einem Bruchteil von dem, was ein Hollywoodfilm kosten darf. Filme wie beispielweise die des Regisseurs Ken Loach (Kes, The Wind that Shakes the Barley, Bread and Roses, Just a Kiss) widmen sich sozialkritischen Themen, arbeiten mit Laienschauspielern statt mit großen Namen, die hohe Gagen verlangen. Die Filme des British Realism sind auf Dialoge und nicht auf Special Effects ausgerichtet. Es geht um Alltagsthemen und das, was jeden von uns interessiert, vor allem zwischenmenschliche Beziehungen, Liebe, Freundschaft, auch Arbeitsverhältnisse, Bedingungen des Aufwachsens, Verlustängste, Versagensängste. All dies wird sprachlich verhandelt.“ Beeindruckend ist für sie dabei die Darstellung von kultureller Diversität. „Es gibt viele sehenswerte Filme, die hybride Identitäten (z. B. britisch-indische oder britisch-pakistanische) und kulturelle Verflechtungen darstellen wie z. B. East is East. Das Zusammenprallen von Kulturen ist oft die Grundlage für Situationskomik wie in Bend it like Beckham oder Anita and me, Filme in denen Kinder und Jugendliche es schaffen, mit Anderssein und Unterschieden konstruktiv umzugehen.“

Mit Humor durch die Brexitdebatte

Und dann ist da noch der berühmte britische Humor, der sich auch in sozialkritischen Kinoproduktionen immer wiederfindet. Beispiele dafür sind Filme wie Swimming with Men über die Midlife Crisis eines Buchhalters und den Zusammenhalt, den er in einer Gruppe von Synchronschwimmern findet, The Full Monty (Ganz oder gar nicht) über die Stahlarbeiter, die aus finanzieller Not als Stripper auftreten oder Billy Elliot – I will dance über den Bergarbeitersohn, der zum Ballett will. Dazu sagt die Wissenschaftlerin: „Ich hatte gehofft, dass Humor auch eine Möglichkeit wäre, mit dem Brexitproblem fertig zu werden. Aber in dieser Debatte ist überhaupt kein Humor enthalten. Und dabei sind Humor und Selbstironie im britischen Diskurs so wichtig.“

Mit Sorge verfolgt Diehr die Entwicklungen um den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, die auch ihre jahrzehntelangen guten Kontakte beeinträchtigen könnten. Bereits während ihrer Professur in Heidelberg vermittelte sie einzelne Studierende in Praktika an drei Schulen in Birmingham und Wales. Diese Verbindungen baute sie nach ihrem Wechsel an die Bergische Universität kontinuierlich aus. Heute hat sie über 30 englische und walisische Schulen im Programm. In diesem Jahr absolvieren knapp 60 Studierende während des Sommersemesters ein Schulpraktikum in den Midlands um Birmingham, in Wales oder Cornwall. Und Diehr kämpft dafür. „Ich weiß nicht, ob die Studierenden in Zukunft ein Visum brauchen. Es ist auch nicht klar, was mit den Erasmusstipendien geschieht. Was passiert, wenn ein No-Deal-Brexit kommt? Wie finanzieren sich die Studierenden dann?“ Über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) konnte sie für dieses Jahr ein neues EU-unabhängiges Stipendienprogramm nutzbar machen. „Es ist wichtig, dass dieses Auslandsprogramm weitergeht. Es hängt nicht nur mein Herz daran, sondern es bringt den Studierenden sehr viel“, sagt sie, „wir haben im Grunde bei diesem Programm keine Abbrecherquote. Es gibt für die ersten Wochen immer Notfalltelefontermine, um Probleme direkt zu klären.“ Im Laufe der Jahre hat sie den Prozessablauf für diesen Auslandsaufenthalt kontinuierlich optimiert. Rückkehrer treffen im September die neuen Ausreisenden (returners meet outgoings) und tauschen Adressen, Kontakte und praktische Tipps aus. Eine Lehrveranstaltung bereitet zudem auf den einsemestrigen Einsatz vor und die persönlichen Kontakte zu allen Schulleitungen ermöglichen auch die personengenaue Zuordnung. „Das Programm beruht auf Vertrauen, die Schulleiterinnen und Schulleiter kenne ich persönlich, und wenn ich ihnen sage, „Ich habe hier eine Person, die passt der Bewerbung nach zu urteilen gut zu eurer Schule“, dann sagen unsere Partner sofort ja. Die Studierenden, die sich erfolgreich bewerben, haben garantiert einen Platz.“

In der Schule bin ich den Menschen gegenüber verpflichtet


Professor Diehr war 22 Jahre als Lehrerin tätig und kann heute sowohl die Perspektive der Wissenschaftlerin als auch die der Pädagogin zusammendenken. „Es war mir lange Zeit nicht bewusst, dass ich diese vermittelnde Funktion ausübe“, erklärt sie. „An der Universität stehen die Phänomene im Vordergrund. Ich erarbeite mir Strukturen, ich erforsche Inhalte, ich wende fachspezifische Methoden an. In der Schule steht immer der Mensch im Vordergrund. In der Schule bin ich den Menschen gegenüber verpflichtet. Diese beiden Seiten müssen zusammengedacht werden und das ist etwas, das die Fachdidaktik grundsätzlich gut leisten kann und vermitteln muss.“ Dazu trägt ihrer Meinung nach insbesondere das KoLBi-Projekt (Kohärenz in der Lehrerbildung) im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Qualitätsoffensive Lehrerbildung bei. Diehr kooperiert in diversen Teilprojekten mit Kolleginnen und Kollegen, gibt Bücher zur Lehrerbildung heraus, ist an Leseworkshops für Grundschüler beteiligt oder bringt zum besseren Verständnis für Studierende, die Didaktik mit der Sprach- und Literaturwissenschaft zusammen. Die Fachdidaktikerin möchte jungen Menschen Mut machen, zukünftigen Schülergenerationen durch guten Englischunterricht „ein Fenster zu neuen Lebenswelten zu öffnen“, wie sie es ausdrückt. Die Lernenden stehen bei ihr nach wie vor immer im Vordergrund. Dazu setzt sie in der Lehre neben fachwissenschaftlichen Methoden und Analyseverfahren auch digitale Medien und Filme ein und vermittelt durch intensive, persönliche Auslandskontakte, Schulpraktika in Großbritannien. Das ist in der Tat eine Leistung, zu der man mit recht sagen kann: Congratulations.

Uwe Blass (Gespräch vom 20.03.2019)



Prof. Dr. Bärbel Diehr studierte Anglistik/Amerikanistik und Erziehungswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und der Universität zu Köln. Bis 2002 arbeitete sie als Lehrerin an einem Gymnasium in Ennepetal, bildete als Fachleiterin für Englisch am Studienseminar in Hagen Referendarinnen und Referendare aus und war als abgeordnete Lehrerin am Englischen Seminar der Ruhr-Universität in Bochum tätig. Nach ihrer Promotion lehrte sie zunächst an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und wechselte 2007 an die Bergische Universität.

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