Von der internationalen Völkerverständigung der schreibenden Zunft
Der Literaturwissenschaftler Matías Martínez über die Gründung des Autorenverbandes PEN vor 100 Jahren
Am 05. Oktober 1921 wurde der wohl bekannteste internationale Autorenverband PEN gegründet. Was bedeutet PEN eigentlich und was verbirgt sich dahinter?
Martínez: PEN ist einerseits ein Akronym für ‚Poets, Essayists, Novelists‘ und andererseits natürlich das englische Wort für ‚Schreibstift‘. Der Name ist also ein Wortspiel, das auch als solches auf den Beruf der Mitglieder hinweist. Der Verband wurde von der englischen Romanschriftstellerin Amy Dawson Scott in London gegründet.
Aus welchem Grund wurde der Autorenverband ins Leben gerufen?
Martínez: Er sollte nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs dem Frieden und der Völkerverständigung dienen, indem er Schriftstellerinnen und Schriftsteller möglichst vieler Nationen in einer humanistischen Grundhaltung miteinander ins Gespräch brachte. Deshalb gab und gibt es einerseits nationale PEN-Zentren, andererseits als Dachverband den Internationalen PEN.
Der Autorenverband ist ursprünglich aus der Friedensbewegung heraus entstanden und kämpft mit seinen Grundsätzen vor allem für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit sowie gegen jegliche Art von Zensur. Hat er damit wirklich Einfluss? Wie politisch ist dieser Verband?
Martínez: Den tatsächlichen (nicht nur erhofften und beanspruchten) Einfluss von Schriftstellern auf die reale Politik zu messen, ist schwierig. Schriftsteller sind ja keine politischen Entscheidungsträger und auch keine Experten, die man wegen ihres Fachwissens um Rat fragt. Andererseits ziehen sie ihre besondere, immer auch anfällige Autorität gerade aus der Distanz zur Macht und zum spezialisierten Fachwissen. Schriftsteller sind selbsternannte Fachleute für das subjektiv erfahrene Allgemeine. Sie können versuchen, eine gesellschaftliche Atmosphäre mitzuprägen, die dann indirekt politisch wirksam wird. Der PEN wurde in seiner Geschichte immer wieder zum Opfer der Politik, andererseits hat er durchaus Debatten geführt und Positionen formuliert, die gesellschaftlich gehört wurden. Konkrete politische Bedeutung haben die beiden PEN-Komitees ‚Writers in Prison‘ und ‚Writers in Exile‘, die gefangene und vertriebene Schriftstellerinnen und Schriftsteller unterstützen.
Der erste Präsident des PEN war der spätere Literaturnobelpreisträger John Galsworthy. Für Politik sah er keinen Platz im Verband, das Motto lautete: „No politics, under no circumstances“. Dieses Motto war aber nicht lange haltbar, oder?
Martínez: Nein. Auf der Jahrestagung des internationalen PEN 1926 in Berlin forderten deutsche Schriftsteller wie Ernst Toller und Bertolt Brecht eine Politisierung des PEN. Schon in den Zwanziger Jahren mussten sich alle Mitglieder zu einer universalistischen Charta bekennen, die sich für Presse- und Meinungsfreiheit und gegen Zensur, Nationalismus, Klassen- und Rassendiskriminierung wandte. Mit der nationalsozialistischen Gleichschaltung der Kultur- und Literaturverbände 1933 führte diese Haltung zu Konflikten.
In der nationalsozialistischen Zeit wurden ab 1933 alle Juden und Kommunisten aus dem deutschen Autorenverband ausgeschlossen. Der internationale PEN verurteilte das nicht. Warum nicht?
Martínez: Das war eine vorübergehende Unsicherheit, in der allerdings eine grundsätzlich schwierige Position des PEN als internationale Organisation erkennbar wird. Bis heute versucht der PEN mal mehr, mal weniger erfolgreich, für seine politischen Grundüberzeugungen einzutreten und sich zugleich aus den nationalen Tagesgeschäften herauszuhalten. Das deutsche PEN-Zentrum wurde 1933/4 (leider auch durch die Mithilfe eines meiner Lieblingsautoren, Gottfried Benn) aufgelöst und durch eine ‚Union nationaler Schriftsteller‘ ersetzt. Als Reaktion entstand das ‚PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland‘ mit Heinrich Mann als Präsident.
1947 wurde der deutsche PEN neugegründet, teilte sich dann 1951 in Ost und West und kam erst wieder 1998 zu einem gemeinsamen Verband zusammen. Welche Prioritäten vertritt er heute?
Martínez: Der deutsche wie der internationale PEN verteidigen Meinungsfreiheit und bedrohte Schriftstellerinnen und Schriftsteller weltweit. Beide unterstützten z.B. ohne Wenn und Aber Salman Rushdie im Kampf gegen die lebensbedrohliche Fatwa. Bemerkenswert ist übrigens, wie lang es dauerte, bis die PEN-Zentren der DDR und der Bundesrepublik sich wieder zusammenschlossen. Die vielfältigen Diskussionen der beteiligten Schriftsteller auf dem Weg dorthin zeigen am Einzelfall der Literatur wie im Brennglas viele grundsätzliche Probleme der deutschen Wiedervereinigung.
Der PEN International fungiert als Dachverband für 144 Zentren in 102 Ländern und ist beratendes Mitglied der UNESCO. Heinrich Böll war sogar von 1971 bis 1974 Präsident des internationalen PEN. Wie werden die Mitglieder eigentlich ausgewählt?
Martínez: An der Mitgliederauswahl zeigt sich bis heute die Gründung des PEN nach dem Vorbild englischer Clubs: Man wird ausgeguckt. Infrage kommt, wer mindestens zwei Bücher veröffentlicht hat. Aber auch dann kann man sich nicht selbst bewerben, sondern muss von zwei Mitgliedern vorgeschlagen und von der Mitgliederversammlung gewählt werden. Jedes neue Mitglied muss sich ausdrücklich zu den Grundsätzen der Charta des Internationalen PEN bekennen.
Uwe Blass (Gespräch vom 04.10.2021)
Matías Martínez studierte Germanistik und Philosophie an der Georg-August-Universität in Göttingen und promovierte ebenda. Er habilitierte sich 2001 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und kam 2004 an die Bergische Universität. Hier leitet er den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturgeschichte.