Die Kreation einer Ikone
Prof. Dr. Julia Bornhorst / Lebensmittelchemie
Foto: UniService Transfer

Die Kreation einer Ikone

1920 wird das Parfum Chanel N° 5 erfunden
Ein Jahr100Wissen-Interview mit der Lebensmittelchemikerin Prof. Dr. Julia Bornhorst


Vor 100 Jahren wurde der erfolgreichste Damenduft aller Zeiten, Chanel Nº 5, erfunden. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit alle 30 Sekunden ein Flakon verkauft wird. Woraus besteht eigentlich ein Parfum?

Bornhorst: Das ist eine spannende Frage, die uns Lebensmittelchemiker häufig beschäftigt, weil wir uns nicht nur mit Lebensmitteln befassen, sondern auch mit Kosmetika und Bedarfsgegenständen. Und zu den Kosmetika gehört natürlich auch das Parfum und deren Zusammensetzungen. Parfum ist definiert als ein Riechstoff, der den Körpergeruch überdecken oder einen Duft verändern soll. Ein Parfum besteht hauptsächlich aus Alkohol plus destilliertem Wasser und man hat dann noch –früher häufiger als heute- ätherischen Öle, sowohl aus Blumen als auch aus tierischen Produkten, zugesetzt. Heute benutzt man weniger natürliche Essenzen als vielmehr synthetische Stoffe. Dadurch erhält ein Parfum ein total aufregendes Duftbouquet aus ganz verschiedenen Verbindungen. Es können zwischen 12 und 600 Verbindungen sein, die die Gesamtnote ausmachen. Daran sieht man auch, wie eng die Parfumherstellung mit der eigentlichen Chemie verknüpft ist. Wir haben viele Aldehyde, d.h. es sind unter anderem viele kleine, flüchtige Verbindungen, die beim Auftragen im Idealfall direkt die Nase erreichen. Spannend dabei ist die Tatsache, dass sich ein Parfümduft aus drei unterschiedlichen Noten zusammensetzt. Zuerst haben wir die Kopfnote, dann die Herznote und schließlich die Basisnote. Die Kopfnote ist die, die die Kunden im Geschäft überzeugt, das Produkt zu kaufen. Es ist der erste Eindruck, den man durch Auftragen und Riechen erhält. Die Herznote zeigt einem mehrere Stunden später, wie sich das Parfum mit dem eigenen Körpergeruch verbindet. Daher werden im Duft sehr viele blumige Noten verwendet. Und die Basisnote ist für den langanhaltenden Geruch verantwortlich. Und das sind eher schwere Verbindungen, wo man auch teilweise weg vom blumigen Duft, tierische Moschusaromen einsetzt. Man unterscheidet diese drei Noten ganz klar und für die häufige Nutzung eines Duftes sind daher eher die Herz- und Basisnote entscheidend und nicht die spontane Entscheidung im Geschäft.

Kreiert wurde Chanel Nº 5 von dem ehemaligen französischen Chemiker und Parfümeur des russischen Zarenhofes, Ernest Beaux. Es besteht aus genau 31 Parfüm-Rohstoffen. Welche sind das zum Beispiel?

Bornhorst: Beim Parfum nutzt man vor allem sehr kleine Moleküle, weil die flüchtig sein müssen, damit sie die Nase direkt erreichen. Bei Chanel Nº 5 hat man erstmalig eine Aldehydüberdosis kreiert, d.h. man hat mit vielen synthetischen Aldehyden gearbeitet, und das war zur damaligen Zeit etwas ganz Besonderes. Die Kopfnote wird geruchlich von einem strahlendfrischen, leicht metallisch-wachsig-rauchigen Aldehyd-Komplex dominiert, mit seinen typischen Anklängen an Rosenblätter und Orangenschalen. Die zitrusartigen Facetten werden durch Bergamottöl, Linalool und Petitgrainöl aufgenommen und unterstrichen. Die Herznote wird u.a. von den Dufteckpfeilern Jasmin, Rose, Maiglöckchen, Iris-Butter und Ylang-Ylang-Öl aufgespannt. Weitere Bestandteile sind Mairose, Neroli-Essenz und brasilianische Tonkabohnen. Nuanciert wird dieser Duft durch Sandelholz- und Patchouliöl. Vanillin, Coumarin und Storax leiten dann zum betont sinnlichen Moschus-Komplex über, der im Schlussakt der Komposition das Thema bestimmt und im Original von 1921 aus echten Moschusanteilen bestand.

So entstand eine enorm breite Duftnote. Interessant ist, dass neben den ganzen synthetischen Stoffen, Chanel bis heute damit wirbt, dass hier noch Extrakte von Jasmin und der Mairose enthalten sind, die in Grasse angebaut werden. Dadurch wird sowohl die Kopf- als auch Basisnote geprägt, und das ist schon einzigartig für so ein Edelparfum.

Coco Chanel wollte diesen Duft ursprünglich nur als kleines, auf 100 Flakons limitiertes Weihnachtsgeschenk für ausgewählte Kundinnen ordern und war von der Nachfrage überwältigt, so dass das Parfum 1922 in Produktion ging. Was ist das Betörende an diesem Duft?

Bornhorst: Ich glaube, man muss einfach die Zeit sehen, in der es entstanden ist. Chanel Nº 5 war revolutionär, denn damals gab es mehr Parfums, die nur an eine bestimmte Blume erinnert haben. Chanel Nº 5 ist aber ein Gesamtensemble von verschiedenen blumigen, aber auch tierischen Essenzen. Durch die Nutzung der Aldehyde hat man der Kreation einen unfassbaren Schwung gegeben, denn die Stoffe hatten eine ungeheure Diffusionskraft, d.h. diese Duftzusammensetzung war bei den Damen auch über einen längeren Zeitraum riechbar. Coco Chanel hat damals gesagt, sie kreiere ein Parfum für Frauen, dass den Duft der Frauen trägt. Schon durch das Marketing hat sie den Frauen das Gefühl gegeben, der Duft übertünche nicht den eigenen Geruch, sondern vervollkommne sie.

Auch der Flakon hat eine ganz eigene Form. Sehr zurückhaltend, hat man sich eher an einem Behältnis für Herrendüfte orientiert. Diese Schlichtheit hat sich bis heute nicht verändert und Chanel versteht sich perfekt in Sachen Marketing. Man hat früh erkannt wie wichtig das Marketing für den Verkauf ist. Zuerst hat Coco Chanel als Stilikone ihr Parfum selber vermarktet. Man hat Marylin Monroe mit dem Slogan ´Ich trage nachts nichts außer ein paar Tropfen Chanel Nº 5 ` engagiert und einen enormen Absatz des Parfums erreicht. Später hat man Berühmtheiten wie Catherine Deneuve gewinnen können und mit Brad Pitt sogar das erste männliche Model eingesetzt, der ein weibliches Parfum vertritt. Dadurch ist das Produkt ständig in der Presse und damit in aller Munde. Chanel Nº 5 betört durch den eigentlichen Duft, den Flakon und die sehr gute Marketingstrategie.

Gibt es eigentlich Duftstoffe, die den Menschen manipulieren?

Bornhorst: Auf jeden Fall. Ich glaube, das passiert ständig mit uns. Der menschliche Geruchssinn ist Teil des Gehirns. Wenn wir etwas riechen, merken wir uns nicht die chemische Verbindung, sondern wir speichern es ab als Emotion, als Sinneseindruck und verbinden es meistens auch mit sozialen Aspekten. Wenn man Kamingeruch wahrnimmt, dann hat man oft ein positives, wohliges Gefühl, bei dem Geruch von frischem Brot freut man sich aufs Frühstück. Genauso verhält es sich auch bei Düften. Auch die Partnerwahl wird so gesteuert. Der Geruchssinn ist unfassbar wichtig für uns, auch um uns vor Gefahren zu schützen. Ein Brandgeruch bringt uns zum Handeln oder fliehen. Andere Gerüche, wie z.B. der Besuch eines Jahrmarktes mit Zuckerwatte und Bonbons animieren zum Kauf und Verzehr von Süßigkeiten. Das Riechen ist direkt mit der Emotion verbunden. Die Riechnerven sind Nervenzellen, Neuronen. An ihren Ausläufern sitzen die unterschiedlichen Rezeptoren, an denen sich die nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip ankommenden Düfte andocken, ein Signal auslösen und über den Riechkolben geleitet, direkt ins Gehirn gesendet werden. Und dort wird zu jedem Duft eine bestimmte Emotion abgespeichert. Jedes Neuron trägt ein Gen für einen spezifischen Duft –und wir reden hier von Millionen von Nervenzellen- in nur einer Nase. Dafür hat es erst 2004 den Nobelpreis gegeben. Der Nobelpreis für Medizin und Physiologie ging an die „Entdeckung der Geruchsrezeptoren und der Organisation des olfaktorischen Systems“. Es hat eben lange gedauert, um diesen Prozess zu charakterisieren. Gehirn und Riechen müssen wir in einem engen Zusammenhang betrachten.

Nach welchen Kriterien suchen Sie ein Parfum aus?

Bornhorst: Ich mag es persönlich eher frisch und blumig und nicht zu intensiv in der Basisnote. Ich achte immer darauf, dass ich sowohl Parfums als auch parfümierte Deodorants oder Duschgels regelmäßig wechsele, weil es einen sogenannten Adaptationseffekt gibt. Wenn sie immer das gleiche Parfum nehmen, dann brauchen sie immer mehr davon, um den Duft selber wahrnehmen zu können. Die Nervenzellen bilden sich alle fünf- bis sechs Wochen neu. Um sich also nicht an diesen Adaptationseffekt zu gewöhnen, sollte man sich auch mal eine Pause von seinem Lieblingsduft gönnen.

Uwe Blass (Gespräch vom 17.09.2020)

Julia Bornhorst studierte und promovierte an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster. Sie arbeitete fünf Jahre am Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Potsdam. Seit Januar 2019 ist sie Professorin für Lebensmittelchemie an der Bergischen Universität.

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