Löwenzahn
Prof` in Dr. Gertrud Lohaus/ Botanik
Foto: UniService Third Mission

Die Botanikerin Gertrud Lohaus über den Gewöhnlichen Löwenzahn

Frau Lohaus, um welche Pflanze handelt es sich denn beim Gewöhnlichen Löwenzahn eigentlich, und wo kommt er ursprünglich her?

Lohaus: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Meine Mitarbeiterin sagte „jeder kennt ihn, aber keiner erkennt ihn“ oder „jeder erkennt ihn, aber keiner kennt ihn“, ganz wie sie wollen. Dieses Pflänzchen ist botanisch ein echtes Schwergewicht.

Löwenzahn bezeichnet hier Taraxacum, eine Pflanzengattung. Diese Gattung gehört zur Pflanzenfamilie der Korbblütengewächse (Asteraceae). Korbblütengewächse, weil die vermeintliche Blüte vom Löwenzahn ein Korb voll Blüten ist, die eine Einzelblüte vortäuschen. Der bekannteste Vertreter bei uns ist vermutlich der Gewöhnliche Löwenzahn, der bezeichnet wird als Taraxacum Sektion Ruderalia. Es ist also keine einzelne Art, sondern eine ganze Gruppe von ähnlichen Arten oder Unterarten innerhalb der Gattung Taraxacum.

Die Populationen des Gewöhnlichen Löwenzahns lassen sich nicht als Art definieren, da sie das biologische Artkonzept „sprengen“. Es gibt sehr viele ähnliche Pflanzengruppen sowie viele Übergangsformen. Dennoch können sich bestimmte Pflanzengruppen nicht mit anderen kreuzen, was sie eigentlich jeweils eine eigene Art sein lässt. Dieses „sich nicht kreuzen können“ beruht darauf, dass die Pflanzen eine genetische Besonderheit haben, da viele nicht nur einen doppelten Chromosomensatz haben, sondern einen dreifachen oder gar vierfachen. Daher werden die Pflanzen gemeinsam als Sektion Ruderalia bezeichnet. Auch über die Anzahl der Arten, die zu dieser Sektion gehören gibt es unterschiedliche Meinungen. Manche gehen von wenigen Arten aus, andere definieren mehrere hundert Arten! Und alles ist Gewöhnlicher Löwenzahn.

Der Gewöhnliche Löwenzahn stammt ursprünglich aus Europa bzw. dem westlichen Asien, ist aber auf der ganzen Nordhalbkugel weit verbreitet. Löwenzahn kommt auf vielen Wiesen und Weiden vor, insbesondere, wenn sie stark mit Gülle oder Kunstdünger gedüngt wurden. Löwenzahn verträgt viel Nitrat. Löwenzahn ist aber auch an ganz vielen anderen Standorten zu finden, in Mauerritzen, an Straßenrändern, hier auf dem Campus an verschiedensten Stellen.

Gewöhnlicher
Löwenzahn
Foto: UniService Third Mission

Löwenzahn wird häufig als lästiges Unkraut angesehen, dabei ist die Pflanze mit ihren langen Wurzeln durchaus wichtig für unseren Boden. Warum?

Lohaus: Ob Löwenzahn wirklich wichtiger für den Boden ist als andere Pflanzenarten ist, weiß ich nicht. Durch die langen Pfahlwurzeln kann Löwenzahn jedenfalls auch aus tieferen Schichten Wasser bekommen.

Er hat mehr Vitamine als alle anderen Gemüsesorten. Sogar beim Eisengehalt übertrifft Löwenzahn den von Spinat um das 30-Fache. Stimmt das?

Lohaus: Bei solchen Aussagen wäre ich vorsichtig. Um welche Vitamine handelt es sich denn? Viele grüne Gemüsesorten sind reich an Vitaminen, z.B. Grünkohl. Neben der Art bzw. Sorte kommt es natürlich darauf an, wo die Pflanze wächst, unter welchen Bedingungen usw. So können bei den Gehalten riesige Unterschiede auftreten.

Auch die Tierwelt profitiert von ihm. Wodurch?

Lohaus: Löwenzahn bietet vielen Insekten Nahrung in Form von Pollen und Nektar. Andere Pflanzenfresser nutzen die Blätter. Kinder, die Kaninchen als Haustiere haben, suchen in der Regel auch Löwenzahn für sie.

Löwenzahn ist eine der vitaminreichsten Wildpflanzen in unserer Region. Wozu kann man ihn denn verwenden?

Lohaus: Wie gesagt, ob das mit dem vitaminreichsten so stimmt, bezweifle ich? Es wurden bestimmt noch nicht alle Arten untersucht. Die jungen Blätter vom Löwenzahn lassen sich als Salat verwenden. Da Löwenzahn etwas bitter ist, ist er in der Regel nur ein Teil des Salats. Unser „Kopfsalat“ und viele weitere Salatsorten gehören übrigens auch zu den Asteraceen, den Korbblütengewächsen, d.h. zur gleichen Pflanzenfamilie.

Geschmacklich ist Löwenzahn als Salat vergleichbar mit Radicchio oder Chicorée, weil er Taraxacin enthält. Das hat ihm auch seine unrühmlichen Spitznamen wie Pissblume und Bettschisser eingebracht. Was bewirkt er im Körper?

Lohaus: Löwenzahn wirkt harntreibend. Wie stark dieser Effekt ist, kann ich aber leider oder glücklicherweise nicht sagen, da ich noch nie so große Mengen zu mir genommen habe. Welche Stoffe des Löwenzahns dies auslösen ist bisher wohl noch nicht ganz geklärt. Taraxacin als Bitterstoff wird eher als anregend für die Verdauung beschrieben und nicht unbedingt in Zusammenhang mit „harntreibend“.

So bitter die Blätter auch sind, um so süßer sind die Blüten. Wie kommt das?

Lohaus: In den Blütenblättern ist Zucker vorhanden und zusätzlich ist Blütennektar süß. Blätter enthalten natürlich auch Zucker und entsprechend größere Mengen an Bitterstoffen.

Aus den Wurzeln kann man sogar Kaffee selber machen, der etwas malzig, nussig und herb, je nach Erntezeitraum der Wurzeln, schmeckt. Die Pflanze ist in Zeiten von Nachhaltigkeit eigentlich ein Allrounder, oder?

Lohaus: Die Wurzeln enthalten einen Stoff namens Inulin (ein Polymer aus Fructose). Wenn dieser Stoff geröstet wird, gibt es einen malzigen Geschmack. Auch andere Pflanzen, die für Malzkaffee verwendet werden, enthalten diesen Stoff, z.B. Zichorien (Wegwarte). Ich bin selber nicht so ein Fan von Malz- oder Getreidekaffee. Eine Tasse „echter Bohnenkaffee“ oder ein Espresso/Cappuccino ist mir lieber. Das ist natürlich Geschmackssache; Löwenzahn enthält jedenfalls kein Koffein.

Blühstadien des Löwenzahns, CC BY-SA 3.0

Die Stängel haben einen weißlichen Milchsaft, der nach einer Pressemeldung des Fraunhofer Institutes (IME) nun auch als Kleber genutzt werden könnte. Zitat: „Wir haben das Enzym gefunden, das für die schnelle Polymerisation verantwortlich ist und haben dieses ausgeschaltet“, sagt Prof. Dr. Dirk Prüfer, Abteilungsleiter am IME.
„Wird die Pflanze beschädigt, fließt das Latex heraus statt zu polymerisieren. Wir erhalten etwa die vier- bis fünffache Menge wie üblich. Würden die Pflanzen großtechnisch angebaut, ließen sich so auf einem Hektar 500 bis 1.000 Kilogramm Latex pro Vegetationsperiode produzieren.“ So könnte man zukünftig Naturkautschuk in Europa produzieren, oder?

Lohaus: Das hört sich erst mal gut an, müsste jedoch berechnet werden, ob es sich lohnt und was sonst noch alles bei der Produktion zu beachten ist.

Welche Eigenschaft schätzen sie denn am Löwenzahn?

Lohaus: Als Kind habe ich oft die Pusteblumen gepflückt und auch heute finde ich es noch faszinierend wie die Samen mit den „Schirmchen“ durch die Luft fliegen.

Uwe Blass

Prof. Dr. Gertrud Lohaus übernahm 2009 die Professur für Molekulare Pflanzenforschung/Pflanzenbiochemie an der Bergischen Universität Wuppertal