Rotierende Gewitterzellen
Prof. Dr. Peter Wiesen / Physikalische und Theoretische Chemie
Foto: Malte Reiter

Rotierende Gewitterzellen

Peter Wiesen über den amerikanischen Tri-State Tornado und deutsche Pionierforschung

Der Tri-State Tornado gilt als der gefährlichste Tornado, der am 18. März 1925 die Vereinigten Staaten heimgesucht hat. Woran macht man das fest?

Wiesen: „Tornados“ sind eigentlich ein meteorologisches Phänomen. Ich bin Physikochemiker mit der Spezialität Luftchemie. Dennoch verfolge ich natürlich im Zusammenhang mit dem Klimawandel dessen Auswirkungen. Durch die steigende Durchschnittstemperatur ist - einfach gesprochen - mehr Energie in der Atmosphäre, wodurch die Wahrscheinlichkeit für Wetterextreme steigt. Damit sind wir dann auch direkt bei Tornados, die man trefflich als ein Extremwetterereignis beschreiben kann.

Der angesprochene Tri-State Tornado, der ja nun ziemlich genau vor 100 Jahren im März 1925 in den USA stattfand, war nicht der stärkste in der Geschichte, aber der, der sich über eine ungewöhnlich große Strecke von drei Bundesstaaten bewegte. Dort hinterließ er eine Schneise der Verwüstung. Mit 695 Toten war es die bislang größte Opferzahl, die in den USA durch einen Tornado zu beklagen war.

Er fegte rund 352 km nonstop durchs Land. Das ist schon eine extrem weite Strecke, oder?

Wiesen: Diese Schneise der Verwüstung war wirklich extrem lang und ungewöhnlich. Dieser Tornado war allerdings mit 95 km/h auch sehr schnell unterwegs und dauerte gut 3,5 Stunden. Üblicherweise ist die Geschwindigkeit, mit der sich Tornados am Boden bewegen etwa 50 km/h, so schnell, wie sich auch die Mutterwolke, üblicherweise eine sogenannte Superzelle, bewegt. Die Rotationsgeschwindigkeit im Tornado ist dabei natürlich deutlich größer. Die höchste je gemessene Windgeschwindigkeit innerhalb eines Tornados lag bei 496 ± 3 km/h. Bei einer solchen Geschwindigkeit halten auch massive Steinhäuser nicht mehr stand.

Oft lösen sich Tornados auch nach wenigen Minuten wieder auf. Das macht die Vorhersage sehr schwierig und den Tornadojägern, die solche Extremwetterereignisse beobachten – teils als Hobby, teils mit wissenschaftlicher Zielsetzung – die Verfolgung eines Tornados extrem schwer.

Tri-State Tornado Originalaufnahme 1925, gemeinfrei

In einer einzigen Stadt verloren 234 Personen ihr Leben, das ist die höchste Zahl in einer einzelnen Stadt in der US-Geschichte. Wie entsteht überhaupt ein Tornado?

Wiesen: Die Entstehung von Tornados ist immer noch nicht abschließend geklärt und wird immer noch erforscht. Es gibt neue Messverfahren, die die Tornadoforschung deutlich vorangebracht haben. Man kennt recht gut die prinzipiellen Mechanismen, die zur Bildung eines Tornados führen können. Hier müssten wir tief in die Physik der Atmosphäre eintauchen. Nur so viel: Es braucht eine labile Luftmasse mit einer großen vertikalen Temperaturabnahme und eine hohe Luftfeuchtigkeit. Früher sprach man in dem Zusammenhang von latenter Wärme. Die Bedingungen für das Auftreten von Tornados findet man in sogenannten Superzellen, also besonders starken Gewitterzellen, die eine Eigenrotation aufweisen.

Gibt es eigentlich räumliche oder zeitliche Voraussetzungen unter denen sich ein Tornado entwickelt?

Wiesen: Generell treten Tornados über Land am häufigsten im Frühsommer und dann am wahrscheinlichsten in den frühen Abendstunden auf.

Wie erklärt man denn diese Luftwirbel, die sich scheinbar drehend fortbewegen?

Wiesen: Das ist jetzt wirklich Meteorologie bzw. Physik und die Luftwirbel drehen sich nicht nur scheinbar. Damit sich ein drehender Luftwirbel bildet, muss eine sogenannte Windscherung vorliegen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Windgeschwindigkeit mit der Höhe über dem Boden zunimmt und sich die Windrichtung mit der Höhe ändert (vertikale Windscherung).

Es gibt mesozyklonale und nicht-mesozyklonale Tornados. Was ist denn der Unterschied?

Wiesen: Nur bei sogenannten mesozyklonalen Tornados tritt die oben genannte starke vertikale Windscherung auf. Das beobachtet man bei den Superzellen, die man mitunter auch in Deutschland antrifft. Eine solche Superzelle mit Namen Ela traf am Pfingstmontag 2014 unter anderem auf NRW und hinterließ große Schäden. Superzellen, auch Mesozyklone genannt, sind Gewitterzellen mit einem rotierenden Aufwind.

Nur bei solchen Superzellen beobachtet man starke Tornados, aber auch nicht bei allen. Man geht davon aus, dass es etwa bei 10-20% der Superzellen zur Bildung von Tornados kommt. Meines Wissens wurden bei Ela keine Tornados beobachtet.

Die Tornados drehen sich dann auf der Nordhalbkugel der Erde gegen den Uhrzeigersinn und auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn.

Bei nicht-mesozyklonalen Tornados kommt es zur Bildung eines Tornados, ohne dass ein Mesozyklon auftritt. Auch hier bedarf es einer Windscherung. Solche Tornados sind aber meist nur von kurzer Dauer und geringer Intensität.

Welchen Durchmesser kann denn so ein Tornado haben?

Wiesen: Der Durchmesser eines Tornados kann sehr unterschiedlich sein. Durchmesser von wenigen Metern bis hin zu 500 m oder einem Kilometer sind schon beobachtet worden. Manchmal bilden sich mehrere Wirbel, die dann um ein gemeinsames Zentrum kreisen. Dann spricht man von einem Multivortextornado.

Die Klassifizierung eines Tornados erfolgt nach der sogenannten Fujita-Skala. Was ist das?

Wiesen: Die Klassifizierung eines Tornados geht auf den Sturmforscher Tetsuya Fujita zurück, der diese von F0 bis F6 bzw. F12 reichende Skala 1971 einführte. Mit dieser Skala kann man die Schäden von Tornados klassifizieren. Der Tri-State-Tornado hätte nach dieser Skala die Klassifizierung F5 gehabt. Ein Tornado der Stufe F6 ist bislang nicht beobachtet worden. Die Skala ist in den USA weit verbreitet. Seit 2007 benutzt man in den USA die „enhanced Fujita Skala“ (EF), die aber außerhalb der USA nicht anerkannt ist.

Entwicklung eines Tornados: Zusammengesetzt aus acht Bildern, als sich ein Tornado in Kansas gebildet hat.
Foto: Jason Weingart, CC BY-SA 4.0

Interessanterweise ist die Tornadoforschung in Europa älter als die in den USA. Und in Deutschland gilt der Forscher Johannes Peter Letzmann (1885 – 1971) sogar als Pionier. Warum wurde dessen Arbeit nicht fortgeführt?

Wiesen: Das ist richtig. Sogar Alfred Wegener, der vielen eher als Polarforscher bekannt ist und auf den die Plattentektonik, also die Verschiebung der Kontinentalplatten zurückgeht, hatte sich bereits 1917 mit Wind- oder Wasserhosen und sogenannten Großtromben beschäftigt. Letzmann hatte das Pech, dass der 2. Weltkrieg seine Forschung stark einschränkte und nach dem 2. Weltkrieg zum Erliegen kam.

In den USA brachte die Entwicklung des Wetterradars einen großen Schub in der Tornadoforschung. Außerdem treten in den USA Tornados entlang der sogenannten „Tornado Alley“ in den Bundesstaaten Texas, Oklahoma, Kansas und Nebraska viel häufiger als in Europa auf

Hat es auch schon in Deutschland Tornados gegeben?

Wiesen: Natürlich hat es das. Gott sei Dank treten diese aber viel seltener auf als in den USA und zumeist sind sie auch relativ schwach und haben damit ein vergleichsweise geringes Zerstörungspotential. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand wäre ein Tornado mit der Stärke F5 wie der Tri-State-Tornado ein Jahrhundertereignis oder eher noch seltener.

Werden im Zuge des Klimawandels solche Phänomene zunehmen?

Wiesen: Das ist mit Sicherheit nicht zu sagen. Wie eingangs erwähnt, nimmt der Energiegehalt der Atmosphäre mit steigenden Temperaturen zu und damit auch die Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse. Der in den letzten Jahren beobachtete Anstieg der Fälle ist aber vermutlich auf die bessere Erfassung zurückzuführen.

In den USA verfügt man auf Grund der intensiven Forschung über eine gute Zeitreihe von Tornadoereignissen, aus der sich weder eine Zunahme der Ereignisse noch eine größere Stärke ableiten lässt.

Uwe Blass

Prof. Dr. Peter Wiesen ist Atmosphärenchemiker in der Physikalischen und Theoretischen Chemie in der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften an der Bergischen Universität. Unter seiner Leitung nimmt das 2021 gegründete Institut für Atmosphären- und Umweltforschung am ATMO-ACCESS-Projekt der europäischen Kommission sowie an der europäischen Forschungsinfrastruktur ACTRIS teil, dessen deutscher Beitrag vom TROPOS- Institut der Leibniz-Gemeinschaft in Leipzig koordiniert wird.