Ein Mann des Ausgleichs
Dr. Arne Karsten über Friedrich Ebert, den ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik
Friedrich Ebert, der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, starb am 28. Februar 1925 in Berlin mit gerade einmal 54 Jahren. Wer war dieser Mann?
Karsten: Friedrich Ebert war zunächst einmal ein Sozialaufsteiger, ein Mann, der aus ganz kleinen Verhältnissen kam, Sohn eines Schneidermeisters war und es zum Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches brachte. Ein Triumph, hinter dem sich aber auch viel Tragik verbirgt, denn der Hintergrund sind die welterschütternden, zerstörerischen Wirkungen des Ersten Weltkriegs, der Zusammenbruch der alten gesellschaftlichen Ordnung in Deutschland, Revolution, bürgerkriegsartige Zustände und eine innere Spannung in der Weimarer Republik, die ganz wesentlich für den frühen Tod Friedrich Eberts verantwortlich ist.
Er erlernte den Beruf des Sattlers, ging dann von 1888 bis 1891 auf Wanderschaft und kam auch nach Elberfeld und Remscheid. Was hat er hier gemacht?
Karsten: Das waren die klassischen Lehr- und Wanderjahre, die Handwerksburschen als Teil ihrer Ausbildung zu absolvieren hatten. Eine Zeit der Freiheit, der Ungebundenheit, allerdings auch oft der materiellen Not. Friedrich Ebert hat die Arbeitslosigkeit am eigenen Leib kennengelernt, hat hier und da auf Zeit bei Meisterbetrieben angeheuert, und diese Anstellungen auf Zeit waren meist schlecht bezahlt.
1889 trat er in die SAP ein, die ein Jahr später zur SPD wurde. Seine Parteiarbeit führte dann auch zu einer Festanstellung als Redakteur der Bremer Bürgerzeitung, die er jedoch nach einem Jahr wieder verließ um eine Gastwirtschaft zu eröffnen. Das war schon ein unsteter Lebenswandel, oder?
Karsten: Ein sehr unsteter Lebenswandel, und auch eine gewissermaßen zeittypische Lebensgeschichte, geprägt von Unsicherheit und Umbrüchen. Man lebte im Zeitalter der Industrialisierung. Das Handwerksdasein war in die Krise geraten. Ein Sattlermeister hatte zu konkurrieren mit massenhaft hergestellten Produkten aus großen Industriebetrieben. Überall geriet das Handwerk in Schwierigkeiten, überall suchten Handwerker Auswege aus der permanenten Krise. Und Eberts Lebensweg ist insofern idealtypisch, als er sich in verschiedenen Berufen versuchte, eben auch im Parteiestablishment, in der politischen Organisation der Arbeiterschaft. Ebert war 1912 sogar Abgeordneter für Elberfeld im Reichstag und hat sich dann für die Region stark gemacht.
Er etablierte sich auch als politischer Redner, vor allem in Bremen, wo er lebte. Seine Reden galten als gut recherchiert, scharfzüngig und ironisch. Ebnete ihm das auch die politische Karriere?
Karsten: Ein guter Redner zu sein, ist in Zeiten der sich entwickelnden Demokratie natürlich immer von Vorteil, es ermöglicht die Einflussnahme auf die Wählerschaft, ein Trumpf, den Ebert ausspielen konnte.
Bei Ebert dominierte nicht die politische, sondern die gewerkschaftliche Arbeit. Woran konnte man das erkennen?
Karsten: Er war selber Gewerkschaftsmitglied, er hatte von klein auf in den Lehr- und Wanderjahren den Kontakt zu Arbeiterzusammenschlüssen gesucht, kannte aus der Praxis die Nöte der Arbeiterschaft und war dmentsprechend sensibel für die Ziele der Gewerkschaftsarbeit zur Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft.
Nach dem Tod von August Bebel 1913 folgte ihm Ebert mit 433 von 473 Stimmen ins Amt des Parteivorsitzenden. Das bedeutet doch Zustimmung auf ganzer Linie, oder?
Karsten: Auf jeden Fall. Ebert hatte sich zu diesem Zeitpunkt sowohl in der Partei profiliert, als auch durch seine Kontakte zu der Gewerkschaft und galt als ausgesprochener Mann des Ausgleichs. Wie in allen Parteien gab es auch in der Massenorganisation der SPD Flügelkämpfe und –strömungen, und Ebert verstand es ausgezeichnet, zwischen diesen innerparteilichen Strömungen immer wieder Konsens herzustellen.
Während des Ersten Weltkrieges konnte Ebert die Partei nicht mehr einen. Warum nicht?
Karsten: Die grundsätzliche Frage für die Arbeiterschaft 1914 war, wem die Priorität gilt: der internationalen Solidarität der Arbeiter oder der Solidarität mit dem Vaterland? So sah man das in der deutschen SPD, wie auch in anderen Nationen. Wir haben die ähnlichen Debatten in Frankreich oder in England. Vor dem Krieg hieß es, die Arbeiter in Europa werden sich nicht vom Kapital in die Schützengräber jagen lassen, genau das passierte aber. Das Pathos der nationalen Not triumphierte über die Solidarität der Arbeiterschaft. „Wir werden das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht allein lassen.“ Das war die Position der Mehrheitssozialisten, mit der sich auch Ebert identifizierte. Es gab einen kleinen Flügel um Karl Liebknecht, der die Kriegskredite, die zur Finanzierung des Krieges notwendig waren, nicht bewilligen wollte, und daraus resultierte dann die grundsätzliche Spaltung der Partei.
Nach dem Krieg strebte Ebert eine parlamentarische Monarchie an. Aus welchem Grund?
Karsten: Ebert war seinem ganzen Naturell nach, seiner ganzen Grundüberzeugung nach, ein überzeugter Monarchist. Er wollte eine verfassungsmäßige, eine konstitutionelle Monarchie, er erkannte dem Monarchen als Staatsoberhaupt nach wie vor eine wichtige, über den Parteien stehende, ausgleichende Funktion zu. Er sagte, als ihm Max von Baden die Kanzlerwürde weiterreichte, er wolle die soziale Revolution verhindern, er hasse die Revolution wie die Pest. Ebert war ein Reformer, kein Revolutionär.
Ebert erhielt am 9. November 1918 durch Prinz Max von Baden das Amt des Reichskanzlers. Das war aber nicht der offizielle Weg, oder?
Karsten: Den offiziellen Weg gab es im Moment der Revolution nicht, der Kaiser dankte ab, es gab ein Machtvakuum. Wer sollte dieses Machtvakuum ausfüllen? Bekanntlich wurde die Republik ja auch zwei Mal ausgerufen, von Scheidemann und von Liebknecht. Das zeigt bereits das ganze Chaos, in dem sich Deutschland nach der Abdankung des Kaisers wiederfand, die sehr plötzlich kam, obwohl sie sich angebahnt hatte.
Er stellte sich an die Spitze der Revolution, um sie in parlamentarische Bahnen zu lenken. Er wollte auf keinen Fall russische Verhältnisse, ließ den Spartakusaufstand niederschlagen und drängte auf Neuwahlen. Am 11. Februar 1919 wird Ebert Reichspräsident und bleibt es bis zu seinem Tod. Was prägt seine Präsidentschaft?
Karsten: Zum einen, von seiner Seite, die Bemühung, ausgleichend auch in dieser Position zu wirken, die Parteikämpfe in Deutschland, die erbitterten politischen Auseinandersetzungen zu mildern und die junge Demokratie mehrheitsfähig zu erhalten. Zum anderen war seine Präsidentschaft von außen betrachtet geprägt durch die Polarisierung zwischen den Parteien und die ungeheuren Anfeindungen von rechts und von links. Ebert hat um die 200 Prozesse geführt gegen Verleumdungen. Man muss nur mal die Schriften Tucholskys, des großen linken Publizisten, der für die Weltbühne schrieb, über Ebert lesen, dann sieht man, wie der Mann buchstäblich zwischen den Reaktionären, die die Monarchie wiederhaben wollten und den Revolutionären, denen die Weimarer Republik und die Veränderungen, die dazu geführt haben, einfach nicht weit genug gingen, die die soziale Revolution nach bolschewistischem Vorbild wollten, zerrieben wurde.
Kurz nach seinem Tod wurde die nach ihm benannte Friedrich-Ebert-Stiftung gegründet. Welche Aufgabe hat sie?
Karsten: Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist die Parteistiftung der SPD. Das erklärte Ziel ist die Förderung des demokratischen Gedankens in der Gesellschaft zu unterstützen und durch alle möglichen Veranstaltungen zu fördern. Die Stiftung unterhält Büros in verschiedenen Hauptstädten weltweit, sie bietet Stipendien an, veranstaltet Tagungen oder Symposien. All das gehört zu ihren Aufgaben.
Nach 1946 hat man auch die Königstraße in Wuppertal in Friedrich-Ebert-Straße umbenannt, die noch heute so heißt und auf der Hardt befindet sich ein Gedenkstein. Aber so richtig bekannt ist er nicht mehr, oder?
Karsten: Wenn ich in meinen Lehrveranstaltungen fragen würde: Wer war Friedrich Ebert, würde ich sicherlich nur sehr wenige Antworten bekommen. Das hängt mit dem generellen Verschwinden des historischen Bewusstseins zusammen, das muss ich konstatieren. Kenntnisse über Geschichte schrumpfen, der Geschichtsunterricht in den Schulen schrumpft genauso zusammen, vermittelt werden noch einige Klischees, die man als Negativfolie für die dunkle Vergangenheit, vor der sich unsere strahlende Zukunft umso glänzender abhebt, braucht. Sobald es aber komplizierter wird, wenn es dann wirklich um Geschichte mit all ihren Widersprüchen geht, verschwinden die Kenntnisse. Und auch Friedrich Ebert ist zwar als Namensgeber für Plätze und Straßen nach wie vor präsent, aber nach welcher großen Persönlichkeit diese Straßen benannt wurden, das wissen heute immer weniger Menschen.
Uwe Blass
PD Dr. Arne Karsten (*1969) studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Göttingen, Rom und Berlin. Von 2001 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin. Seit dem Wintersemester 2009 lehrt er als Junior-Professor, seit der Habilitation 2016 als Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität.