KI in der Bildung
Zwischen Tradition und Technologie
Wie steht es um die Zukunft des Schreibens?
Es ist schwierig, das genau zu prognostizieren. Ich glaube wir werden in Zukunft anders schreiben. Das, was wir jetzt mit Papier und Stift machen – uns Notizen machen, das auch nutzen, um auf Ideen zu kommen – wird mehr und mehr ausgelagert werden. Wir werden viel mehr mit digitalen Geräten schreiben, vielleicht auch noch mehr diktieren. Vielleicht werden auch bestimmte Schreibtätigkeiten von den Geräten ganz übernommen.
Hat der Stift bald ausgedient?
Gut am Schreiben mit dem Stift ist, dass wir Schreiben und Bewegung koppeln und das hilft sehr beim Merken. Das heißt für den Schriftspracherwerb in der Grundschule ist es tatsächlich wichtig, mit dem Stift zu schreiben. Aber wir haben auch schon gesehen, dass sich die Schreibmedien sehr verändert haben. Früher haben wir mit Feder geschrieben, dann kam der Füller. Jetzt wird mittlerweile viel mit Bleistift oder auch Kugelschreiber geschrieben. Wir beobachten Studierende, die sich mit dem Stift auf dem Tablet Notizen machen. Wir können mittlerweile die Form des Schreibens wählen, die wir besonders mögen, aber dafür muss man auch erst einmal ein gewisses Repertoire haben.
Warum ist es also wichtig, dass wir handschriftlich schreiben lernen?
Schüler*innen sollten es unbedingt weiterhin lernen, um überhaupt eine Idee von Buchstaben zu bekommen. Über Bewegung lernen sie, dass Buchstaben in einer ganz bestimmten Form realisiert werden. Auch wenn das Schreiben mit dem Stift feinmotorisch relativ schwierig ist (schwieriger als Tippen oder Wischen), würde ich sagen, dass sich die Anstrengung lohnt.
Wie verändern digitale Geräte das Schreiben? Selbst Grundschüler*innen arbeiten mittlerweile mit Tablets…
Die Geräte können sinnvoll eingesetzt werden. Und es gibt tolle Apps, zum Beispiel zum kooperativen Geschichtenschreiben. Aber das ist kein Selbstläufer. Es braucht immer einen didaktischen Rahmen. Wenn dieser Rahmen fehlt, dann besteht die Gefahr, dass es nur spielerisch und nicht lernförderlich genutzt wird. Man muss als Lehrkraft also genau überlegen, wozu setze ich das Gerät ein? Und in welchem Umfang setze ich es ein? Beim Tablet – weniger schlimm als beim Handy – ist die Bildschirmgröße beschränkt. Bei Papier kann man in größeren Dimensionen denken und das kann für Schüler*innen gerade am Anfang wichtig sein.
Neben den digitalen Medien wird auch KI unsere Schreibprozesse verändern. Muss ich heute noch Dinge wie Rechtschreibung und Grammatik lernen, wo KI-Tools mir die Arbeit mittlerweile abnehmen?
Ich beantworte diese Frage aus der Perspektive von jemanden, der sich für das Texte schreiben interessiert. Denn dafür ist es weniger relevant, denn Rechtschreibung und Grammatik können die Computer ganz gut übernehmen. Aber trotzdem ist es sinnvoll, dass ich Rechtschreibung lerne. Es hilft zu verstehen, wie Sprache funktioniert. Allerdings erscheint es mir auch relevant, dass ein zu starkes Fokussieren auf die Orthografie und den daran gebundenen Umgang mit Schreibfehlern sehr viele Ressourcen bindet. Zudem führt es zu Frust bei den Schreibenden und mittlerweile zu einer gewissen Schreibmüdigkeit. Viele trauen sich aus Angst vor Fehlern nicht mehr, überhaupt einen Satz zu schreiben. Oder schreiben nur Wörter, die sie ohnehin kennen, dadurch werden die Texte uninteressant. Und wenn man da ein etwas entspannteres Verhältnis zu Fehlern entwickeln würde – im Hinblick darauf, dass es später genug unterstützende Software gibt – dann könnte das den Schreib- und Lernprozess fördern und beflügeln.
Wie soll das in der Schule umgesetzt werden?
Ich würde mir wünschen, dass Lehrer*innen diesbezüglich – und im Rahmen ihrer Möglichkeiten – ein bisschen zuversichtlicher werden. Die Lehrkräfte müssen natürlich die Texte ihrer Schüler*innen verstehen können, sprich die Schüler*innen müssen zumindest so schreiben, dass man eine Idee davon bekommt, was sie schreiben wollten und sie sollten natürlich Rechtschreibung lernen. Es ist nur die Frage, ob das in den Texten so stark gewichtet sein muss. Ich spreche hier nicht von Diktaten. Aber beim selbstständigen Schreiben von Texten gibt es so viele kognitive Prozesse, die koordiniert werden müssen: Man muss über den Inhalt nachdenken, die Struktur, man muss sich Wörter überlegen für das, was man ausdrücken will, und dann muss man das alles umsetzen – es ist wirklich recht schwierig und da würde ich mir wirklich wünschen, dass man etwas stärker darüber nachdenkt, ob beispielsweise der Fokus auf die Orthografie in die Überarbeitungsphase verschoben wird.
Halten Sie KI-Tools und digitale Medien eher für Segen als Fluch?
Es ist doch toll, was wir damit ermöglichen. Nehmen wir zum Beispiel einen Floristen. Der ist vielleicht hervorragend in seinem Beruf, schreibt aber sehr ungern Texte, das Verfassen von Angeboten belastet ihn womöglich. Wenn er das dann mit solchen Tools umsetzen kann, ist das doch ein großer Gewinn. Ich glaube, dass KI-Tools Zugänge zu Sprache und Schrift ermöglichen und Barrieren überwinden helfen.
Geht es um die Entdeckung solcher Zugänge auch im „Virtuellen Kompetenzzentrum: Schreiben lehren und lernen mit KI“, das Sie mitgegründet haben?
Wir haben das VK:KIWA vor der Veröffentlichung von ChatGPT (November 2022) ins Leben gerufen, bis dahin war KI in der Bildung noch ein Nischenthema. Dann sind wir von der Entwicklung ein bisschen überrollt worden. Wir verknüpfen mit dem Kompetenzzentrum verschiedene Zielsetzungen, wir forschen gemeinsam, engagieren uns in der Fortbildung und helfen Akteur*innen in Bildungsinstitutionen bei den jetzt anstehenden Transformationsprozessen. Darüber hinaus haben sich Think Tanks gegründet, in denen spezifische Fragen diskutiert werden und sich Akteur*innen miteinander vernetzen.
Wie steht es um das wissenschaftliche Schreiben: Welche Veränderungen und Herausforderungen sehen Sie hier? Sind Hausarbeiten oder gar Abschlussarbeiten passé?
Wir müssen auf jeden Fall über alternative Prüfungsformate nachdenken. Ich glaube, dass es für manche Fächer noch nie sehr viel Sinn gemacht hat, eine Bachelorarbeit zu schreiben und diese Fächer nutzen es natürlich, diese nun im Zuge der Diskussion abzuschaffen. Für die Geisteswissenschaften etwa sind schriftliche Arbeiten sehr wichtig, weil sie eine Form des Denkens sind, die unserer Art der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sehr entgegenkommt. Ich weiß nicht, ob es so viele Arbeiten braucht, weil es auch schwer ist, die alle gut zu betreuen. Und wenn sie nicht gut betreut sind – und die Studierenden auch nicht erkennen, wozu sie das genau machen – dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass sie sich an solchen Stellen der KI bedienen und dass diese Bedienung nicht zielführend ist.
Finden Sie das problematisch?
Eine ganze Abschlussarbeit schreibt einem ChatGPT nicht. Man muss das durch Prompts – also die Anweisungen, die man der KI gibt – schon sehr aufwendig selbst gestalten. Oft werden in studentischen Arbeiten auch Themen diskutiert, die noch neu sind und bei denen einem – zumindest ChatGPT – nicht so weitreichend nutzt. Aber natürlich kann es an bestimmten Stellen eine Hilfestellung sein. Ich finde es gar nicht problematisch, wenn man erste Ideen über ChatGPT ausprobiert. Oder man sich einen chinesischen Artikel auf deutsch zusammenfassen lässt, weil man ihn sonst nicht zur Kenntnis nehmen würde. Da muss man eben genau überprüfen, an welchen Stellen man KI im Prozess einsetzt. So, dass man selbst noch eine Form von Kontrolle hat und zu neuen Erkenntnissen kommt. Noch ist die Situation für Studierende und Lehrende aber recht ungeregelt. Insofern begrüße ich sehr die Initiativen rund um das Leitbild Lehre und die bald veröffentlichte Handreichung zu KI an der Bergischen Uni.
Wie halten Sie es denn mit Ihren Studierenden?
Ich selbst gebe ein Seminar über KI im Deutschunterricht. Und da wäre es natürlich sehr merkwürdig, wenn ich sagen würde, für die Hausarbeit dürfe man die entsprechenden Tools nicht einsetzen. Meine Studierenden dürfen bei mir alles benutzen, müssen es aber ausweisen und sie müssen die Prompts im Literaturverzeichnis angeben. Das ist etwas mühsam und führt vielleicht dazu, dass sie die Texte dann doch lieber selbst schreiben. Es ist mir wichtig, dass die Studierenden reflektieren, was sie da tun. Und wir besprechen vorher genau, welche Tools sich für was eignen. Dass es zum Beispiel sehr gute Suchmaschinen und Literaturverwaltungsprogramme gibt und beides nicht auf ChatGPT zutrifft. Mir geht es darum, dass sie viele Tools kennen und sie wissen, was diese spezifisch können, um sie dann gezielt einzusetzen. Grundlegend ist also eine kritisch-konstruktive Haltung.
Wagen Sie einen Ausblick: In welche Richtung könnte es gehen?
Ich würde mir wünschen, dass man sich bei Routinearbeiten ein Stück weit von der KI helfen lässt. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht reagieren, sondern dass wir diejenigen sind, die das Ganze so wie Puppenspieler*innen in der Hand haben. Dass man also bei den anstrengenden Aufgaben und bei Routineaufgaben Entlastung schafft, wenn man sie braucht, aber bei den Themen, bei denen es um kritische und wichtige Aspekte geht, dass man das dann selbst in die eigene Hand nimmt.
Forschungsarbeit
Kirsten Schindlers Forschungsinteressen liegen im Bereich Schreiben von Texten, Erwerb von Schreib- und Textkompetenzen (in Schule, Hochschule und Beruf) sowie Überlegungen dazu, wie sich das Schreiben unter dem Einfluss digitaler Medien verändert. Dazu kooperiert sie mit zahlreichen Schulen. An einem Projekt mit einem Essener Gymnasium etwa sind mehrere Masterstudierende beteiligt, die sich u. a. damit beschäftigen, wie man KI in Facharbeiten integrieren kann.
Eine bereits laufende Kooperation mit einer Wuppertaler Grundschule soll nun ausgebaut werden. Dort geht Kirsten Schindler der Frage nach, inwieweit KI genutzt werden kann, um Schüler*innen mit unterschiedlichen Förderbedarfen zu unterstützen, zum Beispiel indem sie – bei Problemen mit der Rechtschreibung – ihre Texte diktieren.
In Zusammenarbeit mit dem Wuppertaler Interdisziplinären Zentrum Machine Learning and Data Analytics (IZMD) entwickelt Schindler außerdem ein automatisiertes Analysewerkzeug, das in der Lage sein soll, von Schüler*innen verfasste Texte zu verarbeiten. Grundlage dafür ist ein großer Fundus an erzählenden Texten von Schüler*innen aus der vierten Klasse, die auf typographische Besonderheiten sowie Auffälligkeiten analysiert werden. Die gewonnenen Erkenntnisse können genutzt werden, um Lehrkräften Einblicke in musterhafte Formulierungsausdrücke und stilistische Präferenzen von Schüler*innen unterschiedlicher Altersstufen zu geben. Das Analysewerkzeug soll Lehrer*innen auch als Diagnostikinstrument dienen, um zu sehen, was erwartbare Schwierigkeiten bei Schüler*innen sind.