Zwischen Heimat und hier – Filmstudenten der Bergischen Uni widmen sich Emotionen des Ukrainekriegs
„Ich bin nicht groß politisch aktiv, aber der Ukraine-Konflikt trifft mich sehr, da ich auch persönlich involviert bin. Der Film ist meine Form, mich mit dem Thema zu beschäftigen und andere Menschen als Zuschauende mitzunehmen“, erklärt Regisseur Ilja. Er studiert im siebten Semester Design Audiovisueller Medien an der Bergischen Uni; das neue, Ende Januar abgeschlossene Filmprojekt „In Between“ ist das vorletzte vor dem Bachelorabschluss. Und es ist für ihn und Mitstudent Sebastian, der sich auf die Bildgestaltung fokussiert, das nunmehr größte Projekt, das sie bislang umgesetzt haben.
„Im Laufe des Studiums kristallisieren sich Gruppen heraus, die gut zusammen funktionieren. Wir hatten bereits das Filmprojekt davor zusammen gemacht, wollten aufgrund der positiven Erfahrungen auch das nächste gemeinsam umsetzen“, erklärt Sebastian. So saßen sie im März 2023 zusammen. In den Köpfen die Idee, einen fiktiven Film zu drehen, der den Ukrainekrieg thematisiert. „Ich bin selbst mit meinen Eltern aus Russland nach Deutschland gekommen als ich vier Jahre alt war. Mein Bruder hat eine ukrainische Freundin. Mich bewegt, was in diesem Konflikt passiert“, sagt Ilja.
In welche Richtung es genau gehen sollte, war damals noch nicht klar. „Konkret wurde es, nachdem wir uns in der Recherche mit einem ukrainischen Ehepaar unterhalten haben“, erinnert sich Sebastian. Durch die beiden kommen die Studenten in Kontakt mit einem Theaterensemble aus Kiew, das nach der Flucht eine neue schauspielerische Heimat am Wuppertaler K4 Theater gefunden hat. „Das war ein Glücksfall. Die Gruppe war sehr schnell bereit, mit uns zu sprechen“, berichtet Ilja. Die Filmemacher tauschen sich vor allem mit drei Frauen aus, die offen über das Erlebte und ihre Gedanken sprechen – auf Englisch. „Ich verstehe und spreche zwar auch Russisch“, erzählt Ilja, „aber wir haben uns bewusst dagegen entschieden, darauf zu kommunizieren.“
Die Frage nach dem „Wie lange?“
Von Beginn an sei eine gewisse Vertrautheit zu spüren gewesen. Die Ukrainerinnen geben tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt. Sie berichten, wie schwierig es sei zwischen Heimat und hier: anfangs seien sie davon ausgegangen, schnell wieder in die Ukraine zurückkehren zu können, doch dieser Fall tritt nicht an. Heute, fast genau zwei Jahre nach Kriegsbeginn, weiß niemand, wann oder ob es überhaupt zurückgehen kann. „Um uns diesen Zustand näherzubringen, gebrauchte eine der drei Frauen den Ausdruck ,in between‘ – man ist da, man wartet, aber was macht man in der Zwischenzeit, deren Dauer man gar nicht kennt?“, fasst Sebastian zusammen. Damit war die Hauptaussage des Films gefunden, die später auch zum Titel wurde: „in between“, auf Deutsch „zwischen“. An diesem Gefühl richten die Nachwuchsfilmer fortan die Arbeit am Drehbuch aus. Mit ihren Entwürfen können sie immer wieder auf die drei Schauspielerinnen zugehen, die das Projekt von Anfang bis Ende intensiv begleiten werden. Jeder Dialog, jeder durch ihn vermittelte Eindruck und Inhalt hat eine reale Grundlage. Die erzählte Geschichte bleibt jedoch fiktiv.
Die Story: In Between
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hält seit über einem Jahr an. Die 21-jährige Ira findet sich mit ihrer Mutter in einem fremden Deutschland wieder, abgeschnitten von Heimat, Familie und Freund*innen, auf der Suche nach Halt. Nach vielen Zweifeln fasst sie den Entschluss, ihrer vernachlässigten Leidenschaft für das Schwimmen neues Leben einzuhauchen. Eigentlich, so ihr anfänglicher Gedanke und ohne das Ausmaß der andauernden Ungewissheit zu kennen, wollte sie erst mit der Rückkehr in die Ukraine wieder ins Becken steigen. Auch ihrer Mutter zuliebe will sie nun versuchen, zumindest zeitweise Fuß an einem neuen Ort zu fassen. Im Schwimmbad trifft sie auf eine alte Bekannte, mit der sie sich erstmals über ihre Sorgen und Gedanken austauscht: lernt man die neue Sprache, fängt man etwas Neues an, wie bewältigt man einen Alltag im Schwebezustand?
Weitere Infos auf der Webseite des Filmprojekts.
Es folgt ein Casting, auch die Darstellerinnen, alle weiblich, sollen aus der Ukraine kommen. Zunächst gestaltet sich die Suche schwierig. Über eine Plattform zur Vermittlung von ausgebildeten Schauspieler*innen kommen sie in Kontakt mit ihrer späteren Hauptdarstellerin. Sie fragen viele weitere Kultureinrichtungen an. Einige von ihnen haben nach Kriegsausbruch extra Unterstützungsprogramme für ukrainische Geflüchtete aus der Kreativbranche gestartet. „Nach und nach wuchs dann das Netzwerk, häufig auch über Kontakte der jeweils neu hinzukommenden Mitwirkenden. Wir haben letztlich nicht nur professionelle Darstellerinnen ausgewählt, aber sie alle haben Fluchterfahrungen gemacht“, berichtet Sebastian. Das eint sie auch am Set. Ilja erinnert sich: „Die Stimmung bei den Dreharbeiten war vor und hinter der Kamera sehr gut – trotz des ernsten Hintergrundes. Die Bedeutung der Gemeinschaft – von der auch die Frauen vom Theater zuvor gesprochen hatten – durch die sie sich gegenseitig Hoffnung schenken und sich aufrecht halten, war deutlich spürbar. Uns wurde schnell signalisiert, dass wir mit dem Drehbuch den Gefühlen Ausdruck verleihen, die sie alle kennen. Und, dass es für alle wertvoll ist, sie auf die Leinwand zu bringen.“ Für das volle Maß an Authentizität wird der Film auf Ukrainisch gedreht, später mit Deutsch untertitelt.
Filmproduktion schreitet voran
Fünf Drehtage werden es im Sommer 2023. Im begleitenden Seminar an der Uni geben sich alle Gruppen immer wieder gegenseitig Feedback zum Stand ihrer Projekte, zudem werden die beiden von Dozent Till Müller betreut und beraten. Die Postproduktion nach dem eigentlichen Dreh bis zur endgültigen Fertigstellung dauert bis in den Januar 2024 hinein. Dank einer Förderung durch das Projekt „Kultur trifft Kultur“, das der Kulturrat NRW 2022 initiierte, haben die beiden ein Budget, das ihnen dabei hilft, mit erfahrenen Profis zusammenzuarbeiten. Konsequent nutzen sie auch für die Perfektion von Ton- und Bildgestaltung Expertise aus der Ukraine.
An ihrem Projekt, das spüren beide Studenten, sind sie persönlich und fachlich gewachsen. Erfahrungen aus vorangegangenen Projekten und Praktika konnten sie darüber hinaus gut einfließen lassen und umsetzen: „Proaktiv sein, sich etwas trauen, das richtige Gespür bei der inhaltlichen Entwicklung des Filmstoffs beweisen, eine professionelle Nachbearbeitung, die Zusammenarbeit mit der gesamten Filmcrew – all das haben wir im Zuge der Arbeit an ,In Between‘ vertiefen können, und darüber hinaus noch neue Herausforderungen gemeistert. Zum Beispiel, einen Film auf einer fremden Sprache zu drehen und zu schneiden. Gestik und Mimik nimmt man dann noch feinfühliger wahr“, gibt Ilja Einblicke.
Publikum für den Film
Jetzt wollen sie natürlich, dass der Film auch gesehen wird. Am besten gelingt das über die Teilnahme an Festivals. Doch um einen Slot im jeweiligen Programm müssen sie sich bewerben. Die Konkurrenz sei groß, mit den ersten Entscheidungen rechnen sie im Frühling. Auch bei einem Festival in Kiew haben sie sich mit „In Between“ beworben. „Wir können erfreulicherweise auch einen Teil des Förderbudgets für die Bewerbungen nutzen, die für uns mit Kosten verbunden sind. Entsprechend weit fassen wir die Auswahl der Wettbewerbe und hoffen darauf, dass wir Erfolg haben werden“, kommentiert Sebastian.
Wie beeindruckend es ist, den eigenen Film, einem Publikum vorzuführen, durften die beiden vor Kurzem erleben: Im Wuppertaler Cinema Kino fand Anfang Februar eine private Premiere mit den Filmbeteiligten, Kommiliton*innen und engen Freund*innen statt. „Da der Kulturrat mit seinem Programm keine reine Filmförderung betreibt, war eine der Bedingungen, dass wir uns auch über den Film hinaus gemeinsam austauschen und ihn mit anderen Kulturformaten verknüpfen. So sind wir auf die Idee mit der Premiere und einer anschließenden Diskussion gekommen“, erklärt Ilja. Und die war – wenn auch nicht öffentlich, da einige der anvisierten Festivals ein exklusives Premierenrecht* verlangen – ein voller Erfolg. Die beiden sind sich einig: „Der Abend verlief wirklich fantastisch. Es war toll, dass sich so unterschiedliche Menschen in einem Raum versammeln, um gemeinsam unseren Film zu sehen, und sich danach mit uns und den Beteiligten über Inhalt und Wirkung austauschen.“ Ihr Eindruck: Die Botschaft über das Befinden von Menschen, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, ist angekommen und hat das Potenzial, auch Außenstehende zum Nachdenken über das Geschehen(e) anzuregen.
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*Aufgrund des Premierenrechts kann der Film aktuell auf keiner Plattform veröffentlicht werden. Nach der Festivalsaison, unabhängig von dortigen Teilnahmen, soll er im Rahmen der LOOP, der Jahresausstellung der Abteilung Mediendesign und Raumgestaltung, an der Bergischen Uni zu sehen sein. Alle Infos zur LOOP 2024 werden im Laufe des Jahres auf der Veranstaltungswebseite veröffentlicht und nach und nach ergänzt.
Der Studiengang: Design Audiovisueller Medien
Der Teilstudiengang Design Audiovisueller Medien (DAM) an der Bergischen Universität Wuppertal bietet die recht einzigartige Möglichkeit für ein Universitätsstudium im Bereich Film. Das Studium ist ein betont praktisches Filmstudium, vergleichbar mit einem Studium an künstlerischen Filmakademien oder Filmhochschulen. Im Projektstudium gestalten Studierende Bild (Video) und Ton (Audio) zum Zwecke einer gezielten filmischen Narration in allen erdenklichen Formaten und Genres. Klassische Anwendungsbeispiele der Filmproduktion wie inszenierter Film, Dokumentarfilm und Imagefilm sind hier ebenso vertreten wie innovative Formen im Experimentalfilm, Musikvideo, Lernfilm, Animation usw. Dabei erproben sich die Studierenden in den verschiedenen Tätigkeiten im Umfeld einer Filmproduktion: Drehbuch, Regie, Bildgestaltung / Kamera, Licht, Sound / Audiotechnik, Filmediting / Filmmontage usw. Die filmische Praxis wird stets begleitet durch die Filmwissenschaft. Filmtheorie und Filmgeschichte sind fester Bestandteil des Studiums.
Mehr Infos auf der Webseite des Studiengangs.