Lebenslanges Lernen
Promotion im Ruhestand: Manfred Hucke zum Doktor-Ingenieur ernannt
Eine spontane Entscheidung aus dem Bauch heraus war die Promotion im Ruhestand nicht. Auch Langeweile spielte keine Rolle, denn Manfred Hucke wusste privat wie nebenberuflich, viel mit seiner Zeit anzufangen, ist aktiv, hat Hobbies. Vielmehr kam im Herbst 2016 eins zum anderen und Manfred Hucke setzte die einstige Idee, die stets im Hinterkopf geblieben war, in die Tat um. So wurde er an der Bergischen Universität zum Promotionsstudent der Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik, betreut von Prof. Dr.-Ing. Uli Barth.
Bevor es dazu kam, standen Professor und Doktorand in einem anderen Verhältnis. „An die Bergische Uni gekommen bin ich 2010. Von da an habe ich Kurse im Rahmen des damals neu konzipierten internationalen Sicherheitsworkshops für die chemische Prozessindustrie gegeben“, erzählt Hucke. Diesen Workshop hatte Prof. Barth auf Wunsch des Auswärtigen Amtes in Berlin an seinem Lehrstuhl „Methoden der Sicherheitstechnik/Unfallforschung“ entwickelt. Bis heute wird er in enger Kooperation mit der OPCW, der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, in Wuppertal durchgeführt. Teilnehmende aus der ganzen Welt lernen dort, Risiken abzuschätzen und mit Chemieunfällen umzugehen, beziehungsweise sie im besten Fall durch gezielte Maßnahmen ganz zu vermeiden.
Erfahrungen als Dozent
„Prof. Barth und ich kannten uns zu diesem Zeitpunkt bereits über die Berufsgenossenschaft Chemie, für die ich als Tutor tätig war. Im Zuge der Kursentwicklung kam er schließlich auf mich zu, und fragte, ob ich mir ein Engagement als Dozent in Wuppertal vorstellen könnte“, erinnert sich Hucke, der die Anfrage bejahte. Denn auch das Lehren an einer Hochschule war ihm nicht fremd, hatte er in der Vergangenheit schon Vorlesungen an der McGill Universität im kanadischen Montreal gegeben.
Im Laufe der Zeit kam es im Kreis des Kollegiums an der Wuppertaler Uni zu Gesprächen über die Risikoanalyse und den Explosionsschutz für sogenannte verfahrenstechnische Anlagen, zu denen beispielsweise Anlagen zählen, in denen chemische Reaktionen ablaufen. Dort identifizierte die Runde spannende Forschungslücken. Der Reiz, diese anzugehen, war so groß, dass Hucke mit der Idee einer Promotion auf Prof. Barth zuging. „Eine seiner ersten Reaktionen war, ob ich mir das in meinem Alter wirklich noch antun wolle“, sagt Hucke. Doch danach habe er von Skepsis auf Seiten seines Betreuers nie wieder etwas gespürt – im Gegenteil: „Die Unterstützung, die ich von Prof. Barth und seinem Team, von der Fakultät und später von Prof. Roland Goertz, der die Betreuung der Arbeit übernommen hat, als Prof. Barth selbst in den Ruhestand ging, erhalten habe, war großartig und für mich überhaupt nicht selbstverständlich.“
In seiner Promotion ging er die folgenden acht Jahre, in denen die Corona-Pandemie den Fortschritt zeitweise ausbremste, der Frage nach, welche Informationen Betreibende von einer bestimmten Maschinenart benötigen, um wichtige Schutzmaßnahmen vornehmen zu können und wie man diese Daten erhält. „Im Fokus standen Anlagen zur Trocknung, beispielsweise von feuchtem Staub, Pulver oder auch Getreide, das sogenannte Fließbett. In der Industrie kann es zu schweren Unfällen mit diesen Anlagen kommen, denn im schlimmsten Fall herrscht hier Explosionsgefahr“, so Hucke. Und zwar dann, wenn der zu verarbeitende Stoff brennbar ist und durch die zuströmende Luft in einen Zustand versetzt wird, den man fluidisiert nennt: Alle Teilchen sind dann von Gas umgeben, berühren sich nicht mehr und sind als Staub-Luftgemisch potenziell explosionsfähig. Eine wirksame Zündquelle reicht, um die Explosion auszulösen. „Erstrebenswert ist, zu wissen, wann dieser Zustand eintritt und wie er zu bewerten ist. Eine solche Gefahrenbewertung gab im Fall des Fließbetts bis dato nur für den Zustand, in dem der Stoff entweder ruht oder als Staub-Luftgemisch aufgewirbelt ist, nicht jedoch in dem fluidisierten Zwischenzustand.“
Viel Unterstützung und Anerkennung
In seiner Promotion entwickelte Hucke ein mathematisches Modell, mit dem sich Kennzahlen für die Bewertung der Anlage bestimmen lassen, die im Produktionsbetrieb helfen, zur richtigen Zeit, die richtigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Im Mai 2024 beendete er seine Arbeit mit bestandener mündlicher Prüfung vor der Kommission der Fakultät. „Ich würde das wieder machen“, sagt Manfred Hucke und wird dabei nicht müde zu betonen, wie dankbar er ist für jede fachliche und finanzielle sowie private Unterstützung in dieser Zeit, sei es aus der Universität oder aus der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie heraus oder zu Hause durch seine Frau. „Der Universität werde ich sicherlich verbunden bleiben, auch wenn ich meine Lehrtätigkeit 2022 beendet habe. Der Kontakt zu allen Beteiligten ist ein sehr vertrauensvoller. Die nächste Zeit widme ich aber erst einmal gemeinsamen Unternehmungen mit meiner Frau, die zuletzt auch auf vieles verzichten musste“, sichert Hucke zu.
Von seinem Betreuer Uli Barth erhält der frisch gebackene Doktor viel Anerkennung. „Fachlich bewegt sich die Arbeit von Manfred Hucke absolut am Puls der Zeit. Darüber hinaus zeigt sein Beispiel, dass an der Bergischen Universität in puncto lebenslanges Lernen und Gleichberechtigung reale Möglichkeiten für ältere Menschen bestehen.“
Apropos: Wie alt sind Sie denn nun, Herr Hucke? „Das ist nicht so wichtig. Ich sage immer, ich bin über 70, das muss reichen.“ Eine Promotion im Ruhestand eben.
Mehr über Manfred Hucke und seinen Werdegang
Manfred Hucke kommt gebürtig aus Berlin, wo er auch zum Diplom-Ingenieur wurde und als Konstrukteur tätig war. 1966 führte ihn die EXPO 67 nach Kanada. Für die Weltausstellung in Montreal sollte er an einem Prototyp für eine vollautomatische Maschine mitwirken. Hucke zeichnete und konstruierte die Maschine, baute sie schließlich. Er blieb in Montreal und bewarb sich an der McGill Universität, belegte dort außerdem Englischkurse, um auch fachlich Konversation betreiben zu können. Schließlich erhielt er unter 90 Bewerbungen die Zusage für einen freien Masterstudienplatz im Bereich Werkzeugmaschinenbau und Produktion. Nach drei Jahren hielt er sein Master-Zeugnis in der Hand und arbeitete fortan als Experte für die Prozessoptimierung in produzierenden Unternehmen.
In dieser Zeit wagte er auch seinen ersten Anlauf zu einer Promotion, die er neben der Berufstätigkeit verwirklichen wollte. Doch als verlangt wurde, dass er diese in Vollzeit an der Uni absolviert, lehnte er ab. Bis 1974 blieb er der McGill weiter als Dozent treu. Als Chefingenieur verließ er Kanada 1978 und kehrte nach Deutschland zurück. Hier wurde er für ein englisches Unternehmen mit Sitz im nordrhein-westfälischen Hilden für das Gebiet „Europa Festland“ zuständig und war fortan in den Branchen Verfahrenstechnik, Lack- und Pharmazeutische Industrie aktiv. Durch seinen ehemaligen Geschäftsführer, der über ihrer beider Möglichkeiten einer Promotion sinnierte, kam das Thema im Laufe von Huckes Berufstätigkeit ein weiteres Mal auf – und wurde zu einem hartnäckigen Wunschgedanken, den er im Ruhestand schlussendlich in die Tat umgesetzt hat.
Bis heute lebt Manfred Hucke mit seiner Frau Eva in Hilden.