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Lebenswirklichkeiten gestalten, Zuversicht bewahren: 950 Teilnehmende tauschen sich beim Jugendhilfetag Wuppertal aus

21.02.2025|10:55 Uhr

Fast 200.000 Kinder und Jugendliche leben in Deutschland außerhalb ihrer Familien in Wohngruppen oder Pflegefamilien, weitere 300.000 erhalten in ihren Familien Unterstützung durch ambulante Hilfen. Ihnen und ihren Themen gab der 7. Jugendhilfetag Wuppertal, der gestern an der Bergischen Universität stattfand, ein besonderes Forum.

Beim 7. Jugendhilfetag an der Bergischen Universität hießen das Organisationsteam, Vertreter*innen der Stadt, Gastredner und Uni-Rektorin die 950 Teilnehmenden herzlich willkommen. // Foto Marylen Reschop

Mit rund 950 angemeldeten Teilnehmenden war der Jugendhilfetag Wuppertal erneut ausgebucht. Unter dem Leitthema „Lebenswirklichkeiten junger Menschen in der Jugendhilfe: Wahrnehmen. Verstehen. Gemeinsam gestalten“ tauschten sich Fachkräfte und Expert*innen aus der Praxis der Jugendhilfe, aus Schulen und der Wissenschaft sowie Interessierte aus.

Viele junge Menschen hätten nach wie vor gute Gründe für Zuversicht. Das ist eine zentrale Aussage des im April 2024 veröffentlichten 17. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung, an dessen Erstellung Gastredner Prof. Dr. Jens Pothmann (TU Dortmund) maßgeblich mitgewirkt hat. Der Bericht zeige aber auch: Das Zukunftsvertrauen ist insgesamt gesunken. Politik und Gesellschaft sowie speziell die Kinder- und Jugendhilfe seien gefordert, auch in schwierigen Zeiten mit knappen Kassen jungen Menschen vertrauenswürdige Rahmenbedingungen mit starken Angeboten und Leistungen zu bieten. Denn: „Zuversicht braucht Vertrauen.“

Komplexe Herausforderungen gemeinsam meistern

Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe ist es, positive Lebensbedingungen für das Aufwachsen junger Menschen zu schaffen. „Die Komplexität unserer Welt spiegelt sich natürlich auch im Umgang mit den Lebenswirklichkeiten von Heranwachsenden in der Jugendhilfe wider. Angebote und Entwicklungsmöglichkeiten können für die jungen Menschen nur dann produktiv werden, wenn sie gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen oder noch direkter: von ihnen gestaltet werden“, fasste Prof. Dr. Gertrud Oelerich von der Bergischen Universität Wuppertal die Situation und Erfahrungen zusammen. Dies zeigten auch die eigenen Forschungen, so die Professorin für Sozialpädagogik mit Schwerpunkt auf der Kinder- und Jugendhilfe. Dominik Ringler vom Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg und ebenfalls Mitglied der Sachverständigenkommission zum Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung stimmte in seinem Gastvortrag deutlich zu: „Partizipation ist der Schlüssel zur Gestaltung der Lebenswirklichkeiten dieser jungen Menschen.“

Nicht nur gesagt, auch getan

Entsprechend konsequent gab der Jugendhilfetag den jungen Menschen in der Jugendhilfe und ihren verschiedenen Wegen selber Raum. In Form eines Films, produziert vom Medienprojekt Wuppertal, der im Beisein der Jugendlichen gezeigt wurde. Klaus Schmidt, Abteilungsleiter der Jugendhilfe Aprath in der Bergischen Diakonie und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Wuppertaler Erziehungshilfeträger: „Die Perspektiven, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen anzuerkennen und die Kinder und Jugendlichen aktiv in alle sie betreffenden Entscheidungsprozesse einzubeziehen, ist ein essenzieller Bestandteil sozialpädagogischen Handelns.“ Wie herausfordernd die Ausgangslage für alle Beteiligten ist, habe der Film eindrücklich gezeigt. Ebenso wie viel Mut und Kraft Lebenswirklichkeiten in der Jugendhilfe erfordern.

In elf verschiedenen Foren ging es schließlich darum, Chancen und Spielräume für eine gelingende Entwicklung junger Menschen und deren Familien zu besprechen – auch anhand vieler konkreter Beispiele: Wie funktioniert Radikalisierungsprävention in Zeiten von WhatsApp & Co.? Was leistet queere Jugendarbeit für das Verständnis von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, wo kann sie ansetzen? Wie wirken sich die globalen Krisen auf die Psyche junger Menschen aus? Und was bedeutet es, wenn selbst Kleinigkeiten zu teuer sind?

In Wuppertal selbst zum Beispiel leben 35 Prozent der Kinder in Armut. Eine der ganz wichtigen Fragestellungen für Annette Berg, seit vergangenem Dezember neue Dezernentin für Soziales, Jugend, Schule und Integration der Stadt: Wie kann für diese jungen Menschen eine Perspektive geschaffen werden, damit sie in der Zukunft demokratiefähige Teilhabemöglichkeiten haben? Dafür will sie auch Strukturen und nicht nur Einzelfälle in den Blick nehmen, wie sie bei ihrer Teilnahme des Jugendhilfetags betonte: „Wie kann ich diese jungen Menschen nicht nur versorgen, sondern empowern, also sozusagen darin stärken, eigene Perspektiven zu entwickeln? Dafür müssen wir Systeme weiterdenken, die genau das mit im Blick haben.“

Wertvoller Austausch

Die Lebenslage von jungen Menschen und ihren Familien wird auf der einen Seite zunehmend schwieriger. Biografie, Beziehungen, Erlebtes des Individuums in der Jugendhilfe sind immer komplexer. Demgegenüber steht ein Fachkräftemangel, der Kinder- und Jugendhilfe an ihre Grenzen kommen lässt. Im Austausch untereinander wurde beim Wuppertaler Jugendhilfetag deutlich: Gestaltung braucht finanziellen Spielraum für mehr Sicherheit und zeitlichen Freiraum für Ideen. Hier sei auch die Politik aufgefordert, für eine Sichtbarkeit dieser Themen und eine Agenda zu sorgen.

Dankbar sind alle Beteiligten in solch herausfordernden Zeiten für das gute und lebendige Miteinander. „Der Jugendhilfetag ist für die Mitarbeitenden der Jugendhilfe ein ganz besonderer Tag, sie genießen diese Zeit, die Möglichkeit über den Tellerrand zu schauen. Im beruflichen Alltag, der geprägt ist von der Verantwortung für jeden Einzelfall, ist kaum Raum für dieses Matching, also den Austausch zwischen Theorie und Praxis“, beschreibt Christine Roddewig-Oudnia, Leiterin des Wuppertaler Jugendamts. Dieses Gemeinschaftserlebnis sei für alle wichtig, um zu sehen, dass man nicht allein ist.

Die Tagung an der Bergischen Universität konnte damit wieder einmal beweisen, dass sie für fundiertes und lösungsorientiertes Handeln sowie kollegialen Austausch auf Augenhöhe steht. Klaus Schmidt abschließend: „Dieser Tag, eine Wuppertaler Besonderheit, ist keine Selbstverständlichkeit. Aber der hohe Aufwand, den alle Beteiligten dafür betreiben, lohnt sich, wenn man sieht, wie gut es allen tut, sich diesen Tag zu gönnen und zu spüren, Teil eines bemerkenswerten Netzwerks zu sein.“ Der Geist, Jugendhilfe gemeinsam weiterentwickeln zu wollen, sei hier jederzeit spürbar, so Prof. Gertrud Oelerich. Auch das sei ein guter Grund für Zuversicht, darin ist sich das Organisationsteam einig.

Hintergrund

Der Jugendhilfetag Wuppertal wird als Gemeinschaftsprojekt von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in Wuppertal in Kooperation mit der Bergischen Universität (Sozialpädagogik/Kinder- und Jugendhilfe) organisiert.

Das Format versteht sich als kommunales Fachforum erzieherischer Hilfen, bietet die Möglichkeit, sich in Vorträgen und Foren mit aktuellen Konzepten, Ideen und Perspektiven auseinander zu setzen, schafft einen Ort der Präsentation der eigenen Jugendhilfearbeit, stellt einen Raum für Kontakte und Kooperationen unter den Professionellen der Jugendhilfe sowie unter den Akteur*innen aus Wissenschaft und Praxis zur Verfügung und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe in Wuppertal.