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Klimaforschung auf höchstem Niveau: EU-Initiative ACTRIS erhält neuen Status

27.04.2023|11:35 Uhr

In der Initiative ACTRIS kooperieren europaweit zahlreiche wichtige Forschungseinrichtungen, um die treibenden Kräfte des Klimawandels und der Luftverschmutzung zu erforschen sowie Klimamodelle und ihre Vorhersagekraft zu verbessern. Die Europäische Union hat der Initiative nun einen neuen Status verliehen – mit weitreichenden Auswirkungen auch für die Bergische Universität Wuppertal: Als Europäisches Forschungsinfrastruktur-Konsortium, kurz ERIC, sichert ACTRIS die Forschung zu atmosphärischen Prozessen unter Leitung von Prof. Dr. Peter Wiesen am Institut für Atmosphären- und Umweltforschung für mindestens die nächsten 15 bis 20 Jahre.

An ACTRIS beteiligen sich europaweit weit über 100 Forschungseinrichtungen aus 22 Ländern. Neben Observatorien und mobilen Messplattformen spielen auch Simulationskammern und Labore eine wichtige Rolle. Dort werden Prozesse in der Atmosphäre im Experiment nachgestellt. Eine dieser Simulationskammern ist die Leipziger Aerosolkammer (ACD-C), in der photochemische Prozesse in der Atmosphäre untersucht werden. // Foto Tilo Arnhold, TROPOS

Der Klimawandel ist komplex und wird nicht nur von Treibhausgasen bestimmt. Weniger bekannt ist die Bedeutsamkeit natürlicher und vom Menschen verursachter Partikel in der Luft, den sogenannten Aerosolen, vereinfachend auch als Feinstaub bezeichnet. Diese kurzlebigen Bestandteile, zu denen auch Wolken und Spurengase zählen, gelten als größter Unsicherheitsfaktor der Klimaszenarien für die Zukunft. Zudem haben sie Einfluss auf die Luftqualität und damit auch auf die menschliche Gesundheit.

Um diese treibenden Kräfte des Klimawandels und der Luftverschmutzung verstehen zu können, ist es notwendig, ausreichend Daten über ihr Vorkommen in der Atmosphäre, ihre räumliche und zeitliche Verteilung sowie die zugrundeliegenden Prozesse zur Verfügung zu haben. Die Generierung dieser hochwertigen Daten sowie ihre Bereitstellung für Wissenschaft, Wirtschaft und Behörden übernehmen Wissenschaftler*innen europaweit im Rahmen der Forschungsinfrastruktur ACTRIS („Aerosol, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure“). Durch die Kooperation vieler wichtiger Forschungseinrichtungen in Europa ist es möglich, die jeweils national erhobenen Daten zentral in einem Datenportal zusammenzuführen und sie bereitzustellen.

Weltweiter Zugriff auf Datenbank

ACTRIS erhebt bereits seit über einem Jahrzehnt Beobachtungsdaten an mehr als 80 Standorten in Europa und weltweit. Die qualitätsgesicherten Messungen bieten beispiellose Einblicke in die Wirksamkeit von Emissions-Minderungsmaßnahmen in Europa und zeigen die komplexen Rückkopplungsmechanismen auf, die im Klimasystem wirken. Hunderte von Forschenden aus der ganzen Welt, aber auch die private Wirtschaft haben Observatorien und Simulationskammern von ACTRIS genutzt, um neue Experimente durchzuführen, neue Instrumente zu entwickeln oder sich in neuen Technologien weiterzubilden. Bereits jetzt greifen jedes Jahr über 5.000 Personen in rund 50 Ländern der Welt für ihre Forschung auf die ACTRIS-Datenbank zu.

Den deutschen Beitrag zur europäischen Initiative stellt ACTRIS-D sicher, koordiniert durch das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig. Hier arbeiten nahezu alle bedeutenden Akteure der deutschen Atmosphärenforschung zusammen – darunter Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Behörden. Neben rund 25 festen sowie mobilen Observatorien stellt Deutschland Daten von insgesamt fünf Simulationskammern, in denen Prozesse in der Atmosphäre ohne den störenden Einfluss der Meteorologie untersucht werden können, zur Verfügung. Das Institut für Atmosphären- und Umweltforschung der Bergischen Universität Wuppertal bringt in diesem Rahmen seine Smogkammer „QUAREC“ in die Infrastruktur ein. Sie bewährt sich seit 2004 auch als integraler Bestandteil weiterer EU-Infrastrukturinitiativen.

Konsequente Vorbereitungszeit

Bis aus ACTRIS nun ACTRIS-ERIC werden konnte, wurde viel Zeit investiert, um projektbasierte Netzwerke zu einer ausgereiften und nachhaltigen Forschungsinfrastruktur zu entwickeln: Die Gründung ist das Ergebnis von mehr als zwanzig Jahren konsequenter Vorbereitungsarbeit unter aktiver Beteiligung der Forschungseinrichtungen, der ACTRIS-Mitgliedsländer und der Europäischen Kommission. Finnland erhält den satzungsmäßigen Sitz und wird die Gesamtkoordination von ACTRIS übernehmen, während Italien den Zugang zu den ACTRIS-Diensten verwalten wird. Deutschland trägt einen Großteil des technischen Know-hows bei und wird dieses in der Zukunft im Rahmen von ACTRIS auch weiterentwickeln.

Ebenfalls seit annähernd 20 Jahren in die Vorbereitungen zu ACTRIS-ERIC involviert ist die Bergische Universität Wuppertal: „Im Mai 2004 sind wir mit dem Projekt EUROCHAMP gestartet – in drei Projektrunden haben wir in diesem Rahmen daran gearbeitet, die Erkenntnisse aus den Arbeiten mit den Simulationsanlagen zusammenzuführen“, erklärt Prof. Dr. Peter Wiesen. EUROCHAMP wurde von Wuppertal aus koordiniert, 2011 erfolgte dann erstmals die Verknüpfung mit der zu diesem Zeitpunkt neu aufgesetzten Initiative ACTRIS.

Mit seinem ERIC-Status ist ACTRIS nun rechtlich als europäische Forschungsinfrastruktur im Bereich der Atmosphärenforschung anerkannt. Diese Entscheidung der Europäischen Kommission gibt ACTRIS eine stabile rechtliche Struktur, die den länderübergreifenden Betrieb langfristig ermöglicht, aber auch Vorteile für internationale Organisationen mit sich bringt, die von den ACTRIS-Diensten profitieren. „Diese Entscheidung bedeutet, dass die ACTRIS-Einrichtungen nun rechtlich gemeinsam als eine Organisation agieren können“, sagt Eija Juurola, Interimsleiterin des ACTRIS-Koordinationsbüros. „Die Entscheidung kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt, da der Übergang zum Betrieb bereits stattfindet und sich die Synergien mit den Forschenden und der Industrie kontinuierlich entwickeln.“

ACTRIS-Collage // Klick auf das Foto: Größere Version

Spitzenleistung in ganz Europa

Die Kernkomponenten von ACTRIS sind die nationalen Einrichtungen auf Länderebene, die aus Beobachtungs- und Forschungsplattformen bestehen, sowie die zentralen Einrichtungen, die für die Bereitstellung harmonisierter Daten von hoher Qualität sorgen und deshalb auf europäischer Ebene organisiert sind.

„Jede dieser zentralen Einrichtungen wurde oder wird gebaut, um sich auf bestimmte Bereiche der Atmosphärenwissenschaft und -technologie zu spezialisieren und andere Einrichtungen zu ergänzen. Jede einzelne von ihnen gehört für sich genommen zu den weltweit führenden“, sagt Markus Hermann vom TROPOS, Koordinator für den Aufbau der deutschen zentralen Einrichtungen.

Die zentralen und nationalen ACTRIS-Einrichtungen sind über die 17 Mitglieder des ACTRIS-ERIC verteilt: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Spanien, Schweden, Schweiz, Tschechien und Zypern. Griechenland und das Vereinigte Königreich haben ihr Interesse an einem späteren Beitritt bekundet. Mit ihrem Engagement zeigen die Mitgliedsländer, dass die Erforschung der Atmosphäre und der Luftqualität für mindestens die nächsten fünf Jahre eine nationale Priorität darstellt. Sie unterstützen damit außerdem wissenschaftliche Spitzenleistungen in ganz Europa. Insgesamt ist ACTRIS nach Beginn des vollständigen Betriebs im Jahr 2025 für eine Laufzeit bis mindestens 2050 geplant. Die Mitgliedschaft der Länder im ACTRIS-ERIC bedeutet, dass diese Länder die EU-Strategie mitgestalten, auftragsbezogene Forschung initiieren und sich aktiv in die Wissenschafts- und Bildungslandschaft einbringen.

Die Forschenden, die zu ACTRIS kommen, um vor Ort an den zentralen oder nationalen Einrichtungen zu arbeiten, werden in der Lage sein, multidisziplinäre Studien durchzuführen, die sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die angewandte Forschung relevant sind. Der Nutzen für die Gesellschaft reicht dabei von Strategien zur Verringerung von Schadstoffemissionen und der Verbesserung der Luftqualität über die Eindämmung des Klimawandels bis hin zum Erreichen der Ziele des europäischen Green Deal.

Finanzierung und Investitionen

ACTRIS ist eine große Forschungsinfrastruktur mit einem beträchtlichen Finanzvolumen. Die Aktivitäten werden von den Mitgliedsländern finanziert. Die Gesamtinvestitionen der teilnehmenden Länder in der Konzeptions-, Vorbereitungs- und Umsetzungsphase belaufen sich auf etwa 700 Mio. Euro, wovon ein großer Teil auf die Modernisierung der bestehenden zentralen und nationalen Einrichtungen oder den Bau neuer Einrichtungen entfällt.

Der Aufbau der deutschen Kalibrierzentren, Beobachtungsstationen, Atmosphären-Simulationskammern und mobilen Messplattformen wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über acht Jahre mit insgesamt 86 Millionen Euro gefördert. Gleichzeitig hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) die Finanzierung des deutschen Mitgliedsbeitrags und des Betriebs der deutschen Kalibrierzentren übernommen.

Zusammen mit anderen europäischen Umweltforschungsinfrastrukturen sorgt ACTRIS für höhere Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, eine gleichmäßigere Verteilung der wissenschaftlichen Kapazitäten und einen besseren Zugang zu exzellenter Forschung und Entwicklung in der Atmosphärenforschung in ganz Europa. Das verbessert auch die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Damit trägt ACTRIS zur Verwirklichung der Ziele des neuen Europäischen Forschungsraums (EFR) bei.

Kontakt:
Prof. Dr. Peter Wiesen
Fakultät für Mathematik & Naturwissenschaften
Institut für Atmosphären- und Umweltforschung
Telefon 0202/439-2515
E-Mail wiesen[at]uni-wuppertal.de

Infobox: Freier Zugang

Die ACTRIS-Einrichtungen mit mehr als 100 beteiligten Institutionen bilden zusammen die größte standortübergreifende Infrastruktur für die Atmosphärenforschung in der Welt. ACTRIS bietet seinen Nutzer*innen freien Zugang zu Messeinrichtungen, Fachwissen, Schulungsmöglichkeiten und spezieller Datenmanagementdiensten. Alle Interessierten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Fachgebiet oder ihrem Tätigkeitsbereich, können von den europaweiten Open-Access-Diensten von ACTRIS profitieren. ACTRIS zielt darauf ab, die Exzellenz in der Erdsystembeobachtung und -forschung zu steigern, indem der Gesellschaft Wissen zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen der vorhandenen Probleme bereitgestellt wird. Alle ACTRIS-Dienste sind zentral über http://www.actris.eu erreichbar.

Mehr zum Hintergrund

Ein Europäisches Forschungsinfrastruktur-Konsortium (ERIC) ist eine einzigartige Rechtspersönlichkeit, die durch eine EU-Verordnung ermöglicht wird, um die Einrichtung und den Betrieb von Forschungsinfrastrukturen von europäischem Interesse zu erleichtern. Der ERIC-Status verleiht den Forschungsinfrastrukturen eine in allen EU-Mitgliedstaaten anerkannte Rechtspersönlichkeit. Als internationale Organisation sind seine Mitglieder Länder, die wissenschaftlich und finanziell zum Konsortium beitragen.

Forschungsinfrastrukturen sind Einrichtungen, Ressourcen und damit verbundene Dienstleistungen, die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft genutzt werden, um Forschung zu betreiben und Innovation zu fördern. Sie umfassen wissenschaftliche Ausrüstung, elektronische Infrastrukturen wie Daten- und Computersysteme sowie Fachwissen und Fachpersonal. Ihre Entwicklung wird seit 2002 durch das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) koordiniert. ESFRI ist ein strategisches Instrument zur Entwicklung der wissenschaftlichen Integration Europas und zur Stärkung seiner internationalen Reichweite.

Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, Karlsruher Institut für Technologie, Forschungszentrum Jülich GmbH, Alfred-Wegener-Institut, Bergische Universität Wuppertal, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Ludwig-Maximilians-Universität München, Universität Bremen, Universität zu Köln, Deutscher Wetterdienst, Umweltbundesamt

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