Newsportal

 

 

„Jahr100Wissen“: Vom „Millibauer“ zum bayerischen König

15.10.2021|08:23 Uhr

1921 starb der letzte Bayernkönig, Ludwig III. Ein Jahr100Wissen-Interview von Uwe Blass im Gespräch mit dem Historiker Dr. Georg Eckert.

PD Dr. Georg Eckert
Foto: UniService Transfer

Am 18. Oktober 1921 starb der Bayernkönig Ludwig III. Wie würden sie den letzten herrschenden Wittelsbacher beschreiben?

Eckert: Ludwig III. gehört zu den weniger bekannten Herrschern der bayerischen Geschichte: was auch daran lag, dass er weitgehend seine Minister regieren ließ. Ohne den Ersten Weltkrieg wäre er daher vielleicht zu einem König geworden, dem man in der Rückschau den Übergang in ein parlamentarisches Regierungssystem und manche Reformmaßnahmen zugutehielte. Er wusste sich zurückzunehmen und als weiser Vermittler zwischen konservativer Landbevölkerung und liberaler Beamten-Elite zu wirken: Der Auftakt mit einer bayerischen Verfassungsreform im Jahre 1913 war vielversprechend, der neue König gab sich als Modernisierer, wie so manche zeitgenössischen Monarchen. Und er pflegte sogar eine frühe Form von „Laptop und Lederhose“, seine Aufgeschlossenheit für technische Neuerungen verband sich mit einer traditionellen katholischen Frömmigkeit. Aber gerade einmal anderthalb Jahre nach Regierungsbeginn brach der Krieg aus, der die Herrschaft Ludwigs III. letztlich zersetzte. Diese Perspektive versperrt einen anderen Blick auf einen König, der sich mit großem Pflichtgefühl als volksnaher König verstand und unter anderen Umständen wohl ein guter Moderator des Wandels geworden wäre.

Er war eines der ersten Mitglieder einer regierenden Dynastie, der im Studium öffentliche Kurse an der Ludwig-Maximilian-Universität besuchte, statt von Professoren privat unterrichtet zu werden. War das eher Volksnähe oder politisches Kalkül?

Eckert: Als Ludwig sein (freilich eher kurzes) Studium begann, war ganz und gar nicht zu erwarten, dass er einmal König von Bayern werden könnte: schon eher König von Griechenland, denn bis ins Jahr 1862 bestand eine Anwartschaft. Zu viel Kalkül sollte man in den übrigens eher kurzzeitigen Universitätsbesuch in den Jahren 1864-1865 nicht hineinlesen, auch nicht zu viel Volksnähe, weil die Universitäten in der Mitte des 19. Jahrhunderts recht elitäre Institutionen waren. Etwas Anderes ist vielleicht wichtiger: Auch Mitglieder von Herrscherdynastien suchten damals nach neuen Rollen jenseits des Militärs, in dem sich Ludwig III. nie so recht arrangierte. Der künftige Kaiser Wilhelm II. übrigens studierte wenige Jahre später ebenfalls ganz öffentlich an einer Universität, nur eben in Bonn und nicht in München.

Aus seinem Gut Leutstetten in der Nähe von Starnberg machte er ein wirtschaftliches Mustergut. Wie sah das aus?

Eckert: Auch dieses Gut gehört zur dynastischen Suche nach neuen Rollen. Die Land- und Forstwirtschaft mit modernen, agrarwissenschaftlichen Methoden zu fördern, war politisches Programm zugunsten des damals wichtigsten Sektors der bayerischen Wirtschaft. Leutstetten diente als Mustergut, auf dem neue, ertragreichere Weisen des Anbaus und der Viehhaltung systematisch erprobt wurden. Zeitgenossen wussten Ludwigs Aktivität als Agrarreformer zu schätzen – dass sie ihn den „Millibauer“ nannten, beinhaltete freilich auch einen leichten Spott über den bisweilen derb auftretenden Monarchen. Sein Engagement für eine auch technische Modernisierung ragte allerdings über die Landwirtschaft weit hinaus. Ludwig betrieb u.a. auch die Errichtung von Wasserkraftwerken und den Ausbau des Rhein-Main-Donau-Kanals.

Ludwig war auch politisch sehr aktiv. Wie sah sein Engagement aus?

Eckert: Als eine spätere Thronfolge noch keineswegs absehbar war, kandidierte Ludwig sogar bei der Wahl des ersten Reichstages im Kaiserreich für die Bayerische Patriotenpartei (später: Bayerische Zentrumspartei), wenn auch erfolglos. Weiterer politischer Betätigungen enthielt er sich anschließend, spätestens, seit im Jahre 1886 eine Thronfolge wahrscheinlich wurde, wären solche Aktivitäten auch nicht mehr ziemlich gewesen. Als künftiger König musste Ludwig darauf achten, nicht zu sehr mit einer Partei assoziiert zu werden, selbst wenn es die Mehrheitsfraktion im bayerischen Abgeordnetenhaus war. Das gelang ihm in seiner langen „Wartezeit“ recht gut, Herrscher wurde er ja erst im Alter von 67 Jahren.

Er setzte sich 1906 für die bayrische Wahlrechtsreform ein. August Bebel lobte ihn mit den Worten: „Wenn wir eine Reichsverfassung hätten, nach der der Kaiser vom Volk gewählt würde […], ich gebe Ihnen mein Wort, Prinz Ludwig hätte die größte Aussicht, deutscher Kaiser zu werden.“ War er ein angesehener Aristokrat?

Eckert: Bebels Lob stand nicht umsonst im Irrealis. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es gar keinen Kaiser gegeben – auch nicht den späteren Ludwig III. von Bayern, den er hier rühmte. Bebel dachte unter anderem an die vom damaligen Prinzen im Jahre 1906 unterstützte, liberale bayerische Wahlrechtsreform, die sich als argumentativer Hebel etwa für die Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts nutzen ließ, das damals Mandate für die SPD im preußischen Abgeordnetenhaus verhinderte. Wiewohl Ludwig III. sich intensiv bemühte, die Wohlfahrt seines Volkes auch durch die Kombination von Modernisierungs- und Fürsorgepolitik zu fördern, ein wirklich populärer Herrscher konnte er nicht werden, trotz einer sehr bescheidenen, fast bäuerlichen Lebensführung: Zeitgenossen erlebten ihn – ganz anders als seine Vorfahren – eher als einen Bürger, nicht als einen Aristokraten, auf monarchischen Pomp verzichtete er konsequent (freilich zum Missfallen so mancher). Allerdings legte sich bald der Weltkrieg als düsterer Schatten auf seine Regierungszeit. Pointiert gesagt, am Ende misslang es demjenigen, der sich als zeitgemäßer Agrarherrscher präsentiert hatte, sein Volk zu sättigen.

Von 1913 bis 1918 war Ludwig III. der letzte amtierende Bayernkönig. Allerdings gab es von 1913 bis 1916 offiziell zwei Bayernkönige. Warum?

Eckert: Ludwig III. war letztlich der Gewinner einer dynastischen Doppelkrise der Wittelsbacher. Nach dem skandalösen Tod des eben entmündigten Königs Ludwig II. ging zwar die Krone an dessen jüngeren Bruder Otto I., nicht aber die Herrschaft, weil Otto wegen einer psychischen Krankheit als regierungsunfähig galt. Die Regierung übte seither Prinzregent Luitpold aus, der Vater Ludwigs III. Ihm folgte Ludwig im Dezember 1912 nach, zunächst noch als Prinzregent, nach einer Verfassungsänderung im Jahre 1913 indes als König. Nun verzichtete Otto I. endgültig auf seine Herrschaft, durfte indes den königlichen Titel bis zu seinem Tod im Jahre 1916 behalten.

Nach Kriegsausbruch 1914 machte Ludwig immer wieder durch Forderungen nach Gebietserweiterungen auf sich aufmerksam. In welche Richtungen wollte er Bayern erweitert sehen?

Eckert: Mit einem großen Krieg rechnete Ludwig III. in der Julikrise nicht, er hatte ihn auch keineswegs angestrebt. Aber als er begann, kam aus Sicht der Wittelsbacher der Moment, in dem man für die bayerische Loyalität eine Gegenleistung fordern konnte – auch als Kompensation dafür, bei der Reichsgründung eigene Ambitionen hinter denjenigen Preußens bzw. der Hohenzollern zurückgestellt zu haben. Ludwig III. griff nun auf ältere, als historisch ausgewiesene Gebietsansprüche zurück. Seine Maximalforderung, durch den Zugewinn von Teilen Belgiens bis hin nach Antwerpen einen direkten bayerischen Meerzugang zu erhalten, war eher taktisch motiviert. Er reduzierte sie rasch auf das Elsass bzw. einen Teil davon. Freilich war das keine persönliche Expansionslust. Ludwig III. durfte bei solchen Forderungen einen großen Teil seiner Untertanen hinter sich wissen, außerdem ging es ihm darum, die Rolle Bayerns in einem nach dem Krieg so oder so veränderten deutschen Kaiserreich zu stärken.

Während des Krieges wurde Ludwig in Bayern mehr und mehr unpopulär. Woran lag das?

Eckert: Kurz gesagt, am Krieg selbst und den am Ende rapide abnehmenden Aussichten, ihn siegreich bzw. wenigstens ohne eine Niederlage zu beenden. Erstens war das Militär nicht sein Metier, schon eher das seines Sohnes Kronprinz Rupprecht, der eine eigene Heeresgruppe kommandierte. Zweitens wurden mit dem Kriegsbeginn politische Prioritäten gesetzt, an denen der bayerische König allein wenig zu ändern vermochte. Drittens ging die massive Stärkung der Reichsgewalt mit einer enormen Schwächung der politischen Handlungsmöglichkeit der Länder einher. So fehlte es auch dem bayerischen König, der schon in Frieden eher sein Ministerium hatte agieren lassen, bald an Möglichkeiten, die rapide wachsende Not seiner Bevölkerung zu lindern. Selbst überaus großzügige Spenden von Geld und Lebensmitteln verfingen in einer immer schlechteren Versorgungslage nicht mehr, manche beschuldigten den König stattdessen gar, sein Volk mit Wucherpreisen für Erzeugnisse aus Leutstetten auszubeuten. Dass Ludwig III. sich überaus preußentreu, aus Sicht mancher Bayern gar preußenhörig erwiesen hatte und so mehr als andere Herrscher im Kaiserreich für das Ausbleiben des ersehnten Sieges im Weltkrieg verantwortlich gemacht wurde, minderte sein Ansehen zudem. Immerhin waren bis zum Ende des Krieges ca. 199 000 bayerische Soldaten gefallen.

Er war der erste deutsche Bundesfürst, der der Revolution zum Opfer fiel. Er selbst schien davon völlig überrascht. Wie kam das?

Eckert: Weder in Bayern noch in den anderen Bundesstaaten war eine Revolution wirklich absehbar; fast alle Zeitgenossen waren am Anfang von der Dynamik und Dramatik der Novemberrevolution(en) überrascht – und am Ende von der vergleichsweise friedlichen Umwandlung der deutschen Monarchien in Demokratien. In Bayern war noch am 02. November eine Verfassungsreform gelungen, die den Übergang von einer konstitutionellen zu einer parlamentarischen Monarchie endgültig besiegelte. Ludwig III. glaubte so die Unzufriedenheit in der Bevölkerung abwenden zu können. Auch wenn er sie unterschätzt hatte, war für ihn kein Anlass ersichtlich, einen Umsturz zu erwarten oder gar Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Dass nach einer Massenkundgebung am 07. November ein Demonstrationszug ins Stadtzentrum gelangte, dürfte selbst den sozialistischen Politiker Kurt Eisner erstaunt haben, der nun den bayerischen „Freistaat“ ausrief.

Er floh mit seiner Familie nach Salzburg. Die Anifer Erklärung spielt bei seiner Abdankung eine wichtige Rolle. Warum?

Eckert: Ludwig III. hatte München am späten Abend des 07. November auf Anraten seiner Minister verlassen, erst das Schloss Anif nahe Salzburg erschien als sicherer Ort. Hier unterzeichnete Ludwig III. am 12. November 1918 die besagte Erklärung. Eine Abdankung beinhaltete sie keineswegs, anders als es die revolutionäre Regierung in München darstellte. Wohl aber entband Ludwig III. die bayerischen Beamten, Offiziere und Soldaten von ihrem Treueeid gegenüber dem Monarchen. Die Anifer Erklärung hielt also die Rückkehr zur Monarchie offen, während sie zunächst einen gewaltlosen Weg in die Republik ermöglichte.

Welche Verdienste schreibt man ihm zu?

Eckert: In der Anifer Erklärung machte Ludwig III. noch einmal anschaulich, wie er sich und seine Herrschaft sah. Sie lautete an: „Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk und für das Volk gearbeitet.“ Jenseits aller Propaganda-Kalküle wird darin sichtbar, wie sehr Ludwig ein „moderner“ Herrscher sein wollte – der er auch durchaus war, indem er sich schon vor dem Weltkrieg einer parlamentarischen Regierungsweise annäherte und eine spezifisch bayerische Antwort auf die brennenden Probleme seiner Zeit zu geben suchte, auch und gerade auf die Soziale Frage. Nicht König Ludwig III. scheiterte, sondern ein System, zu dessen erfolgreicher Reform es glücklicherer Umstände bedurft hätte.

Uwe Blass

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Dr. Georg Eckert studierte Geschichte und Philosophie in Tübingen, wo er mit einer Studie über die Frühaufklärung um 1700 mit britischem Schwerpunkt promoviert wurde, und habilitierte sich in Wuppertal. 2009 begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Geschichte und lehrt heute als Privatdozent in der Neueren Geschichte.

Weitere Infos über #UniWuppertal: