Was verbirgt sich hinter dem Konzept Handlungsorientierung?

Abendroth-Timmer: Handlungsorientierung ist kein gänzlich neuer Begriff. Hierbei rücken die Lernenden in den Mittelpunkt des Unterrichts. Handlungsorientierte Ansätze waren und sind immer sehr anschauungs- und erlebnisorientiert. Es geht darum, ein Thema aktiv zu durchdringen und durchaus auch bestimmte Handlungsszenarien mit Mitschüler*innen durchzuspielen. In der Fremdsprachendidaktik wurde das Prinzip besonders von Gerhard Bach und Johannes-Peter Timm stark gemacht. Ihnen ging es darum, möglichst authentische oder zumindest als lebensecht akzeptierbare Situationen im Fremdsprachenunterricht zu schaffen, die ziel- und kommunikationsorientiert bearbeitet werden können.

Was ist in Ihrer Einführung neu, hinsichtlich der Art und Weise, wie Fremdsprachenunterricht gedacht werden kann?

Gerlach: Fremdsprachenunterricht, wie wir ihn heute denken, ist weiterhin stark handlungsorientiert angelegt. Aber durch den PISA-Schock Anfang der 2000er und die Standardorientierung sind in unseren Augen einzelne Aspekte in den Hintergrund geraten. Gleichzeitig sind neue Ideen und Konzepte hinzugekommen, die wir in unserem Buch an die Handlungsorientierung andocken möchten. Hierzu gehört z. B. die Idee eines kontextsensiblen Fremdsprachenunterrichts, der neben inter- und transkulturellem Lernen auch die Lebenswelt und die Identitäten der Lernenden beispielsweise in ihrer Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität stärker berücksichtigt. Auch die Einbeziehung kritischer Bildung und die Förderung einer kritischen Diskursfähigkeit, die mittelfristig Teilhabe an einer mehrsprachigen und multimedial handelnden Gesellschaft zum Ziel hat, waren uns ein besonderes Anliegen.

Abendroth-Timmer: Während digitale Inszenierungen in den Medien und die Digitalisierung des Lehrens und Lernens einen immer größeren Raum einnehmen, konnte die Zeit des Distanzunterrichts zeigen, wie wichtig doch Präsenz und Leiblichkeit für die zwischenmenschliche Interaktion und Kooperation in Bildungskontexten sind. Menschliche Kommunikation und Erkenntnis sind unlösbar an Körper, Gestik, Mimik, Bewegung und Emotionen gebunden, wie z. B. die embodiment-Forschung und neurowissenschaftliche Ansätze der fremdsprachendidaktischen Forschung zeigen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Kreativität und Formen darstellender Kunst in den Sprachunterricht einzubringen, um Sprache ganzheitlich performativ zu erfahren, mit ihr zu experimentieren und darüber die eigene Identität weiterzuentwickeln, an Kultur zu partizipieren bzw. sich in der Gesellschaft sichtbar zu machen, sich auszudrücken und kritisch zu handeln. Auch das wollen wir in unserem Buch vermitteln.

An wen richtet sich Ihr Buch?

Gerlach: Das Buch richtet sich an angehende und praktizierende Fremdsprachenlehrkräfte. Es eignet sich sowohl als Grundlagenliteratur im Lehramtsstudium als auch als Fort- und Weiterbildungslektüre in späteren Phasen. Uns war es ein großes Anliegen, nicht nur die theoretischen Grundlagen von Handlungsorientierung zu aktualisieren und neu zu konturieren, sondern auch zahlreiche praktische Beispiele zu liefern, die in unseren Augen die Prinzipien hinter der Idee verdeutlichen. Hierzu haben wir Beispiele aus Lehrwerken und Praxisartikeln zusammengestellt, aber auch selbst viele Materialien und Aufgaben passgenau entworfen und erprobt.

Dagmar Abendroth-Timmer, David Gerlach: Handlungsorientierung im Fremdsprachenunterricht. Eine Einführung. J.B. Metzler, Stuttgart (Teil von Springer Nature 2021); 295 Seiten, frei verfügbar unter dem Link: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-476-05826-3

Kontakt:
Prof. Dr. David Gerlach
Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften
Telefon 0202/439-2255
E-Mail gerlach[at]uni-wuppertal.de