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Interview: Im Doppelpack

„Gleichstellung und Vielfalt sind Querschnittsaufgaben, die uns alle angehen“

15.08.2024|11:35 Uhr

Im gemeinsamen Interview sprechen Sophie Charlott Ebert, Leiterin der Stabsstelle für Gleichstellung und Vielfalt, und Lebensmittelchemikerin Prof. Dr. Julia Bornhorst, aus zwei Perspektiven über die Nachwuchsförderung weiblicher Talente an der Bergischen Universität.

Haben wertvolle Tipps für Nachwuchswissenschaftlerinnen und setzen sich für die Weiterentwicklung der Themen Gleichstellung und Vielfalt an der Bergischen Uni ein: Sophie Charlott Ebert (li.) und Prof. Dr. Julia Bornhorst. // Foto Friederike von Heyden

Frau Bornhorst, Sie sind seit 2019 Professorin für Lebensmittelchemie in Wuppertal und haben schon kurz nach Ihrer Ankunft den Kontakt zu Frau Ebert gesucht. Wie kam es dazu?

Bornhorst: Ich war zuvor Nachwuchswissenschaftlerin an der Universität Potsdam und habe dort sehr von den dortigen Förderangeboten profitiert. Deshalb wollte ich mich informieren, was es für Möglichkeiten an der Bergischen Uni gibt – natürlich für mich persönlich, aber auch, um mich aktiv in die Nachwuchsförderung einzubringen.

Welche Unterstützung haben Sie konkret erfahren?

Bornhorst: Frau Ebert hat mir wertvolle Tipps gegeben und mir aufgezeigt, wie ich mich engagieren kann. Ich bekam zahlreiche Informationen über Förderprogramme für verschiedene Karrierestufen, Möglichkeiten der Weiterbildung und Mentoringprogramme. Ich finde es toll, wie man unterstützt wird, wenn man sich für eines dieser Programme bewerben will. Ich konnte all diese Informationen für mich nutzen und sie auch in meine Arbeitsgruppe weitertragen. Ich erachte Nachwuchsförderung als sehr wichtig und möchte meinen Doktorand*innen gerade in dieser Phase der Qualifikation alle Möglichkeiten geben. Damit sie nicht nur wissenschaftlich arbeiten, sondern auch über den Tellerrand hinausschauen, Netzwerke aufbauen, herausfinden, was es noch für wichtige Themen in der Welt gibt außer die eigene wissenschaftliche Qualifikation.

Frau Ebert, ist das der typische Weg: Kommen die Wissenschaftler*innen auf Sie zu?

Ebert: Es ist unterschiedlich. Ich bin beim Onboarding-Prozess dabei und treffe die neuen Wissenschaftler*innen auf Veranstaltungen an der Uni, um auf unsere Angebote hinzuweisen. Einige kommen direkt auf mich zu, um sich zu Karriereförderprogrammen beraten zu lassen – oder zu Gleichstellungs- und Diversitätsthemen generell. Es passiert auch, dass ich über Kontakte höre, dass sich eine Person aus einer Fakultät etwa mit dem Thema Machtmissbrauch beschäftigen möchte. Dann kontaktiere ich diese Person direkt und lade sie zu einem Gespräch ein, damit wir uns austauschen können. Einfach, weil es mir wichtig ist, dass wir nicht parallel an gleichen Themen an unterschiedlichen Stellen arbeiten, sondern dass wir unsere Kräfte bündeln und Synergieeffekte nutzen.

Die Entwicklung von Fördermaßnahmen für Juniorprofessorinnen ist einer von vielen unterschiedlichen Bereichen, die die Stabsstelle für Gleichstellung und Vielfalt an der Bergischen Uni vorantreibt. // Foto Ralf Baumgarten

Dieser Austausch funktioniert also für beiden Seiten?

Ebert: Auf jeden Fall. Ich arbeite hier auf zentraler Ebene und dann ist es natürlich sehr wertvoll, einen tiefen Einblick in die Fakultäten zu bekommen. Es hilft mir auch, Lücken zu identifizieren und zu sehen, wo wir vielleicht noch nachschärfen und noch bessere Unterstützungsangebote schaffen müssen. Und wenn dann auch Wissenschaftler*innen auf mich zukommen und sagen, ‚ich möchte in meiner Fakultät Gleichstellungs- und Vielfaltsmaßnahmen entwickeln‘, dann ist das genau das, was ich mir wünsche. Meine Themen sind Querschnittsaufgaben, die uns alle angehen. Und in jeder einzelnen Tätigkeit, die hier an der Uni ausgeführt wird, steckt ein bisschen meiner Themen – auch wenn das manchmal nicht sofort sichtbar ist. Wenn dann Projekte im Kleinen getestet wurden, schauen wir uns immer an, wie das zur gesamten Organisation passt und ob wir es z. B. auf die ganze Universität übertragen können.

Wie werden Sie das Angebot für Wissenschaftlerinnen an der Bergischen Uni weiterentwickeln?

Ebert: Solche Maßnahmen entstehen laufend. Wir schauen regelmäßig nach dem Bedarf unserer Universität, an welcher Stelle wir noch unterstützen können und kreieren neue Maßnahmen, testen diese aus und entwickeln sie weiter. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel zum ersten Mal eine Fördermaßnahme für Juniorprofessorinnen als Testballon gestartet, die wir in diesem Jahr auch fortgeführt haben. In dem Programm können die Juniorprofessorinnen selbst entscheiden, wofür sie ihre Fördergelder ausgeben. Sie können sie zum Beispiel für Betreuungskosten einsetzen, wenn sie für ihre Kinder zusätzlich Betreuung in den Randzeiten brauchen. Oder sie können die Gelder für eine spezifische Fortbildung ausgeben, die in unserem großen Weiterbildungsprogramm nicht abgedeckt ist.

Aus Ihrer bisherigen Erfahrung als Mutter einer Einjährigen, Frau Bornhorst: Wie schwierig ist es, als Wissenschaftlerin und Mutter Karriere zu machen?

Bornhorst: Schwierig ist das falsche Wort. Eher herausfordernd. Da spielen auch die eigene Persönlichkeit und die individuelle Situation eine Rolle. Das Modell, für das mein Mann und ich uns entscheiden haben, ist für uns beide gewinnbringend. Ich mache unfassbar gerne Wissenschaft und Lehre und kann das fortführen und weiß auch gleichzeitig, dass die Kinderbetreuung gesichert ist. Ich kenne aber auch viele Wissenschaftlerinnen, die ganz klassisch Elternzeit genommen haben. Die meisten, die Wissenschaft machen, machen das nicht, weil es ein Job ist, sondern aus Leidenschaft. Und so sind sie auch während der Elternzeit nie wirklich raus.

Ebert: Was Familiengründung und Vereinbarkeit angeht, muss natürlich auch berücksichtigt werden, in welcher Phase sich die Frau befindet. Denn eine Wissenschaftlerin in einer vulnerablen Position mit einem befristeten Vertrag hat es natürlich schwerer als eine Professorin mit einer Dauerstelle. Wir müssen uns einfach klar machen, wie unser Wissenschaftssystem funktioniert und dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten so gut es geht unterstützen.

Ein Erfolgsformat: Zur SommerUni kommen jedes Jahr Schülerinnen aus ganz Deutschland nach Wuppertal und lernen Studienangebote in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) kennen. // Foto Friederike von Heyden

Frau Bornhorst, Sie sind seit 2020 Dezentrale Gleichstellungsbeauftragte Ihrer Fakultät. Wieso haben Sie sich damals zur Wahl gestellt?

Bornhorst: Ich habe im Laufe meiner Karriere gelernt, dass Wissenschaft viel mehr ist als das eigentliche im Labor stehen und Daten produzieren. Nämlich, dass auch Themen wie Gleichstellung, Vielfalt und Führungsmanagement eine Rolle spielen. Ich habe von zahlreichen Förderprogrammen profitiert und wollte etwas zurückgeben. Und habe den Schritt nie bereut, denn es ist bislang eine tolle Erfahrung. In den MINT-Fächern stehen wir vor der großen Herausforderung, dass wir Nachwuchs generieren müssen – und weiblichen natürlich besonders. Bei der SommerUni konnten wir zum Beispiel vielen die Angst nehmen und sie für unsere Fächer begeistern. Das freut mich sehr.

Was sind Ihre Aufgaben?

Bornhorst: Unser Gleichstellungsteam in der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften hat schon viele Maßnahmen ins Leben gerufen und mit Förderprogrammen einige Lücken geschlossen. Zum Beispiel können sich Nachwuchswissenschaftlerinnen mit unterhaltspflichtigen Kindern bei uns für Tagungsstipendien bewerben, sodass sie bei Bedarf auch ihre Kinder samt Betreuungspersonen mit zur Tagung nehmen können. Dann haben wir ein Programm, in dem wir Studentinnen, Doktorandinnen und Postdoktorandinnen in Schwangerschafts- und Stillzeiten für eine gewisse Zeit eine Hilfskraft zur Seite stellen, die Labortätigkeiten übernimmt, weil diese aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen dann nicht mehr möglich sind. So kann das nächste Qualifikationsziel ohne Zeitverzögerung erreicht werden. Mit dem Programm konnten wir schon einige Nachwuchswissenschaftlerinnen unterstützen und wollen es auch weiter ausbauen.

Wo sehen Sie in Sachen Gleichstellung an der Bergischen Uni Herausforderungen für die Zukunft?

Ebert: Wir sollten untersuchen, wie wir weitere Frauen ermutigen können, zu promovieren und sich aktiv für eine Karriere in der Wissenschaft zu entscheiden. Und dann auch dafür zu sorgen, dass wir den Weg so bereiten, dass Familie und Beruf in der Wissenschaft vereinbar sind. Dass es mehr Chancengleichheit gibt, weniger Benachteiligung – auch im weiteren Karriereverlauf. Wir müssen weiter daran arbeiten, irgendwann Parität zu erreichen, also dass es mehr und mehr Professorinnen gibt – gerade in den Bereichen, in denen Frauen immer noch unterrepräsentiert sind.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Bornhorst: Die bisherige Unterstützung ist wirklich gut und vielfältig und jede Wissenschaftlerin sollte sich damit einmal auseinandersetzen und sie auch in Anspruch nehmen. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, würde ich mir noch mehr Unterstützungen für die Gruppe der Postdoktorandinnen wünschen. Wir haben tolle Programme für Doktorandinnen, aber für die Phase danach haben wir noch Nachholbedarf.

Ebert: Wir haben schon einen sehr guten Professorinnenanteil. Daran und an vielen kleinen Momenten sehen wir, dass die Gleichstellungsarbeit der letzten Jahre Früchte trägt. Auch unsere SommerUni sorgt dafür, dass wir messbar hohe Studentinnenanteile in Fächern haben, in denen Frauen sonst unterrepräsentiert sind – auch wenn wir es nrw- und bundesweit betrachten. Aber trotzdem müssen wir uns überlegen, wie wir diese Frauen davon überzeugen können, sich nach ihrem Studium aktiv für eine Karriere in der Wissenschaft zu entscheiden. Über die Uni hinaus würde ich mir wünschen, dass die Themen Gleichstellung und Vielfalt nicht in Konkurrenz miteinander betrachtet werden. Wir sollten Gleichstellung unter einer diverseren Perspektive betrachten. Eine First-Generation-Akademikerin mit Migrationshintergrund hat eine ganz andere Ausgangslage als eine Nachwuchswissenschaftlerin, deren Mutter Professorin ist, und braucht deshalb eine ganz andere Unterstützung. Solche Angebote müssen in Zukunft noch viel verstärkter an Hochschulen entstehen. Und das ist eines meiner Ziele.

Förderprogramme

In der Nachwuchsförderung weiblicher Talente setzt die Universität auf gezielte Förderprogramme sowie ein Anreizsystem. Das Science Career Center bietet das Exzellenzprogramm „Berufung und Karriere“ an, um talentierte (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen bei der Karriereplanung und Karriereentwicklung in Wissenschaft und Forschung zu fördern und gezielt auf eine Professur vorzubereiten.

In Kooperation mit der Heinrich-Heine-Universität können Wuppertaler Wissenschaftlerinnen sich für eine Teilnahme am SelmaMeyerMentoring-Programm bewerben, das den weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs bei der Planung und Entwicklung seines akademischen oder außeruniversitären Karriereweges unterstützt. Hierfür steht ein Kontingent von Belegplätzen bereit.

Erstmals in 2006 wurde das universitätseigene Förderprogramm „Qualität, Anreiz und Erfolg“ aufgelegt. Zum Setting gehören der Gleichstellungspreis für hervorragende, innovative Projekte und strukturelle Maßnahmen auf dem Gebiet der Frauen- und Familienförderung sowie ein Sonderfonds zur Graduiertenförderung für Frauen.

Das Förderprogramm her.culis spricht gezielt Bachelor-Studentinnen der Fakultäten 1, 2 und 4 an. Es bietet den Teilnehmerinnen die Möglichkeit, an eigenen Projekten zu arbeiten und wertvolle Kontakte mit Expert*innen zu knüpfen. Darüber hinaus erhalten sie eine Vergütung für ihre Tätigkeit und haben Zugang zu Workshops, die ihre wissenschaftliche Kompetenz weiterentwickeln. Getragen wird her.culis durch das Graduiertenkolleg 2696.

Das Zentrum für Graduiertenstudien (ZGS) verantwortet das Förderprogramm Promovieren mit Kind(ern). Es unterstützt Doktorand*innen mit Kind(ern), die an der BUW promovieren und durch die Kombination von Kindererziehung und eigener wissenschaftlicher Qualifizierung einer Mehrfachbelastung ausgesetzt sind. Promovierende können für bis zu fünf Stunden pro Woche die Unterstützung einer im ZGS beschäftigten Hilfskraft erhalten. Finanziert wird das zunächst 2024 laufende Förderprogramm aus Mitteln des Gleichstellungspreises der Bergischen Universität.

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