Drei spannende öffentliche, kostenfreie Veranstaltungen und Interview mit dem Organisator und Klassischen Philologen Prof. Dr. Stefan Freund
Tagungshighlights
2. April, 18 Uhr: Eröffnungsveranstaltung und Verleihung des 13. Humanismuspreises an Pater Klaus Mertes. Bergische Universität, Campus Grifflenberg, Gebäude K, Hörsaal 33, Gaußstr. 20, 42119 Wuppertal. Laudatio: Nora Bossong, mehrfach ausgezeichnete Autorin.
4. April, 19.30 Uhr: Podiumsdiskussion „Antike for future – oder: Wie denken wir Transformation zur Nachhaltigkeit“, CityKirche Elberfeld, Kirchplatz 2, 42103 Wuppertal. Zu Gast: Helge Lindh (MdB), Klara Oehler (Lateinstudentin), Prof. Dr. Smail Rapic (Praktische Philosophie und Philosophie der Neuzeit an der Bergischen Universität), Verena Schäffer (MdL, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag NRW), der frühere Wuppertaler Stadtdirektor Dr. Johannes Slawig und Dr. Gabriel Zuchtriegel (Direktor des Archäologischen Parks von Pompeji)
5. April 2024, 13 Uhr: Abschlussvortrag „Vom Zauber des Untergangs“ mit Dr. Gabriel Zuchtriegel, Generaldirektor des Archäologischen Parks von Pompeji, Bergische Universität, Campus Grifflenberg, Gebäude K, Hörsaal 32, Gaußstr. 20, 42119 Wuppertal.
Weitere Informationen finden sich auf der Tagungswebseite.
Interview mit Prof. Dr. Stefan Freund
Warum kann es auch heute noch spannend sein, Latein und Altgriechisch zu lernen?
Freund: Ich finde, Latein und Griechisch sind wie Multifunktionswerkzeuge, uns in unserer Gegenwart zurecht zu finden: Sie helfen erstens unser Sprechen zu verstehen. Viele unserer Wörter kommen aus dem Griechischen oder Lateinischen. Und das gilt nicht nur für Fachausdrücke, sondern auch für Alltagswortschatz wie Lampe, Eimer, Platz, Kirche oder Butter – die kommen aus dem Griechischen – beziehungsweise Ampel, Becken, Keller, Wein und Straße, die auf lateinische Wörter zurückgehen. Im Englischen und erst recht in den romanischen Sprachen findet man natürlich noch viel mehr davon. Auch über die Strukturen von Sprache können wir anhand des Griechischen und Lateinischen viel lernen: Unsere Grammatik, auch ein griechisches Wort übrigens, arbeitet mit lateinischen Ausdrücken: etwa Dativ, Verb oder Adjektiv. Und wer sich mit Latein und Griechisch beschäftigt und aus diesen Sprachen übersetzt, denkt unwillkürlich über das Deutsche viel intensiver nach, entdeckt seine Nuancen – und versteht es besser. Ein zweiter Punkt ist die Literatur: Lyrik, Epos und Drama gehen auf die Griechen zurück. Und weil die Römer diese Formen übernahmen und weiterentwickelten, werden sie zur Grundlage aller europäischen Literaturen und wirken bis heute: Noch heute sehen wir Epen oder Tragikomödien, lesen Romane, Lyrik oder Satiren. Hinter all dem stehen literarische Muster der Antike. Auch die antike Rhetorik ist aktuell wie nie: Sie lehrt, wie man Menschen bewegt, beeinflusst und überzeugt. Dieses Instrumentarium finden wir heute in Medien und Marketing, in Politik und Propaganda – übrigens beides Beispiele für sogenannte „Alliterationen“, ein aus dem Lateinischen stammendes Stilmittel, bei dem zwei oder mehr Wörter den gleichen Anfangslaut haben. Ein dritter Punkt ist die Kultur: Die antike Mythologie ist vielerorts erkennbar – sei im Narzissmus oder im Ödipuskomplex. Noch viel spannender ist aber, wie Mythen und Weltdeutungen, philosophische und politische Denksysteme heute in veränderter Form fortwirken. Ich persönlich finde auch die Transformationsprozesse faszinierend, die wir beobachten können – etwa, wenn sich die antiken Christen zunächst vom römischen Staat, der sie verfolgt, abgrenzen, und wie dann doch eine christliche antike Kultur entsteht.
Zum Kongressbeginn wird der diesjährige „Humanismuspreis“ an Pater Klaus Mertes vergeben, der vor 13 Jahren den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche öffentlich machte. Was haben Philologie und Humanismus miteinander zu tun?
Freund: Zunächst gefallen mir beide Begriffe sehr, jeder für sich. Einer ist griechisch, einer lateinisch – auch das passt: Die „Philo-logie“ ist die Liebe zu Wörtern und Gedanken. Ich würde allerdings lieber von Klassischer Philologie sprechen. Das zeigt schön, das wir uns mit den beiden Sprachen beschäftigen, die selbst und deren Literaturen über viele Jahrhunderte immer wieder als anregende Referenzpunkte betrachtet wurden. Jede Zeit suchte und sucht sich da etwas Anderes heraus – auch diese Transformationen der Antike gehören zu dem, womit sich die Klassische Philologie beschäftigt. Und der Begriff Humanismus kommt von homo, Mensch. Humanitas bezeichnet bei Cicero das, was den Menschen in seiner Würde und Besonderheit ausmacht – seine Fähigkeit zur Bildung, aber auch zur Mitmenschlichkeit – eben zur Humanität. Ich finde den Begriff „humanistische Bildung“ besonders schön, weil er zwei Aspekte zusammenbringt: Die anspruchsvolle Beschäftigung mit Latein und Griechisch und die Orientierung auf die Menschen und die Gemeinschaft, in der die so Gebildeten Verantwortung übernehmen und ihre Rolle finden sollen. Übrigens nennt sich unsere Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften auf Englisch „School of Humanities“. Auch das ist ohne Cicero nicht zu verstehen.
„Antike for future – oder: Wie denken wir Transformation zur Nachhaltigkeit“. Können alte Sprachen Aufschluss geben über den Umgang mit hochaktuellen Fragen?
Freund: Wir haben es mit Texten zu tun, die in der Zeit ihrer Entstehung aktuell und relevant und oftmals politisch waren. Hätten Homer Ilias und Odyssee nicht den Nerv der Zeit getroffen – niemand hätte sie für teures Geld abgeschrieben und so überliefert. 700 Jahre später nimmt dann Vergil genau diese Epen und macht daraus ein Gedicht, das den Zeitgeist seiner Epoche so genau trifft, dass sich dann über Jahrhunderte spätere Dichter wiederum mit seiner Aeneis oder ihrerseits mit Homer auseinandersetzen, wenn sie Werke zu Themen und Fragen ihrer jeweiligen Gegenwart verfassen. Bekannte Beispiele sind Dantes Göttliche Komödie oder der Ulysses von James Joyce. Und auch wir Klassische Philologinnen und Philologen können Fragen an unsere Texte stellen, die für die Gegenwart unmittelbar relevant sind, etwa: Wie funktionieren Manipulation, Machtlegitimation und Populismus? Oder, für unser Thema: Wie diskutiert und gestaltet und reflektiert man Transformationen? Wie nehmen Menschen in unterschiedlichen Kulturen ihre natürlichen Lebensgrundlagen und ihren Umgang damit wahr? Welche Konzepte liegen dem zugrunde? Dabei erscheint der Blick auf die griechisch-römische Antike aus zwei Gründen besonders spannend: Zum einen wirkt sie bis heute nach. Viele unserer Vorstellungen und Denkmuster gehen auf die Antike zurück – von der Sehnsucht nach einem einfachen Leben, so, wie es früher war, bis zum Konzept des gerechten Krieges. In vielem aber ist die Antike auch so anders und so entfernt, dass sich manche grundlegenden Zusammenhänge klarer und objektiver erkennen und diskutieren lassen.
Zur Tagung veröffentlichen Sie ein Buch mit lateinischen Texten und ihren deutschen Übersetzungen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert im Wuppertal und im Bergischen Land – was verraten sie uns über unsere lokale Vergangenheit?
Freund: Wir sammeln in der Klassischen Philologie an der Bergischen Universität Wuppertal seit einigen Jahren lateinischsprachige Zeugnisse aus der Geschichte des Bergischen Landes. Mittlerweile ist einiges zusammengekommen. Darunter sind ganz unterhaltsame Dinge wie ein Gedicht von Hermann Crusius, dem damaligen Rektor der Elberfelder Lateinschule, 1679 erschienen, in dem es um die unterschiedlichen Herleitungen des Ortsnamens Elberfeld geht – eine davon ist die Rückführung auf Erdbeerfeld. 1830 trägt dort, wo heute das Elberfelder Finanzamt steht, im Kasino – danach heißt die Straße noch heute – der damalige Leiter des Gymnasiums Elberfeld ein lateinisches Geburtstagsgedicht auf den preußischen König vor. Der Rückblick auf die Befreiungskriege gegen Napoleon, der sich darin findet, eng angelehnt an Motive der antiken Dichtung, aber doch ganz eigenständig, lässt das kleine Werk zu einem überaus spannenden Zeugnis einer Zeit werden, in der ganz Europa konfliktreich um neue Formen staatlichen Zusammenlebens ringt. Was diese Texte durchweg deutlich machen: Über Jahrhunderte – vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert – prägen die Gegebenheiten der lateinischen Sprache und der Rückgriff auf antike Texte, die Hauptgegenstand der höheren Schulbildung und Grundlage für ein Universitätsstudium sind, das Weltverstehen entscheidend mit. Friedrich Engels etwa war Schüler des Gymnasiums Elberfeld. Für ihn sind Latein und Griechisch und die Kenntnis antiker Texte Teil seiner Lebenswelt, und wir können ihn und seine Zeit im Wuppertal nur dann umfassend verstehen, wenn wir auch die lateinischen Texte, die er verfasst hat, im Blick behalten.
Infos zur Kongressteilnahme
Weitere Teilnahmemöglichkeiten: Interessenten sind herzlich eingeladen, direkt zum Kongress ins Tagungsbüro (» Lageskizze hier) zu kommen und sich anzumelden: DAV-Mitglieder 50 €, Nichtmitglieder 80 €, kostenlos für Studierende, Referendarinnen und Referendare, arbeitslose Lehrkräfte. Eine Tageskarte für Kurzentschlossene ist für DAV-Mitglieder 20 €, Nichtmitglieder 30 € oder kostenlos für die gerade erwähnte Gruppe zu erwerben.