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„Denn sie tun nicht, was sie wissen“

08.03.2022|07:47 Uhr

Klimawandel, Klimakrise, Klimakampf. Die Veränderungen auf unserer Welt nehmen stetig zu und die Menschen bekommen es hautnah zu spüren. Die Jugend begehrt auf und setzt mit den Fridays-for-Future-Demos deutliche Zeichen. Wissenschaftler*innen weltweit sind sich seit Jahren der Konsequenzen dieser Änderungen bewusst. Doch Maßnahmen durch die Politik lassen auf sich warten. Globale Umweltveränderungen und deren Folgen können den Fortbestand der Menschheit gefährden, das können wir jeden Tag über die Medien erfahren. Prof. Dr. Peter Wiesen, Atmosphärenchemiker und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des neuen Interdisziplinären Zentrums für Atmosphäre und Umwelt (IZAU) an der Bergischen Universität, spricht im Transfergespräch über die Möglichkeiten, wie Politik wissenschaftliches Know-how umsetzen könnte.

Prof. Dr. Peter Wiesen // Foto Malte Reiter

„Mir gefällt in diesem Zusammenhang das Wort des Klimakampfes nicht“, sagt er direkt zu Beginn, „denn man kämpft ja nicht gegen das Klima, sondern man versucht dagegen anzugehen, dass sich das Klima weiter so massiv ändert, wie wir das im Moment beobachten können. Ich glaube auch nicht, dass die Wissenschaft wenig Gehör findet“, betont er, denn der IPCC (Das Intergovernmental Panel of Climate Change ist ein zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaveränderungen, im Deutschen auch als Weltklimarat bezeichnet, Anm. d. Red.) sei ja im Sommer letzten Jahres mit einem großen, neuen Bericht herausgekommen, um den Sachstand zum Klimawandel deutlich darzulegen. „Ich glaube, das Problem ist, dass vielen, vor allem jungen Leuten die Entscheidungsprozesse in unserer Gesellschaft viel zu langsam sind. Nun ist Ungeduld sicher etwas, was Jugend charakterisiert, aber demokratische Prozesse sind leider oftmals etwas schleppend. Es gibt viele Interessen abzuwägen, um das Kind letztendlich nicht mit dem Bade auszuschütten.“

Das Klima ändert sich seit Ewigkeiten

Die Wettervorhersage im Fernsehen war früher ein nettes Beiwerk; heute entwickeln sich unsere TV-Meteorolog*innen mehr und mehr zu politischen Klimaaktivist*innen und weisen verstärkt auf Extremwetterkatastrophen hin, die aber bereits seit den 80er Jahren bekannt sind. „Der Hinweis auf die Extremwetterereignisse ist sicherlich ein wichtiger Punkt und auch Aufgabe der Meteorolog*innen“, entgegnet Wiesen. Aber in der Wettervorhersage zu viel übers Klima zu sagen, sei auch nicht der Weg, sagt der Fachmann, denn Wetter sei alltäglich und das Klima untersuche das Wetter über einen dreißigjährigen Zeitraum. Natürlich weiß auch Wiesen, dass es immer Leute geben wird, die konsequent die Veränderungen leugnen, die man in der Atmosphäre beobachten kann, „Worüber man trefflich streiten kann ist sicherlich nicht, ob sich das Klima ändert, weil es sich seit Ewigkeiten ändert, denn es gibt kein konstantes Klima. Die Frage, die man vielleicht an der ein oder anderen Stelle noch intensiver diskutieren müsste, ist, wieviel von dem, was man an der Klimaveränderung sieht, tatsächlich durch den Menschen verursacht worden ist. Da gehen die Meinungen auseinander. Wer die sichtbare Änderung des Klimas leugnet, der tut das wahrscheinlich gegen besseres Wissen oder weil er irgendwelche anderen Interessen im Kopf hat.“

Wissenschaftliche Szenarien berechnen zunehmende Kosten durch Extremwetter

Auch Wuppertal war im letzten Jahr vom Extremwetter betroffen. Zwar wird relativ schnell aufgeräumt und finanzielle Zuschüsse werden bewilligt, doch die Frage bleibt: Was kostet uns die Klimakrise, wenn wir nicht endlich handeln? „Ich bin kein Ökonom und das ist sehr schwierig abzuschätzen“, sagt der Wissenschaftler. „Das, was man in der Wissenschaft macht, sind Szenarien. Es werden Modelle erstellt, in denen man sich überlegt, was würde unter verschiedenen Rahmenbedingungen bis zum Ende des Jahrhunderts passieren? Wie viel davon dann tatsächlich eintritt, das weiß natürlich niemand so genau.“ Trotzdem sehe man über die letzten Jahrzehnte eine deutliche Zunahme der Kosten, weiß Wiesen, die solche Extremwetterereignisse verursachen. Große Versicherer machten dafür bei Hurrikans in der Karibik beispielsweise auch die Bebauung verantwortlich, die vor allem an den Küsten immer größer geworden sei. Dadurch entstünden mehr Schäden, die dann im Wiederaufbau dementsprechend höhere Kosten verursachten.

Ein tolles Beispiel für eine gelungene Umweltpolitik: Das Ruhrgebiet

Einer der Forschungsschwerpunkte im Interdisziplinären Zentrum für Atmosphäre und Umwelt ist das Ruhrgebiet, das mittlerweile auf über 50 Jahre Luftqualitätsforschung und Steuerungspolitik zurückblicken kann. Aber wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik? „Das Ruhrgebiet ist ein tolles Beispiel dafür, was man durch eine konsequente Umweltpolitik erreichen kann“, schwärmt Wiesen zunächst. „1963, während des Bundestagswahlkampfes, hat Willy Brandt mal in der Beethovenhalle in Bonn bei einer Rede gesagt: ‚Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden!‘ Das ist er heute wieder und das wäre er wahrscheinlich nicht, wenn man nicht dem ein oder anderen mit Hilfe von Gesetzen ein wenig auf die Füße getreten wäre. Man hat in diesen Jahren eine Menge Fehler gemacht.“ Dazu gehöre die sogenannte Hochschornsteinpolitik der 1960er und 70er Jahre. In dieser Zeit baute man Schornsteine möglichst hoch, um den Dreck, den man verursachte, zu verteilen, da man dachte, die Lösung für das Verschmutzungsproblem sei das Verdünnen auf eine große Fläche. Heute weiß man, dass das Unsinn ist.“ Die Erkenntnisse aus jener Zeit wurden vernünftig in die Politik transportiert, sagt Wiesen und das geschehe auch heute zum Teil auf relativ kurzen Wegen zwischen den Forschenden und der Politik. Ein Beispiel dafür sei die Abwendung des drohenden Dieselfahrverbotes gewesen, in dessen Entscheidungsprozess seine Arbeitsgruppe involviert war. „Über die Stadt Wuppertal waren wir dann auch bei der Gerichtsverhandlung vor dem OVG (Oberverwaltungsgericht) in Münster dabei, wo wir dann diese Fahrverbote abwenden konnten zugunsten eines vernünftigen Vergleichs, den man damals abschließen konnte.“ Kurze Wege seien möglich und es gebe u. a. auch enge Kontakte z. B. nach Dessau zum Umweltbundesamt.

Komplexe Probleme bedürfen einfacher Gesetzgebungen

Veränderungsprozesse herbeizuführen, scheint ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. „Den Eindruck könnte man manchmal haben“, sagt der Fachmann, jedoch seien sowohl die Komplexität der Prozesse, als auch die Verzahnung zwischen den Umweltkompartimenten – also Boden, Wasser und Luft – extrem kompliziert und sehr schwer zu vermitteln. „Zu mir hat einmal jemand aus dem Umweltbundesamt gesagt: ‚Die Probleme mögen zwar komplex sein, aber die Gesetzgebung muss einfach sein.‘ Das ist manchmal das Problem.“

Ob Corona- oder Klimawandelleugner*innen: Statt zu handeln, setzt Politik immer noch auf Aufklärung und Gespräche. Das sei auch richtig, ist sich Wiesen sicher, denn es könne bereits jetzt schon einiges durch Gesetzgebungen in die richtige Richtung geschoben werden. „Claus Leggewie, ein Kollege aus einer anderen Fachrichtung in Essen, hat mal in einem Buch, dass er zusammen mit Harald Welzer geschrieben hat, in Abwandlung eines Bibelzitates den schönen Satz geschrieben: ‚Denn sie tun nicht, was sie wissen‘. Wir wissen eigentlich relativ viel über bestimmte Dinge der globalen Umweltveränderungen, aber es ist ein typisch menschliches Verhalten, zunächst einmal solche Dinge sehr langsam anzugehen.“ Bei schnell voranschreitenden Veränderungen, wie dem Ozonloch der 80er Jahre, einem Problem, das urplötzlich auftrat, habe man sich schnell zusammengefunden, sagt Wiesen, und über das Montrealprotokoll versucht, dem Fortschreiten des Ozonabbaus Einhalt zu gebieten. Beim Klimawandel kämen die Veränderungen jedoch sehr langsam. „Das ist das Gefährliche daran, denn eigentlich liegen schon Rezepte auf dem Tisch, die man dann konsequent umsetzen müsste.“

Ist der Klimawandel kein medienträchtiges Thema?

Eine Initiative, die im Fernsehen die von der ARD nur für einen sehr kleinen Teil des Publikums relevante „Börse vor acht“ durch eine wirklich für alle essenzielle Sendung namens „Klima vor acht“ ersetzen wollte, fand bei den Fernsehmacher*innen kein Gehör. Wissenschaftler*innen und Klimaprofis sind fassungslos über die Untätigkeit der Politik und der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zum Klimawandel. Das Problem dabei sieht Wiesen in erster Linie in der Vermittlung des komplexen Themas. Es gebe auch in den Öffentlich-rechtlichen eine ganze Menge zu diesem Thema. „Ich glaube, wenn man sich müht, findet man in den Medien eine Menge über Klimawandel.“ Die Vielzahl an Beiträgen im Internet kritisch zu hinterfragen, falle allerdings auch ihm als Fachmann manchmal schwer. Es sei schon viel Information da, aber man dürfe auch nicht jedes Gewitter und jeden Starkregen direkt zu einer großen Katastrophe stilisieren, denn, so betont er, „nicht alles, was an Extremwetterereignissen geschieht, hängt unmittelbar mit dem Klimawandel zusammen“.

Uniarbeitsgruppe an millionenschwerem Forschungsprojekt beteiligt

Deutschland bekommt eine neue Infrastruktur zur Erforschung von Feinstaubpartikeln, Wolken und Spurengasen. Verteilt auf elf Forschungseinrichtungen wird dieser deutsche Beitrag zur EU-Forschungsinfrastruktur ACTRIS (Aerosol, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure) künftig bessere Vorhersagen für Luftqualität, Wetter und Klima ermöglichen. Auch Wiesen ist an diesem millionenschweren Großprojekt beteiligt und untersucht Aerosole, also Feinstaubpartikel, auf deren Einfluss auf Luftqualität und das Klima. „Ich bin erst einmal sehr froh, dass meine Arbeitsgruppe an dieser neuen Forschungsinfrastruktur aktiv beteiligt ist, weil das eine langfristige Perspektive für die Atmosphärenforschung in Deutschland eröffnet. Kleinste Feinstaubpartikel verhalten sich wie Gase. Und das ist das Problem, denn die haben einen großen Einfluss auf die Gesundheit, weil die beim Einatmen je nach Größe verschieden tief in unseren Atmungstrakt gelangen können. Sehr kleine Aerosolpartikel gelangen bis in die Lungenbläschen und von dort aus sogar bis in den Blutkreislauf. Deshalb gibt es da auch sehr strenge Grenzwerte. Die WHO hat erst im September neue Luftqualitätsrichtlinien vorgeschlagen.“ Schwierig sei vor allem die Bewertung, welche Konzentration tolerierbar sei oder nicht.

In Bezug auf das Klima spielten Partikel eine Rolle, weil sie die sogenannte Rückstrahlungseffizienz des Sonnenlichts der Atmosphäre veränderten, erklärt der Forscher, und damit auch die Wärmebilanz der Atmosphäre beeinflussten. Dabei gehe es nicht um Sonnenenergie, denn davon gäbe es mehr als genug. „Das Problem ist, wie wir uns die Energie zunutze machen.“

Uwe Blass

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Prof. Dr. Peter Wiesen ist Atmosphärenchemiker an der Bergischen Universität. Unter seiner Leitung nimmt das 2021 gegründete Institut für Atmosphären- und Umweltforschung am ATMO-ACCESS-Projekt der europäischen Kommission sowie an der europäischen Forschungsinfrastruktur ACTRIS teil, dessen deutscher Beitrag vom TROPOS- Institut der Leibniz-Gemeinschaft in Leipzig koordiniert wird.
 

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