„Schadstoffe in Böden sind ein weltweites Problem“
Prof. Dr.-Ing Jörg Rinklebe und die internationalen Böden der Welt
Wenn ein Kind die Natur liebt, einen tollen Biologielehrer hat und schon in jungen Jahren alles Wissen über Pflanzen regelrecht aufsaugt, dann scheint der berufliche Weg vorgezeichnet. Ganz so einfach war es bei Jörg Rinklebe dann aber doch nicht, kam doch erschwerend die Tatsache dazu, dass ihm in der ehemaligen DDR-Schulzeit ein anderer Weg vorgegeben wurde. „Ich bin ja im Osten aufgewachsen. Und da wurde sehr stark gesiebt. … Aus jeder Klasse durften nur ein, zwei, maximal drei Leute Abitur machen.“ Leistung spielte nicht unbedingt die alleinige Rolle, auch das politische Kriterium wies dem, wie er sagt „eher aufmüpfigen Schüler“ einen anderen Lebensweg. „Ich war kirchlich aktiv, damals gab es das neue Forum* und da wäre es schwierig gewesen, dass sie mir überhaupt die Genehmigung gegeben hätten.“ Rinklebe absolvierte eine Berufsausbildung mit Abitur, eine Kombination, die man nach der Wende zunächst verwarf, heute aber unter dem „dualen“ Aspekt wieder neu zum Leben erweckt hat. „Da gab es entweder Biologie oder die Landwirtschaft.“ Und da Landwirtschaft ihm eine große Nähe zur Natur bot, mit Böden und mit Pflanzen zu tun hat, wurde er in die einzige Jahrgangsklasse, die sich mit dem Spezialgebiet der Pflanzenzüchtungen beschäftigte, aufgenommen.
Die Wende 1989 war für den damals 20 –Jährigen ein Segen. „Für meine Generation und für mich kam die Wende genau zur richtigen Zeit. Sonst säße ich nicht hier und wäre sowieso nicht in den Westen Deutschlands gekommen, hätte nicht studieren, nicht promovieren dürfen und wäre schon gar nicht Professor geworden.“
Professor Rinklebe geht 1992 nach Edinburgh, zum einen, weil er raus will, zum anderen, weil es damals in Deutschland noch kein Ökologiestudium gab und die Schotten eine Vorreiterrolle ausübten. Der Wissenschaftler erzählt in diesem Zusammenhang von den Anfängen der ökologischen Bewegung. „Es war die Zeit des großen Waldsterbens, die „Grünen“ hatten großen Aufwind und es ging darum, die Umweltprobleme auch anzupacken.“
Weltweit gibt es hunderttausende unterschiedliche Typen von Böden
Den Böden schenkt er dabei seine ganze wissenschaftliche Aufmerksamkeit und wird so im Laufe der Jahre eine internationale Koryphäe auf dem Gebiet der Auenböden.
„Auenböden sind ganz besonders in der Bodenkunde. Sie sind lokalisiert in der Nähe von Flüssen, werden also zeitweise überflutet und fallen zeitweise trocken.“ Dadurch haben sie eine große Wasserdynamik und setzen sowohl Nährstoffe als auch giftige Stoffe frei. Böden sind Medium für das Pflanzenwachstum. Rinklebe untersucht diese Böden auf Giftstoffe, die das Wasser der Flüsse aller entwickelten Industrienationen über Jahre mit sich geführt und abgelagert hat. Zwar hat die Gesellschaft mittlerweile dazugelernt, die Wasserqualität hat sich verbessert, aber, so der Wissenschaftler, „die schädlichen Stoffe der Flüsse sind niemals weg. Die befinden sich nämlich in den Böden. Die Böden filtern diese schädlichen Stoffe aus und halten sie fest. Und damit haben wir heute noch zu tun!“ Rinklebe weist dabei ganz konkret vor unsere Haustüre, denn auch die Böden der Wupper sind hochbelastet.
Erhöhte Bleigehalte in NRW
Das Reinigen der Böden hat wiederum seine Tücken. Man unterscheidet zwischen großflächigen Bodenbelastungen und jenen, die von der Fläche her begrenzt sind. Die einen kann man i.d.R. ausbaggern und dann reinigen, die anderen erfordern neue Strategien. „Man kann ja nicht halb NRW ausbaggern“, betont der Ingenieur lachend, da greift man dann unter Umständen auch zu alternativen Reinigungsverfahren, z.B. durch Pflanzenkraft. Dies bedeutet, auf großen kontaminierten Flächen werden z. B. Pflanzen angebaut, die die Schadstoffe aus dem Boden ziehen. Diese wiederum müssen dann geerntet, verbrannt und die Rückstände deponiert werden. Alles ziemlich teuer und in Zeiten knapper Kassen nur in Hotspots möglich. Man versucht daher, entweder die Giftstoffe durch Beimengung anderer chemischer Stoffe im Boden festzuhalten oder spricht aus Kostengründen von behördlicher Seite Nutzungsbeschränkungen aus. Interessant dabei: Extra für großflächig siedlungsbedingt erhöhte Schadstoffgehalte, wie sie in NRW vorliegen, gibt es eine Sonderpassage im Bundesbodenschutzgesetz(1998) bzw. der dazugehörigen Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung (1999). Darin sind die Grenzwerte für schädliche Bodenbelastungen festgelegt und werden für großflächig siedlungsbedingt erhöhte Schadstoffgehalte höher angesetzt, d.h. die Böden können in solchen Gebieten stärker belastet bleiben.
Die Schadstoffe verbleiben also im Idealfall an Ort und Stelle. Die große Gefahr ist aber immer, dass sie ausgewaschen werden und ins Grundwasser gelangen.
„Wir decken ca. 70% unseres Trinkwasserbedarfes aus dem Grundwasser“
Das Dilemma dabei ist offensichtlich. Professor Rinklebe: „Wir wollen sauberes, gesundes Trinkwasser haben. Daher ist es unser Interesse, das Grundwasser sauber zu halten. Das Grundwasser kann aber nur sauber sein, wenn der Boden sauber ist. Also versucht man die vorhandenen Schadstoffe im Boden zu halten, damit sie nicht ausgewaschen werden.“
Jeder Bürger kann sich über die Schadstoffbelastungen in seiner Region erkundigen. „Es gibt in NRW vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) eine Internetseite, auf die jeder Zugriff hat“, sagt der Wissenschaftler. Das Fachinformationssystem "Altlasten und schädliche Bodenveränderungen" kurz FIS StoBo genannt, ist eine Datenbank, auf der jeder Bürger nachsehen kann, wie hoch der Schadstoffgehalt in seiner Region ist. So kann die Frage nach dem Cadmium-, Chrom- oder Nickelgehalt in der Region gezielt an das Landesamt herangetragen werden.
Und auch Bodenschutz im heimischen Schrebergarten ist möglich. Dazu der Fachmann: „Man kann Kompost zuführen, Humus, das funktioniert bis zu einem bestimmten Rahmen und auch eine Aufkalkung kann hilfreich sein. Dadurch erhöht man den pH-Wert und senkt die Mobilität von Schadstoffen.“
Die Wiedereinführung von Hanf in Deutschland
In einem anderen Forschungsbereich arbeitet der emsige Wissenschaftler mit der Hanffaser. Gefördert von der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) beschäftigt sich dieses Forschungsprojekt mit der Wiederkultivierung einer der ältesten Nutzpflanzen der Erde: dem Hanf. „Ziel ist es, den Hanf zu nutzen, z. B. als Kleidung. Wir benutzen ja vorwiegend Baumwolle, die hier gar nicht wächst. Unsere Vorfahren haben alles aus Hanf gemacht. Man kann Jeans und auch die feinsten Stoffe aus Hanf machen, die Autoindustrie nutzt Hanf für Verkleidungen. Nahrungsmittel wie Limonade, Bier oder sogar Süßigkeiten werden daraus hergestellt.“
Vor ca. 200 Jahren erkannten Unternehmer, dass die Baumwolle aus anderen Ländern billiger zu erwerben ist. So verdrängte man den Hanf (Cannabis) bewusst, und reduzierte ihn nur noch auf seine berauschende Wirkung. „Eigentlich leben wir heute auf Kosten der afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Länder“, sagt Rinklebe, „unser kompletter Markt ist von der Baumwolle dominiert, obwohl wir theoretisch und auch praktisch in der Lage wären, den Hanf selber zu verarbeiten.“ Als Ziel liegt ihm natürlich auch die Nachhaltigkeit am Herzen, und er wäre nicht Wissenschaftler, würde er nicht vorausschauend planen, denn, „wenn die Entwicklungsländer selber zu Industrieländern werden, selbst Südamerika und Afrika werden das schaffen, dann wird es nicht mehr so einfach und kostengünstig sein, Südfrüchte und Baumwolle zu erhalten. Dann sind wir wieder irgendwann auf uns selbst gestellt und müssen unsere Nahrungsmittel selber produzieren. Dann lohnt es sich wieder Hanf hier anzubauen. Wir müssen bestimmte Dinge vorhalten, damit wir auch in 20 Jahren in der Lage sind, uns selbst zu versorgen.“
Hanf: Eine Winterzwischenfrucht, die es in sich hat
Sein langfristiges Ziel ist die Wiedereinführung von Hanf in Deutschland, und dazu hat er schon einiges getan. Hanf soll in Deutschland produziert werden, aber nicht als „Konkurrenz zu Weizen, Mais und Zuckerrüben“, darauf legt er großen Wert, denn der Hanf soll über den Winter als Zwischenfrucht, also zusätzlich angebaut werden. Das bedeutet, man kann ihn wunderbar „zwischenpflanzen“. Dazu Rinklebe: „In der Lücke, wenn ich die Wintergerste im August ernte, kann ich den Hanf noch bis Ende Oktober wachsen sehen. Er bleibt über den Winter stehen, was nebenbei noch weitere ökologische Vorteile bietet (z. B. Bodenbedeckung, Schutz für Tiere) und er steht nicht in ökonomischer Konkurrenz zu den Hauptfrüchten.“
15 Bauern konnte er bislang in einer weiteren Projektphase in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftskammer NRW zum Anbau von Hanf gewinnen. Doch der Weg ist noch weit, weiß der renommierte Forscher, denn für einen bundesweiten Anbau braucht es geeignete Landmaschinen, Aufbereitungstechnik, Know-how und einen gut funktionierenden Vertrieb.
Würden Sie ein Glas Wupperwasser trinken?
Das Grundwasser ist ein weiterer Bereich seines Fachgebietes, dem er sich neben den Auenböden widmet. Da er weiß, welche Schadstoffe in unserem kühlen Nass schlummern, würde er auch ungern das heimische Wupperwasser kosten. „Die Wupper hat zwar eine gute Wasserqualität, aber ich persönlich würde außer in besonders naturnahen Regionen wie z.B. den Alpen, kein Oberflächenwasser trinken. Da sind auch Kolibakterien und andere Mikroorganismen enthalten und wir Menschen sind es nicht mehr gewohnt, dieses zu verarbeiten.“
Gefragt nach den vorkommenden Giftstoffen, die sich in unserem Grundwasser finden könnten, nennt Rinklebe PFT-Verbindungen (industriell hergestellte, krebserregende Tenside) an Ruhr und dem Möhnesee sowie beim Brand im Düsseldorfer Flughafen. Zu den bekanntesten anorganischen Schadstoffen in NRW zählen die großen giftigen Stoffe wie Cadmium, Blei, Quecksilber, Arsen sowie Cyanide, aber auch Nickel, Chrom, Kobalt, Mangan und Zink. Grundsätzlich sind auch organische Schadstoffe wie Dioxine und Furane, HCH-Verbindungen (Hexachlorcyclohexan), PCB-Verbindungen (krebsauslösende, organische Chlorverbindungen) u.a. zu nennen.
„Das Erste, Einfachste und Wichtigste ist, den Müll nicht in die Böden kippen.“
Jeder einzelne Bürger kann etwas gegen Umweltverschmutzung tun. Es scheint so einfach zu sein, wenn Professor Rinklebe sagt: „Das erste, einfachste und wichtigste ist, den Müll nicht in die Böden kippen, damit nicht alles in die Flüsse und das Grundwasser geht“. Und auch sein Rat an die Hobbygärtner und Bauern, sorgsamer mit Pflanzenschutzmitteln und Düngemitteln umzugehen, appelliert an den Sachverstand jedes einzelnen, denn: „die EU hat Deutschland bereits aufgrund der zu hohen Nitratgehalte im Grundwasser verklagt.“ Eine Ursache sind die diffusen landwirtschaftlichen Quellen, vor allem durch zu hohe Stickstoffdünger. In Fachkreisen spricht man daher von einer sogenannten „angepassten Düngung“ die den behutsamen Einsatz von Chemikalien fordert.
Jedes Pflanzenschutzmittel ist Gift… und zwar für alle Organismen
„Man tötet meistens nicht nur die Made, die nicht in den Apfel soll“, sondern fördert auch Resistenzen. „Ein normaler Apfel,“ sagt Rinklebe, „wenn sie den im konventionellen Anbau kaufen, ist ca. 30 Mal gespritzt. Und dieses Gift ist ja auf dem Apfel drauf. Daher sollte man ihn auch mindestens waschen.“
Er selbst kauft besonders bei Äpfeln und Weintrauben ökologisch, wobei er zugibt, dass auch der Kauf beim Biobauern immer noch Vertrauenssache ist.
Statistisch interessant jedenfalls ist die Tatsache, dass der Marktanteil des Ökologischen Landbaus in Deutschland, der in den 90er Jahren noch bei ca. 1% lag, mittlerweile auf ungefähr 10% gestiegen ist, und das beweist doch das große Interesse hinsichtlich einer gesunden Ernährung.
Ehrenbotschafter in Südkorea
Dass die Probleme der Böden und Gewässer nicht an den Grenzen Deutschlands Halt machen, zeigt die internationale Vernetzung des Fachmanns. So bestehen seit Jahren enge Kooperationen mit Südkorea. Der Auenbodenfachmann ist dort ein geschätzter Gast, da sich die Probleme bzgl. der Schadstoffe im Boden der überfluteten Gebiete für den Reisanbau zu einer bedrohlichen Existenzgefährdung ausweiten könnten. „In Asien ist der Reisanbau das Dominierende, das Grundnahrungsmittel überhaupt. Es muss darauf geachtet werden, dass der Reis frei von Schadstoffen ist. Und die größten Probleme des Reisanbaus hinsichtlich der schädlichen Stoffe sind Arsen, Cadmium und Quecksilber. Wir haben überflutete Felder und eine ganz besondere Geochemie. Und diese geochemischen Prozesse sind den Auenböden unglaublich ähnlich.“
Die existentielle Bedrohung schildert Rinklebe am Beispiel Chinas. „Die Regierung weiß, dass man was tun muss, weil ihnen sonst die Leute mit 30 oder 40 Jahren wegsterben. In der Industrie liegen die Umweltstandards weit hinter den europäischen Standards zurück. Die produzieren viel, achten aber nicht auf die Umwelt. Jetzt beobachtet man in den letzten ein, zwei Jahren, dass sich was tut. Ein Bewusstseinsprozess hat eingesetzt.“ Doch nicht nur in Asien ist er aktiv. Beobachtungen am Nil und am Mississippi runden seine Erfahrungen ab.
Motivation das ist das A und O
Rinklebe weiß, dass neue Studierende oft nicht wissen, was auf sie zukommt, daher sagt er einladend: „Ich bilde hier die Leute aus, und zwar von der Pike auf, d.h. wenn sie mit ihrem Abitur hier ankommen und Bauingenieurwesen und Verkehrswirtschaftsingenieurwesen studieren, hören sie von mir die Grundlagen der Bodenkunde. Wir fangen mit den absoluten Basics an.“ Die Entwicklung zum Bodenkundler kann erst nach zwei bis drei Jahren kommen, denn solange braucht man, um die Grundlagen erlernt zu haben. Beruflich kommen viele Studierende später bei Umweltbehörden, geologischen Diensten oder privaten Ingenieurbüros unter.
Im Sommer reist Rinklebe zu einer weiteren Konferenz in die USA. Als Hauptredner spricht er dort über „Schadstoffe in Nassböden“, wozu neben Auenböden auch Reisböden, Moore und Küstengebiete zählen, die mit den gleichen Problemen kämpfen, wie nordrhein-westfälische Auenböden.
Uwe Blass (Gespräch vom 22.02.2018)
*Eine der Bürgerbewegungen, die in der Zeit der friedlichen Revolution in der DDR entstanden ist.
Prof. Dr. Jörg Rinklebe ist seit 2006 Professor für Boden- und Grundwassermanagement an der Bergischen Universität in Wuppertal. Von 1997 bis 2006 war er als Wissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter in der Sektion Bodenforschung des UFZ-Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle GmbH in Halle tätig. Er studierte ein Jahr Ökologie an der Universität Edinburgh in Schottland (UK). An der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg studierte er Landwirtschaft und spezialisierte sich auf Bodenwissenschaften und Pflanzenernährung.