Vortragsreihe zum 550. Geburtstag von Nikolaus Kopernikus
Prof. Dr. Volker Remmert / Wissenschafts- und Technikgeschichte
Prof. em. Dr. Gregor Schiemann / Philosophisches Seminar
Foto: UniService Transfer / Sebastian Jarych

Als wir aus dem Zentrum des Kosmos an den Rand geschoben wurden

Volker Remmert und Gregor Schiemann über das neue Weltbild Nikolaus` Kopernikus`, vorgestellt in einer Vortragsreihe des IZWT zum 550. Geburtstag des Ausnahmewissenschaftlers

Die Erde ist der Mittelpunkt des Universums! Um sie kreisen die Sonne, der Mond und die anderen Planeten, an scheinbar völlig durchsichtigen Kristallsphären befestigt. An der äußeren Sphäre schließlich sind die Fixsterne angebracht… So stellten sich wohl die Menschen im Mittelalter das Universum vor. 1543 veröffentlichte ein Pole in seinem Buch ´De Revolutionibus Orbium Celestium` (Über die Bahnen der Himmelskörper) die Theorie, dass sich die Erde um sich selbst drehe und mit den anderen Planeten die Sonne umkreise. Damit brachte er viele Zeitgenossen gegen sich auf. Sein Name: Nikolaus Kopernikus. Seine Theorie veränderte unser Weltbild. Galileo Galilei, der schon damals vom Kopernikanischen Modell als Realität sprach, wurde ab 1633 für neun Jahre bis zu seinem Tod 1642 unter Hausarrest gestellt. Erst 1992 rehabilitierte ihn Papst Johannes Paul II. vollständig. Kopernikus´ 550. Geburtstag nimmt nun das Interdisziplinäre Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung der Bergischen Universität unter der Federführung der Philosoph:innen Prof. Dr. Anna Leuschner, Junior-Prof. Dr. Radin Dardashti, Prof. em. Dr. Gregor Schiemann und des Historikers Prof. Dr. Volker Remmert zum Anlass, in einer kleinen Vortragsreihe über diesen Ausnahmewissenschaftler und die Auswirkungen seines neuen Weltbildes zu berichten.

Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543)

„Kopernikus wurde 1473 in Thorn (Torune), das im heutigen Polen gelegen ist, geboren“ beginnt Schiemann. „Sein Vater war ein vermögender Handelsmann. Über seine Jugend ist wenig bekannt. Er studierte an der Krakauer Universität, später auch in Bologna und Padua. Er belegte neben der Astronomie auch Rechtswissenschaften und Medizin und war zu Lebzeiten immer wieder ein gefragter Arzt. Noch während des Studiums ließ er sich in Frauenburg, ebenfalls im heutigen Polen, nieder, wo er später zum Domherrn ernannt wurde. Er blieb zeitlebens in dieser Position, hatte neben seinen astronomischen Studien viel mit Verwaltungsaufgaben zu tun und starb 1543 in Frauenburg, wo er im dortigen Dom beigesetzt wurde.“
 

Nikolaus Kopernikus, Wikimedia, gemeinfrei

30 Jahre Forschungsarbeit revolutionierten die Welt

Kopernikus forschte 30 Jahre an seiner Theorie und wartete dann noch einmal 10 Jahre, bis er sie veröffentlichte. Die Kirche konnte und wollte ihm nicht glauben, denn auf einmal stand der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt der Welt. Martin Luther bezeichnete ihn gar als ´Narr` und noch Jahre später zwang die Katholische Kirche Galileo Galilei zu der Aussage, dass sich die Erde nicht bewege. Aber Kopernikus war sich sicher und veröffentlichte im Jahr seines Todes 1543 sein Buch ´De Revolutionibus Orbium Celestium`. Die lange Wartezeit vor der Publikation, erklärt Schiemann, sei wahrscheinlich nicht aus Befürchtung vor kirchlichen Strafmaßnahmen geschehen, denn Kirchenvertreter hätten umgekehrt sogar Interesse an seinen astronomischen Berechnungen gehabt, die in bestimmter Hinsicht besser als die vorangehenden waren. Außerdem sei die Entfernung der Erde aus dem Mittelpunkt des Universums durchaus mit dem Glauben vereinbar gewesen, denn dieser Ort, also das Zentrum des Universums, habe ungünstigerweise die größte Entfernung vom unveränderlichen Himmel. „Viel problematischer war“, fährt der Wissenschaftler fort, „dass die Erde den anderen Planeten in Kopernikus` neuem Weltbild gleichgestellt war und damit die Möglichkeit eröffnet wurde, dass es auf anderen Planeten ebenfalls vernunftbegabte Lebewesen geben könnte.“ Zudem ergaben seine Berechnungen, dass das Universum ca. 400.000 Mal größer als bisher angenommen werden müsse und deshalb vielleicht mit der naturphilosophisch unerlaubten Leere versehen sein könnte.
„Die Hauptvorteile seines Systems sah Kopernikus in einer besseren Verträglichkeit mit den auch von der Kirche vorausgesetzten, metaphysischen Vorgaben. Darunter zählte die Gleichförmigkeit der Bewegung der Planeten und die Vereinfachung der Voraussetzungen der Berechnung ihrer Bahnen.“ Heute nimmt man an, dass Kopernikus so lange mit der Veröffentlichung gezögert habe, weil er mit dem Erreichten immer unzufrieden war, Korrekturen anfügte und um eine bessere Darstellung rang. „Er war insofern ein typischer Naturwissenschaftler, der mit dem Theoriegebäude, was er hatte, noch nicht zufrieden war“, ergänzt Remmert. Schon im Vorwort zu seinem Hauptwerk erkläre er in weiser Voraussicht vor künftiger Kritik, dass mathematische Argumente eben auch für Mathematiker geschrieben seien („mathemata mathematicis scribuntur“). „Das machte ihn so sicher, denn er hatte eine Methode, von der er wusste, dass sie zutreffende Ergebnisse liefert“, erklärt Remmert. Die klerikalen Kreise hätten ein großes Interesse an der Astronomie zu dieser Zeit gehabt. Insbesondere in Rom wusste man, dass der Kalender nicht mehr so gut funktionierte, beschreibt Remmert die damalige Situation. „Die Kalenderreform war ein großes Thema, wodurch astronomische Modelle sehr attraktiv waren. Zwar dauerte es noch einmal 40 Jahre, bis es soweit war, dass die große gregorianische Kalenderreform kam, aber Astronomie war immer auch im Zentrum religiösen Interesses; und zwar für alle Religionen.“

Vom heliozentrische Weltbild zum geozentrischen Weltbild

Kopernikus‘ Weltbild änderte grundlegende Vorstellungen, die man von Philosophie und Religion hatte und gilt als Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, wurde aber auch sehr unterschiedlich aufgenommen.Einige Zeitgenossen erkannten, dass sein System einen radikalen Bruch mit traditionellen Vorstellungen darstellt“, erklärt Schiemann. So schrieb der Dichter John Donne zu Beginn des 17. Jahrhunderts z.B.: ´Alles liegt in Stücken` und Shakespeare lässt Hamlet mit Blick auf Kopernikus sagen: ´Die Wahrheit ist ein Lügner`. Wieder andere hielten seine Theorie für mathematische Berechnungen, denen keine Aussagen über die Wirklichkeit beizumessen seien. „Die Astronomie galt damals als eine mathematische und nicht als eine physikalische Disziplin“, ergänzt der Philosoph. „Wegen dieser Differenz von Mathematik und Physik ist es auch schwer festzustellen, wann Kopernikus‘ Erkenntnisse in vollem Umfang akzeptiert wurden.“
Die Kritik, dass die Erdbewegung nicht mit der Heiligen Schrift vereinbar sei, beginne im Grunde erst nach seinem Tod und werde in den beiden Prozessen um Galileo Galilei kodifiziert, dass zumindest die Katholische Kirche die Erdbewegungen ablehnte, sagt Remmert und fügt an: „Es gibt ein Dreistufenmodell von Freud, der von drei Kränkungen gesprochen hat. Das erste ist die kosmologische Kränkung. Das ist das, was Kopernikus uns zufügt, weil wir aus dem Zentrum des Kosmos an den Rand geschoben werden. Die biologische Kränkung mit Darwin ist die Zweite und die psychologische Kränkung kommt mit Freud. So gesehen steht Kopernikus ganz am Anfang von einer Reihe von Kränkungen, die den Menschen immer unwichtiger und unspezifischer machen.“ Nehme man für das 21. Jahrhundert noch die Künstliche Intelligenz dazu, formuliert Schiemann, könne man vielleicht in Zukunft von einer vierten Kränkung sprechen.

Kopernikus Einfluss auf die Forschung …

1515 wurde Kopernikus gebeten, eine Stellungnahme für eine Kalenderreform abzugeben und 1533 ließ sich Papst Clemens VII. über seine Lehre informieren. „Die Rezeption setzte vor allem nach 1551 ein“, weiß Schiemann, „nachdem der bedeutende Astronom Erasmus Reinhold Kopernikus‘ Daten zur Berechnung der Positionen der Himmelskörper herangezogen hatte. Diese Preussischen oder Prutenischen Tafeln (Astronomisches Tabellenwerk zur Berechnung der Standorte von Sonne, Mond und Planeten, Anm. d. Red.), waren wirklich das einschlägige Werk damals.“ Erst durch Galileis Anerkennung des heliozentrischen Weltbildes als Realität, fügt Remmert hinzu, wurde es für die Kirche schwierig, es mit der Heiligen Schrift in Einklang zu bringen.

… und die Kunst seiner Zeit

„Für die Kunst müsste man vielleicht sagen, dass der Streit um die Weltbilder der Kunst sehr häufig thematisiert wurde“ sagt Remmert. Da könne man z.B. in einem römischen Kardinalspalast das berühmte Gemälde von Andrea Sacchi, die Allegorie der Göttlichen Weisheit (1629 – 1633), anschauen, wo, wenn man unter diesem Deckenfresko steht, die Sonne im Zentrum gemalt sei und die Erde sich um die Sonne zu drehen scheine. Dabei sind wir in Rom in einem vermeintlichen Zentrum des Antikopernikanismus.“

Vier Vorträge in vier Wochen

Da das Interdisziplinäre Zentrum mit dem dazugehörigen Graduiertenkolleg Räume im früheren Glanzstoffhochhaus, heute Teijinhochhaus in der Elberfelder City hat, nutzen die Verantwortlichen den dazugehörigen Webersaal für ihre Vorträge.
Die Themen sind so spannend wie vielfältig. Den Auftakt macht am 14. Juni der Mitinitiator Prof. Dr. Remmert unter dem Titel ´Weltbilder im Widerstreit`. „Es geht um den Streit der astronomischen Weltbilder im 16. und 17. Jahrhundert zwischen dem geozentrischen und heliozentrischen Weltbild“, erklärt Remmert. „Und dann stehen zwei Daten im Titel. Kopernikus 1543 und 1943. 1543 bezieht sich auf seine Publikation und 1943 war das 400. Jubiläum seiner Publikation und gleichzeitig sein 400. Todestag. Zu diesem Zeitpunkt haben wir das NS-Regime, dass Europa mit Krieg überzogen hat und insbesondere Polen als eigenständigen Staat und seine Intellektuellen auslöschen wollte. Kopernikus wird aus ideologischen Gründen wieder zu einem Deutschen gemacht. Diese Instrumentalisierung eines Gelehrten durch die Nationalsozialisten wird im Vortrag verdeutlicht.“
In den weiteren Vorträgen widmen sich die Wuppertaler Germanistin Ursula Kocher dem Thema `Kopernikus und die Folgen für Literatur und Kunst`, die Historikerin Arianna Borelli spricht über die dreidimensionalen Modelle der Himmelsbewegungen vor und nach Kopernikus und der Wissenschaftsphilosoph Martin Carrier referiert über die `Errungenschaften und Mängel der heliozentrischen Lehre in ihrer Zeit`.

„Der Wechsel des Weltbildes ist ein Einschnitt in die Menschheitsgeschichte“ sagt Schiemann abschließend, „und hat auch eine wichtige metaphorische Bedeutung in anderen Disziplinen. Man spricht ganz häufig von Kopernikanischer Wende, wenn etwas vom Kopf auf die Füße gestellt wird oder das Zentrum ausgetauscht wird.“


Alle Veranstaltungen (14.06., 21.06., 28.06. und 05.07.) beginnen jeweils mittwochs um 17.00 Uhr im Webersaal, Kasinostr. 19 - 21, gegenüber der Gaststätte `Hans im Glück`. Der Eintritt ist frei.

Weitere Informationen unter: https://www.izwt.uni-wuppertal.de/de/veranstaltungen/ringvorlesung/

Uwe Blass

Prof. Dr. Volker Remmert studierte Geschichte und Mathematik in Freiburg, Zürich und Karlsruhe. Er habilitierte sich in Neuerer und Neuester Geschichte sowie in der Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften. Seit 2011 ist er Professor für Wissenschafts- und Technikgeschichte an der Bergischen Universität. Zudem leitet er das Interdisziplinäre Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung ebenda.

Prof. em. Dr. Gregor Schiemann lehrte bis zu seiner Emeritierung am Philosophischen Seminar der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität und ist gegenwärtig Co-Sprecher der Forschungsgruppe „The Epistemology of the Large Hadron Collider“.

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