Gut gestaltete Arbeit bringt psychisches, körperliches und soziales Wohlbefinden
Der Arbeits- und Organisationspsychologe Prof. Dr. Rainer Wieland über den noch jungen Arbeitsbereich „Homeoffice“
Das Thema ´Arbeit im Homeoffice` hat in den letzten Jahren als Folge der COVID-19-Pandemie einen regelrechten Boom ausgelöst. Die Zahl der Erwerbstätigen, die im Homeoffice (HO) arbeiten, ist ebenso rasant gestiegen, wie die Anzahl der Studien dazu. Jetzt, wo die Pandemie vorbei ist, gilt es jedoch, diesen vielfach aus Sorge vor Ansteckung neu gewonnenen Arbeitsbereich sinnvoll zu implementieren. Doch das ist sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer gar nicht so einfach, weiß der Arbeits- und Organisationspsychologe der Bergischen Universität, Prof. Dr. Rainer Wieland, der sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat. Die Mehrzahl der aktuellen HO-Studien basiert auf subjektiven Urteilen der Befragten zu den Auswirkungen der Arbeit im Homeoffice bzw. den Vor- und Nachteilen aus Sicht der Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
„Aus Sicht der Beschäftigten“, erklärt der versierte Wissenschaftler, „war die Perspektive anfangs sehr positiv“. Man habe das Gefühl gehabt, im Homeoffice selbständiger arbeiten zu können. „Es gab einige Hinweise darauf, dass das psychische Befinden, das Wohlergehen der Leute, besser war,“, sagt Wieland, „dass sie weniger Fehlzeiten hatten, dass sie sich produktiver fühlten und auch zum Teil das Gefühl hatten, ihre Work-Live-Balance und Familienregulation besser auszutarieren.“ Ebenso wurden die eingesparten Fahrtzeiten zum Arbeitsplatz sehr positiv erlebt. Auch aus Arbeitgebersicht wurden eine Reihe von Vorteilen angenommen, wie z.B. die höhere Produktivität, die Fahrzeitersparnis oder die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Führungskräfte befürchteten allerdings, dass sie zu wenig Kontrolle und keinen Überblick mehr über die geleistete Arbeit haben. Die Arbeit im Homeoffice sei mittlerweile also durch einige Studien und Befragungen sehr positiv belegt, und doch fehlt dem Wuppertaler Fachmann ein wesentlicher Aspekt.
Die Arbeit im Homeoffice ist immer nur so gut wie die Arbeit im Office
„Was mir in der Diskussion fehlt, ist die Auseinandersetzung mit der Frage: wie soll die Schnittstelle zwischen der Arbeit im Office im Betrieb und Homeoffice gestaltet werden?“, sagt Wieland. „Wenn, wie zu erwarten ist, Homeoffice in vielen Arbeitsbereichen in Zukunft zum Arbeitsalltag gehören wird, dann sollten wir uns verstärkt um diese Schnittstelle kümmern“, erklärt er und sagt, „die Arbeit im Homeoffice ist immer nur so gut wie die Arbeit im Office“. Das bedeutet, je besser die Arbeit am Arbeitsplatz gestaltet ist, desto einfacher wird es im Homeoffice sein. Als Arbeitspsychologe definiert er dies so: „Ich sehe zwei Kernmerkmale. Wenn die realisiert sind, habe ich eher Arbeitsbedingungen, die nicht nur gut und produktiv sind, sondern auch gesund und förderlich für das Wohlbefinden. Das sind einmal die kognitiven Anforderungen. Das beinhaltet u.a.: Kann man die Arbeit selbst planen? Kann man sie selbst ausführen und auch kontrollieren?“ Man spricht dabei in Fachkreisen von ´vollständiger Tätigkeit`, die dann funktioniere, wenn die Arbeitsaufgabe so zugeschnitten sei, dass man ein Produkt herstelle, dass relativ eigenständig bearbeitet werden kann. Dazu benötigen Beschäftigte auch hinreichende Spielräume für eigene Entscheidungen. Rückfragen, die den Arbeitsablauf hemmen und oft mit unfreiwilligen Wartezeiten verbunden sind, fallen so weg. „Eine weitere, für eine erfolgreiche Aufgabenbewältigung und im Kontext des Themas Homeoffice sehr wesentliche Bedingung betrifft Arbeitsstörungen oder Regulationsbehinderungen“, fährt Wieland fort. Das betreffe unerwünschte Unterbrechungen, mangelnde Rückmeldungen über Arbeitsergebnisse sowie intransparente Aufgaben, die den Beschäftigten kein eindeutiges Vorgehen erlaubten. „Wir wissen aus unseren Projekten in Unternehmen, dass gerade Arbeitsunterbrechungen extrem stressig und mit Fehlzeiten und gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden sind. Arbeitsunterbrechungen treten im Homeoffice weniger auf, weil nicht ständig irgendwelche Leute dazwischenfunken.“ Störungen sind im eigenen Haushalt zwar auch vorhanden, z.B. durch Kinder, sie seien aber leichter zu handhaben, da sie von den Betroffenen – anders als im Betrieb – aktiv vermieden werden können.
Die Aufgabenbewältigung im Homeoffice scheint nach aktuellen arbeitspsychologischen Befunden besser zu gelingen als die Arbeit im betrieblichen Office. „Dies betrifft z. B. das Autonomieerleben, die Flexibilität, den Handlungsspielraum bei der Aufgabenbewältigung, sowie die Arbeitszufriedenheit. Problematisch ist allerdings der fehlende face-to-face Austausch mit Kolleg*innen und Führungskräften. Drei Tage in der Woche im Homeoffice und zwei im betrieblichen Office werden deshalb als optimale Verteilung angesehen.“
In der Zusammenfassung könne man sagen, und das sei auch empirisch belegt: „Die Art der Tätigkeit – anspruchsvoll, komplex versus einfach, monoton und viel versus wenig Tätigkeitsspielraum bei der Aufgabenbearbeitung - hat deutliche Auswirkungen auf die Gesundheit: Je größer der inhaltliche und zeitliche Handlungsspielraum ist, so zeigen Studien zur Teleheimarbeit, desto höher ausgeprägt sind das Wohlbefinden und die Gesundheit der im Homeoffice Arbeitenden.“ Wieland betont dazu auch die Perspektive der WHO (Weltgesundheitsorganisation) und sagt: „Gesundheit bedeutet dabei nicht Abwesenheit von Krankheit, sondern psychisches, körperliches und soziales Wohlbefinden.“
Homeoffice ist arbeitsrechtlich nicht eindeutig definiert
Eine gesetzliche Definition des Begriffes Homeoffice gibt es bisher noch nicht. Allgemein versteht man darunter das gelegentliche oder ständige Arbeiten in den privaten Räumlichkeiten des Arbeitnehmers. Letztlich ist Homeoffice ein Fall der Telearbeit. „Die Haltung der Arbeitgeber zum Thema Homeoffice ist nicht eindeutig“, erklärt er, „zu viele arbeitsrechtliche und ökonomische Vorbehalte verhindern hier eine verbindliche klare Linie. Arbeitgeber vermeiden das Wort Homeoffice oft, indem sie argumentieren, dass man Homeoffice nicht klar definieren kann“, denn das sei eigentlich mobile Arbeit, welche die Leute ja auch im Zug, am Strand usw. erledigen könnten. Wird Homeoffice als ein Fall von Telearbeit gefasst, „dann müsste der Arbeitgeber die Ausstattung des Homeofficearbeitsplatzes übernehmen sowie sich um Arbeits- und Gesundheitsschutzbelange kümmern“. Letzteres sei natürlich schwierig, denn man könne nicht einfach in die Wohnungen gehen, ohne dass die Arbeitnehmer es erlauben. Zudem lasse sich die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung nicht ohne Weiteres auf den Bereich Homeoffice übertragen. Viele Betriebe haben allerdings inzwischen betriebsinterne Vereinbarungen für die Arbeit im Homeoffice getroffen und statten ihre Beschäftigten mit den notwendigen Arbeitsmitteln wie z.B. Laptop etc. aus.
Arbeitsplatzausstattung wichtig?
Ein gut ausgestatteter Arbeitsplatz zu Hause kann teuer werden. Doch wie maßgeblich ist eine perfekte, ergonomische Ausstattung? „Ich bin inzwischen der Meinung, die Ergonomie des Bürostuhls ist eher zweitrangig. Ob auf einem Hocker, einem Ball oder einem vernünftigen Bürostuhl“, sagt Wieland, „die Hauptursachen für Rückenbeschwerden liegen nicht im körperlichen Bereich, sondern sind vor allem psychisch bedingt.“ Selbst Mediziner bestätigen, dass sich in ca. 96% der Beschwerdefälle keine organische Ursache feststellen lasse und man eher von psychischen Belastungen als Ursache ausgehen kann. Dazu führt der Wissenschaftler eine eigene Studie zur betrieblichen Gesundheitsförderung an, die mit Müllwerkern, also mit Entsorgungsbetrieben auf der einen und mit Mitarbeitenden von Finanzämtern in NRW auf der anderen Seite durchgeführt wurde. „Sowohl in den Finanzämtern als auch den Entsorgungsbetrieben waren es fast 70% der Beschäftigten, die über Rückenschmerzen klagten, die einen verrichten dabei körperliche Tätigkeiten, die anderen führten eine sitzende Tätigkeit aus.“ Für die Gesundheit der Beschäftigten entscheidend sind also offenbar die Qualität der Arbeit bzw. ihre psychisch wirksamen Merkmale wie Autonomie, Entscheidungsspielraum, sinnhafte Aufgaben und möglichst wenig Arbeitsunterbrechungen bzw. Regulationsbehinderungen. Die High-Tech-Ausstattung eines Büro-Arbeitsplatzes bewertet der Arbeitspsychologe daher in Ihrem Beitrag für die Gesundheit der Beschäftigten gegenüber der Qualität der Arbeit als eher gering.
Selbstregulation und soziale Isolierung am Homeofficearbeitsplatz
In der Verknüpfung von Arbeitstätigkeiten mit dem privaten Lebensraum entstehen gleichzeitig neue Anforderungen an die eigene Selbstdisziplin bzw. Selbstregulation. „Wir wissen aus einer Reihe von Studien, dass die Beschäftigten im Homeoffice mit einer Reihe von Zusatzanforderungen und -belastungen konfrontiert sind.“ So sind es, wie Wieland es formuliert, Rollen-, Ziel- und Zeitkonflikte aufgrund notwendiger ´Familienregulation`, Work-Life-Balance Konflikte und damit verbundene Defizite der inneren (mentalen) Abgrenzung bzw. Distanzierung von den Arbeitsinhalten in der arbeitsfreien Zeit, die neben der Erledigung der Arbeitsaufgaben, zusätzliche Anforderungen an die Selbstregulation stellen. „Auch leisten Homeoffice-Arbeitnehmer*innen im Durchschnitt einen höheren Arbeitseinsatz, wobei das Ausmaß der Mehrarbeit umso größer war, je häufiger im Homeoffice gearbeitet wurde.“
Ob die Arbeit im Homeoffice gelingt, ist jedoch nicht nur Privatsache. „Wenn wir eine Unternehmenskultur haben, die nicht darauf ausgerichtet ist, möglichst lange und viel zu arbeiten, dann wird es für mich einfacher, zu einer bestimmten Uhrzeit aufzuhören“, sagt Wieland, „aber, wenn ich das Gefühl habe, da ist ein extremer Leistungsdruck, sieht das anders aus. Natürlich spielt auch die Persönlichkeit eine Rolle; manche können sich besser abgrenzen als andere, besser nach der Arbeit abschalten als andere.“ Zu dieser Distanzierungsfähigkeit gebe es auch viele Forschungen. Generell sei das Abschalten von der Arbeit für viele Arbeitnehmer*innen ein Problem, welches aber durch Homeoffice oft noch verstärkt werde, betont Wieland.
Hinzu zu den erhöhten Anforderungen an die Selbstregulation kommt noch die soziale Isolation. „Man ist in vielen Belangen auf sich allein gestellt und muss mit möglichem Ärger, z.B. mit seiner Führungskraft oder Schwierigkeiten bei der Aufgabenerledigung selbst klarkommen. Die Arbeit im Homeoffice geht häufig – vor allem wenn sie über lange Zeiträume erfolgt -, mit dem Verlust der sozialen Kontakte einher.“ Da sei wieder diese Schnittstelle von Unternehmen und Homeoffice, setzt Wieland an. „Man muss das ernst nehmen, und gezielt zusätzliche Möglichkeiten zur Kommunikation mit Kolleg*innen schaffen. Im Betrieb hat man in der Regel die Möglichkeit, miteinander zu sprechen. Für die Arbeit im Homeoffice könnte man feste Zeiten dafür ein planen, ´offiziell zu chatten`, so wird soziale, kollegiale Kommunikation strukturell verankert und von der Unternehmensleitung wertgeschätzt.“
Ohne Wertschätzung keine Wertschöpfung
Wertschätzung und Anerkennung sind wichtige Bestandteile einer erfolgreichen Arbeit, die in jedem Unternehmen bedeutsam seien, bestätigt der Forscher und sagt: „Es gibt ja den schönen Spruch ´Ohne Wertschätzung keine Wertschöpfung`. Nun stellt sich für mich die Frage: Woraus resultiert Wertschätzung?“ Reicht es aus, fragt sich der Arbeitspsychologe, dem ein oder anderen Mitarbeitenden gelegentlich auf die Schulter zu klopfen oder zu sagen, das hast Du prima gemacht? „Aus arbeitspsychologischer Perspektive ist eine Wertschätzung, die sich darin äußert, dass ich als Führungskraft meinen Mitarbeitenden verantwortungsvolle Aufgaben zuweise, deutlich nachhaltiger – und wohl auch wertschätzender - als nur ein Schulterklopfen. Damit sind wir wieder beim Thema der psychologischen Arbeitsgestaltung.“ Verantwortung können die Mitarbeitenden dann übernehmen, wenn man ihnen vollständige Tätigkeiten zuweise. Planen, Ausführen und Kontrollieren sowie ausreichende Entscheidungsmöglichkeiten liegen dann in einer Hand. „Damit signalisiere ich als Führungskraft: ´Ich gebe Dir anspruchsvolle Aufgaben und traue Dir zu, dass Du diese auch erfolgreich erledigst. ` Man könnte dies auch als wertschätzenden, aufgaben- und mitarbeiterorientierten Führungsstil bezeichnen“. Gerade für die Arbeit im Homeoffice sei diese Form der Führung sehr wirksam, betont der Wissenschaftler.
Homeoffice - ein Arbeitsplatz der Zukunft?
Für Wieland stellt sich die Frage: „Was benötigen wir für eine zukunftsorientierte, menschengerechte und zugleich wirtschaftliche Gestaltung der Arbeit im Homeoffice?“ Einfache Antworten werde es wohl nicht geben, da mit der Auslagerung der Arbeit ins Homeoffice zahlreiche Veränderungen einhergehen, die auch einen unternehmensübergreifenden, gesellschaftlichen Diskurs erfordern. „So gibt es z.B. Ideen“, sagt er, „u.a. auch von Gewerkschaften, die für neue Wohnbauprogramme plädieren, die auch direkt homeoffice-fähig sind, also ein kleines Zimmer extra haben.“ Das Nachdenken und Reflektieren über das Thema Homeoffice sei dringend notwendig. Dabei sollte die Arbeit im Homeoffice nicht isoliert betrachtet werden, sondern vielmehr im Kontext der Frage, was wir in Zukunft dringlicher brauchen: Weniger Arbeit oder bessere, menschengerechtere Arbeit?
Die Gestaltung von Arbeit wird ein zentrales, gesellschaftliches Thema in der digitalisierten Welt von morgen sein. Dabei wird es nicht ausreichen, von technischen Machbarkeiten auszugehen, und die Bedürfnisse, Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen zu vernachlässigen. „Das, was Menschen bewegt, die grundlegenden psychischen und sozialen Mechanismen, die bei uns allen wirksam sind, haben sich seit Jahrhunderten nicht verändert. Deshalb kann die Psychologie der Arbeit für die zukünftige Gestaltung der Arbeit auch einen wertvollen Beitrag leisten.“
Uwe Blass
Prof. Dr. Rainer Wieland (em.) leitete von 1993 bis 2017 das Fach Arbeits- und Organisationspsychologie in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft in der Schumpeter School of Business and Economics an der Bergischen Universität. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Wuppertaler Instituts für Unternehmensforschung und Organisationspsychologie (WIFOP) und leitet den Weiterbildungsstudiengang „Arbeits- und Organisationspsychologie“ der Bergischen Universität Wuppertal.