Die kräftigen Bauernburschen aus den Hochalpentälern
Der Historiker Dr. Arne Karsten über die Schweizergarde in Rom
Securitydienste sind heutzutage überall im Einsatz, um etwa Prominente oder Politiker vor Gefahren zu schützen. Eine weltweit bekannte Einheit tut dies bereits seit dem frühen 16. Jahrhundert für den päpstlichen Souverän: Die Schweizergarde.
Der Historiker Arne Karsten kennt ihre Geschichte und die wechselvolle Entwicklung der einstigen Bauernburschen aus den Schweizer Kantonen.
Junge Männer aus armen Verhältnissen
Ihr offizieller Name lautet Pontificia Cohors Helvetia. „Die päpstliche Schweizergarde ist das einzige verbliebene bewaffnete Militärkorps des Heiligen Stuhls, dass ursprünglich aus kräftigen Bauernburschen aus den Hochalpentälern bestand“, erklärt Karsten, „die gerne in die Solddienste fremder Herrscher eintraten, um diese vor jedweder Gefahr zu schützen.“ Und nicht nur im Vatikan waren die stattlichen Kerle gerngesehen, auch in Österreich, verschiedenen italienischen Staaten und vor allem in Frankreich zeigte die Söldnerarmee über lange Zeiten hinweg Präsenz. Zur Zeit Kardinal Richelieus boten im 17. Jahrhundert mehrere Kompanien mit bis zu 6000 Männern königlichen Schutz. „Der Hintergrund dazu ist“, erklärt Karsten, „dass die Eidgenossenschaft, wie man richtigerweise sagen muss, denn bis Anfang des 19. Jahrhunderts gab es gar keine Schweizer, aus einer Reihe von Kantonen bestand, die zum Teil bitterarm waren. Heute ist die Schweiz ein Ort des Wohlstands und Reichtums, das war früher anders. Diese Bergtäler boten gerade das Notwendigste zum Überleben, oft war es so, dass vor allem junge Männer ihr Auskommen woanders suchen mussten, und so wurden diese Solddienste bei fremden Herrschern eine regelrechte Tradition.“
Bezahlung des Söldnerheers auch aus Augsburg
Die Augsburger Kaufmannsfamilie Fugger spielt in Bezug auf die Schweizergarde eine wichtige Rolle. „Sie investierten ihr Kapital zur Finanzierung der notorisch klammen Herrscher“, sagt Karsten, „und zu den Kreditnehmern, zu den Schuldnern der Augsburger Fugger, gehörten auch die Päpste in Rom.“ So kam es, dass die ersten 150 Gardisten tatsächlich mit dem in Augsburg geliehenen Geld bezahlt wurden.
Die Aufgaben der Schweizer Schutzeinheit habe sich im Laufe der Jahre kaum verändert, berichtet der Fachmann. Nach wie vor sollen sie im Wesentlichen die Sicherheit des päpstlichen Souveräns als Garde du Corps, also als Leibgarde oder Wächter des Körpers, wenn man es frei übersetzen möchte, gewährleisten. „Daneben sind es Wach- Ordnungs- und Ehrenaufgaben. Sie stehen an den Toren des Zugangs zum Vatikan, sie sind im Einsatz bei allen möglichen festlichen Anlässen und schaffen damit gleichzeitig einen Ordnungsrahmen sowie einen würdigen Ablauf jeder Festveranstaltung.“
6. Mai 1527 wird Schicksalstag der Garde
Neue Gardisten werden traditionsgemäß immer am 6. Mai vereidigt. Doch dieser Termin hat einen tragischen Hintergrund und ist daher zugleich Trauer- und Ehrentag. „An diesem Tag im Jahr 1527 wurde Rom von deutschen und spanischen Söldnern im Dienste Karls V. erobert und dann monatelang geplündert“, berichtet Karsten. „Tatsächlich sind die Schweizer da ihrem Auftrag, Papst Clemens VII. aus dem Hause Medici zu schützen, so nachgekommen, dass rund dreiviertel der Schweizer Gardisten bei der Verteidigung des Papstes und seiner Flucht in die Engelsburg ihr Leben verloren. Seit diesem Tag, dem sogenannten Sacco di Roma, an dem sich die Einheit über die Maßen bewährt hatte und den päpstlichen Souverän rettete, wird dieses Datum zum Anlass genommen, die alljährliche Neuvereidigung vorzunehmen.“
Traditionen
Traditionen spielen bei der Schweizergarde eine wichtige Rolle. Schon der Text der Eidesformel hat sich bis heute nicht verändert. Darin heißt es u.a.: „Ich schwöre, treu, redlich und ehrenhaft zu dienen dem regierenden Papst [Name des Papstes] und seinen rechtmäßigen Nachfolgern, und mich mit ganzer Kraft für sie einzusetzen, bereit, wenn es erheischt sein sollte, selbst mein Leben für sie hinzugeben.“ Heute ist der Dienst eher mühsam im Sinne der anstrengenden Routineaufgaben, zu denen auch das stundenlange Wachestehen mit ausgehaltener Hellebarde (Mischform von Hieb- und Stichwaffe, Anm. d. Red.) zählt, die ein Relikt früherer Zeiten ist. „Die Bewaffnung ist schon sehr widersprüchlich“, konstatiert Karsten, denn, „auf der einen Seite, außerordentlich traditionell, führen sie beim Wachdienst an den beiden Eingangstoren zur Vatikanstadt sowie der Eingangstreppe zu den vatikanischen Palästen eine Hellebarde und einen Degen. Als ausgewiesene Personenschützer tragen sie darunter oder daneben auch noch eine Pistole und für den ´kleinen` Einsatz Pfefferspray.“ Und dann ist da natürlich noch die Kleidung. Die Gardisten besitzen zwei Uniformen, eine davon im Renaissance-Stil in Samt mit Puffärmeln, eine Stilisierung und Variation einer Medici-Kriegstracht aus dem 15. Jahrhundert, die an Festtagen sogar mit einem zusätzlichen Brustpanzer versehen wird. „Zum Brustpanzer kommt dann noch der Morion-Helm (offener Helmtypus ohne Visier in der Form spanischer Eisenhüte -Anm.d.Red.-)“, ergänzt Karsten, denn natürlich sei die Aufgabe der Schweizergardisten auch eine Dekorative. Man könne das bei Besuchen in Rom immer sehen, dass sich Touristen gerne an der Porta Sancta Martha, links vom Petersdom, mit den Gardisten in Galauniform fotografieren ließen. „Daneben gibt es aber auch die kleine Dienstuniform. Die ist schlicht in mittelblau gehalten und wird im Alltagsdienst getragen. Auf dem Weg in die Vatikanische Bibliothek oder das päpstliche Geheimarchiv z.B. geht man morgens an den Schweizern vorbei, wird gefragt, wo man hinmöchte und dann sehr freundlich mit einem „Grüezi“, mit der Hand dabei an der Mütze, durchgelassen“, lacht der Vatikankenner.
Scharf und treu – immer!
Zur Rekrutierung junger Gardisten geht auch die Schweizergarde mittlerweile neue Wege. Die Videopräsentation dazu ist sehr modern. Das Motto lautet: Acriter et fideliter – semper! (Scharf und treu – immer!) „Das ist das traditionelle Selbstbild der Schweizergardisten. Die Zuverlässigkeit im Sinne von Leistungsbereitschaft, das ´scharf` bezeichnet das genaue Hinsehen, die Aufmerksamkeit im Dienste des Papstes und zum anderen die Treue, die in der Tradition der Schweizergardisten in ganz Europa immer wieder gerühmt wurde und sich bewiesen hat. Das berühmteste Beispiel ist 1792 gewesen, der Sturm auf die Tuilerien, das Stadtschloss der französischen Könige. Am 10. August opferten da mehrere hundert Schweizergardisten zur Verteidigung dieses Schlosses ihr Leben gegenüber dem aufständischen Pöbel der Französischen Revolutionsanhänger.“
Und weil auch in unserer Zeit die Gefahren nicht weniger werden, wurde 2018 die Sollstärke der Gardisten im Vatikan sogar erhöht.
Aufnahmebedingungen
Doch nicht jeder junge Mann erfüllt die Aufnahmebedingungen, die Karsten wie folgt aufzählt: „Sie müssen natürlich katholisch sein, 1,74 Meter groß sein, einen unbescholtenen Leumund vorweisen können und den Schweizer Wehrdienst absolviert haben.“ Für knapp 15600 Euro Jahressalär dienen viele Schweizer zwischen Schulabschluss und beruflicher Karriere ehrenvoll im römischen Kleinstaat. „Aus meiner Forschungszeit in Rom bin ich bis heute noch befreundet mit einem ehemaligen Schweizergardisten aus dem Kanton Graubünden, dessen Vater schon Schweizergardist war“, erzählt Karsten abschließend, „der hat nach der Schulzeit und vor dem Geschichtsstudium in Rom zwei Jahre bei der Garde gedient, hinterher tatsächlich ein Studium aufgenommen und seine Abschlussarbeit über ein päpstlich-römisches Thema gewählt.“
Uwe Blass
PD Dr. Arne Karsten (*1969) studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Göttingen, Rom und Berlin. Von 2001 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin. Seit dem Wintersemester 2009 lehrt er als Junior-Professor, seit der Habilitation 2016 als Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität.