Die gemeinsame Suche nach Wahrheit
Dr. Klaus Feldmann über den Forschungsbereich „Philosophieren mit Kindern“
Wieso? Weshalb? Warum? Das Erstaunen über die Welt beginnt bei Kindern oft durch diese Fragen. Der Akademische Oberrat am Philosophischen Seminar der Bergischen Universität, Dr. Klaus Feldmann, beschäftigt sich in seiner Forschung mit dem Thema ´Philosophieren mit Kindern`. „Im Bereich des Philosophierens mit Kindern ist es häufig so, dass hier elementare philosophische Fragen von den Protagonisten aufgeworfen werden“, erklärt er, „ihre Bearbeitung wird aber nicht mit einem Rekurs auf philosophische Fachliteratur geleistet. Kinder liefern Impulse, und das macht das Philosophieren mit Kindern interessant.“
Alle philosophieren, aber auf unterschiedlichem Niveau
Das Thema ´Philosophieren mit Kindern` werde in der Fachcommunity häufig belächelt, sagt Feldmann, denn „die Philosophie ist doch eine Wissenschaft mit hohem begrifflichen Abstraktionsgrad und für Kinder so nicht zu leisten.“ Aber in diesem Forschungsbereich gehe es nicht um die Philosophie an sich, sondern um das Philosophieren, also einer Praxis im Unterschied zu einer Lehre. „In meiner Disziplin, der Didaktik der Philosophie, gehen wir nicht von einem hierarchischen Modell des Faches aus, welches man ja u.a. in die akademische, die schulische oder auch die kindliche Philosophie unterteilen könnte, sondern von einem graduellen Modell. D. h., in jedem Kontext bestehen jeweilige Ziele, Praxen und verschiedene Geltungsansprüche für das Philosophieren.“ In der fachdidaktischen Literatur werde das mit dem Sport verglichen. „Es gibt Spitzensport und Breitensport, aber alle machen Sport.“ Übertragen auf die Geisteswissenschaft bedeute das, alle betreiben Philosophie, aber auf unterschiedliche Art und Weise.
Der philosophische Umgang im Alltag
Kinder stellen oft Fragen, die uns Erwachsene unsicher machen, weil wir selber keine Antwort darauf haben. In Zeiten von Corona, Klimakrise und Krieg kommen Eltern da an ihre Grenzen. Wie geht man also damit um? „Aus meiner Sicht sollten Eltern die Unsicherheit zum Thema machen und Grenzen des Wissens und der eigenen Orientierung offen mit den Kindern besprechen“, schlägt Feldmann vor, denn eine scheinbare Sicherheit zu geben und Antworten zu formulieren, die man selber nicht habe, führe zu Unsicherheit bei Kindern. Das sei dann auch der philosophischere Umgang, stelle sich doch die Philosophie seit Jahrtausenden die gleichen Fragen und habe auch, wenn überhaupt, wenige Antworten, formuliert der Fachmann. „Entscheidend bei diesem Vorgehen, insbesondere bei Kindern, ist es, ihnen klar werden zu lassen, dass Sie mit Ihren Fragen und Anliegen nicht alleine sind, dass uns Erwachsene diese Probleme auch umtreiben und wir alle als sterbliche und liebende Menschen diese Probleme gemeinsam haben.“
Philosophieren mit Kindern - Die gemeinsame Suche nach Wahrheit
Bei der Lösung unser aller Probleme, wie auch immer sie gewichtet seien, kann ein philosophisches Gespräch helfen, doch wie philosophiert man denn mit Kindern? „Die Forschung setzt stark auf das Gespräch mit den Kindern“, erklärt der Pädagoge. „Sokrates – auch wenn das historisch fraglich ist – ist als Protagonist in vielen platonischen Dialogen der Gesprächsführer und erörtert mit seinen Gesprächspartnern zentrale philosophische Fragen. Etwa, was das Gute ist, was wir wissen können oder was Unsterblichkeit bedeutet. Methodisch wurde dieses antike Gesprächsformat im 20. Jahrhundert weiterentwickelt.“ Man geht heute von folgenden Prämissen aus. „Das Gespräch soll von individuellen Erfahrungen der Gesprächsteilnehmer*innen ausgehen, im Konkreten Fuß fassen, um sich dann über die Auswahl eines Falls und die Diskussion darüber einen Sachverhalt besser erschließen zu können.“ Der Anspruch für dieses Gesprächsformat sei die gemeinsame Suche nach Wahrheit und schließlich in Form eines Metagesprächs (ein Metagespräch beschreibt die Situation, in der sich zwei oder mehrere Personen darüber unterhalten, wie ein bestimmtes Gespräch verlaufen ist, insbesondere wie man dabei miteinander umgegangen ist. Anm. d. Red.) die Reflexion des Gespräches selbst. Dies werde im ´Philosophieren mit Kindern` von den meisten favorisiert. Darüber hinaus gebe es neben dem Gespräch noch andere Zugangsweisen. „Dazu gehören anschauliche Materialien, durch die man z.B. über Bilder oder Filme philosophieren kann oder narrativ mit Geschichten arbeitet.“
Die Praxis des Fragenstellens
Beim Philosophieren ist es hilfreich, Kinder als gleichberechtigte Gesprächspartner anzusehen. Damit regt man das Selbstdenken und die Entfaltung der eigenen Vorstellungskraft an, kommt aber nicht unbedingt zu einem Ergebnis. Dennoch gehen Kinder oft besser mit ergebnisoffenen Gesprächen um. „Sie verstehen – oft besser als Erwachsene – dass faktische Antworten nicht alles sind, was es auf der Welt gibt“, sagt Feldmann. „Das Philosophieren hilft ihnen dabei. Als Praxis des Fragenstellens und weniger des Antwortgebens, leistet es einen Differenzierungsbeitrag. Kinder lernen so, dass es verschiedene ´Kategorien` von Wirklichkeit gibt.“ Neben der Faktischen Wirklichkeit, die man empirisch erforschen könne, gebe es auch noch die Wirklichkeit der Gefühls- und Verstandeswelt. „Diese lässt sich weniger gegenständlich beschreiben. Ihre Versprachlichung liegt im Bereich der Philosophie.“
Eine ganz besondere Beziehung
Der Philosoph Gareth B. Matthews sagt: „Die Kombination von Stärken und Schwächen, die ein Erwachsener in die philosophische Begegnung mit einem Kind einbringt, enthält die Chance einer ganz besonderen Beziehung.“ Dazu Feldmann: „In Fragen der persönlichen Lebensorientierung, welche eine zentrale Funktion des Philosophierens in Bildungskontexten ist, treffen sich Kinder und Erwachsene im Bereich der ´menschlichen Angelegenheiten`, wie Hannah Arendt (Hannah Arendt 1906 – 1975, deutsche Publizistin) es nennen würde.“ Das Besondere der Beziehung sei die gemeinsame Nähe zu Fragen nach menschlicher Beziehung überhaupt, die in Ihren Extremen sicherlich von Tod und Liebe gekennzeichnet, und die letztlich die Quelle philosophischer Praxis sei. Daher sei das Philosophieren für die eigene Meinungsbildung extrem wichtig, denn es „birgt die Möglichkeit, Wirklichkeit differenzierter zu betrachten. Antworten lassen sich mit philosophischen Mitteln – entgegen der Annahme, es gebe in diesem Bereich kein Richtig oder Falsch – durchaus qualifizieren. Grundlegendes Kriterium ist hier der Satz vom Widerspruch mit all seinen Implikationen.“
Philosophie in Schulen sollte Pflichtfach werden
Zum Philosophieren fehlt Eltern oder Lehrer*innen oft die Zeit, sowie das nötige Training für solche Denkarbeit, die für die persönliche Entwicklung eines Kindes jedoch entscheidende Vorteile bietet. „Philosophie bzw. Philosophieren sollten aufgrund der Vorteile, die es für Heranwachsende mit sich bringt, in unseren Bildungsinstitutionen aufgewertet werden“, gibt Feldmann zu bedenken. „So sollte in allen Schulformen und Klassen Philosophie als reguläres Pflichtfach etabliert und nicht mehr als Appendix des Religionsunterrichts geführt werden.“ Philosophieren reduziere sich nicht auf die Vermittlung von Wissen, sondern umfasse wesentlich auch das eigenständige Denken, das kritische Betrachten und begründete Urteilen. Eine Chance bestehe in der gemeinsamen Reflexion von Grenzen des Wissens und Nichtwissens, dem Bewusstwerden des begrenzten Geltungsanspruchs von Wissenschaft überhaupt. Dadurch könnten sich weitere Funktionen - vor allem Sozialfunktionen - des Faches eröffnen. „Probleme wie Mobbing z.B. könnten so in der Klasse besser bearbeitet werden, und es hätte auch durchaus sozialphilosophische Implikationen.“
Philosophisches Gespräch versus digitale Welt
Das philosophische Gespräch zwischen Kindern und Erwachsenen in unserer sich schnell verändernden, digitalen Welt ist nach Feldmanns Meinung extrem wichtig. „Sehr viele Fähigkeiten, die wir mit dem Philosophieren vermitteln wollen, sind für einen Umgang mit dem Digitalen von immenser Relevanz. Dazu gehören Sicherheitsfragen, Verhaltensweisen sowie der Umgang im Netz oder die Frage, wie ich selber im Netz erscheinen und gesehen werden möchte.“ Auch die Rezeption von Quellen sowie die Frage, auf welcher Basis ein Urteil zustande komme, seien wesentliche Diskussionsthemen und dienten darüber hinaus auch einer Demokratieerziehung.
Uwe Blass
Dr. Klaus Feldmann ist Akademischer Oberrat am Philosophischen Seminar der Bergischen Universität Wuppertal. Sein Lehrgebiet: Didaktik der Philosophie.