Regionale Grundlagenforschung führt zu Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Prof. Dr.-Ing. Kai-Dietrich Wolf über die Arbeit des Instituts für Sicherungssysteme (ISS) der Bergischen Universität am Standort Velbert
„Die Unternehmen hier müssen selbstbewusster werden und auch mit größeren Partnern überregional zusammenarbeiten“, sagt Prof. Dr.-Ing. Kai-Dietrich Wolf, der seit 2009 die Geschicke des Instituts für Sicherungssysteme (ISS) der Bergischen Universität in Velbert leitet. Als er vor elf Jahren nach Wuppertal kam, haben ihn vor allem die Unternehmenskontakte interessiert. „Wuppertal ist durchaus bekannt für Sicherheit, für den Fachbereich Sicherheitstechnik und hat eine gute Reputation. Das Bergische Land ist eine interessante Region, der Maschinenbau hat hier eine lange Tradition“, erklärt er, denn „es ist gar nicht so einfach für Wissenschaftler, sich mit einem Thema Unternehmenskontakte und damit ein Netzwerk aufzubauen. Das fand ich besonders attraktiv.“ Seitdem unterrichtet er im Fach Mechatronik junge Studierende und führt gleichzeitig das Velberter Institut, zu dessen gegenwärtigen Forschungsschwerpunkten die Grundlagen der quantitativen Sicherheitsanalyse (Security) und die Anwendung innovativer Technologien für moderne Systeme zur Zugangskontrolle gehören. „Wir machen Grundlagenforschung aus dem, was an Wissen hier existiert und sich in Jahrzehnten im Bereich Sicherungssysteme aufgebaut hat.“ Wolf nutzt da die lange Tradition der Region, die z.B. im Bereich Schlösser und Beschläge über eine Menge Sicherheitswissen verfügt.
Eine Startup-Gründung 1995 lässt die Region aufhorchen
Interessant in diesem Zusammenhang ist die Gründung des Unternehmens SimonsVoss Technologies im Jahre 1995, das heute auf seiner Internetseite mit einem digitalen Schließzylinder wirbt. „Die sind sehr erfolgreich mit elektronischen Schließsystemen am Markt eingestiegen“, berichtet er, „das war der Weckruf für die Region.“ Schon damals rückte die Grundlagenforschung in den Fokus, deren Knowhow bei der Entwicklung neuer Technologien unentbehrlich ist.
Zu den Forschungsinhalten des Instituts gehört u.a. die Vorhersehbarkeit veränderter Sicherheitsbedürfnisse, also keine Kristallkugelweisheit, sondern Verständnis für die Entwicklung der Anforderungen an sich verändernde Sicherungssysteme. „Es gibt gesellschaftliche Veränderungsprozesse und technologische Entwicklungen. Wenn man die Mechanismen der Sicherheit verstanden hat und weiß, was die Sicherheit eigentlich ausmacht, also Schutz im weitesten Sinne in Form von Türen, Toren, Beschlägen, Zäunen und Geländesicherung oder Überwachungseinrichtungen wie Videokameras, kann man auch nachvollziehen, wie sich die Anforderungen an die Technologien ändern.“ Und da sei ein besonderer Paradigmenwechsel zu beobachten, gibt der gebürtige Wiesbadener zu bedenken, denn über die Zeit habe man gesehen, dass z.B. der Einsatz von Drohnen neue Denkmuster verlange, da alle bisherigen Sicherungssysteme bodengebunden gewesen seien. „Sie haben Zäune, und Barrieren um Eindringlinge abzuhalten und mit der Drohne können sie einfach drüber fliegen.“ Wolf beschäftigt sich in diesem Zusammenhang auch mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz, gibt aber unumwunden zu: „KI ist immer auf Lernen angewiesen, also Trial-and-Error. Das funktioniert im Sicherheitsbereich nicht. Wenn sie Fehler machen, dann sind sie weg vom Fenster. Die Evidenz, die man in anderen Bereichen hat, gibt es bei uns nicht.“
Sicherheitsstandards über Metriken
Ein Forschungsergebnis und Alleinstellungsmerkmal des Instituts ist eine sogenannte Sicherheitsmetrik für physische Sicherheit. Anders als im Trial-and-Error-Bereich können Metriken zielsichere Informationen liefern. „Ich kann mir über Metriken z.B. eine Zahl herleiten, die mir die Sicherheit, in Form einer Risikobemessung oder Risikoreduzierung, einer Infrastruktur wiedergibt“ erläutert der Wissenschaftler. Diese sollten darüber hinaus auch objektiv und reproduzierbar sein, also idealerweise jedes Mal zum gleichen Ergebnis führen. Über Metriken könne man Risiken gegeneinander abwägen. Gerade im Safety-Security-Bereich gebe es widersprüchliche Anforderungen, betont Wolf. Bestes Beispiel für die Risikoabwägung sei die gegenwärtige Pandemie, wo es die Konsequenzen zwischen dem absoluten Lockdown und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen zu bedenken gelte. Diese Abwägung ist nicht einfach, wie wir alle wissen. Auch Stromnetzbetreibern könne man in der Risikobetrachtung durch Metriken, etwa bei Netzausfall oder einer Bedrohung der Stromnetze, helfen.
Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem Wissen aus der Region
Mit dem Mut, auch auf der nationalen und internationalen Bühne selbstbewusst aufzutreten, baut Wolf eine beeindruckende Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf. „Es geht dabei um ein neues DLR Institut für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen“, erzählt er begeistert, „es geht z.B. um kritische Infrastrukturen wie Stromnetze, IT-Netze, Wasserversorgung, Verkehrsinfrastrukturen und Flughäfen. Man hat sich vorgenommen, die Resilienz dieser Infrastrukturen zu bewerten, damit man quasi echtzeitfähig den Sicherheitsverlauf einer kritischen Infrastruktur abbilden kann.“ Hier kommt ihm die über zehnjährige Erfahrung aus der Grundlagenforschung zugute. „Man ist aufgrund der Veröffentlichungen auf uns zugekommen und möchte auf diesen Grundlagen aufbauen.“ Besonders stolz ist der 52jährige, dass sein erster Doktorand, Dr. Daniel Lichte, die Leitung der dortigen Grundlagenabteilung übernehmen soll und betont noch einmal den Erfolg, der auf der Arbeit in der Bergischen Region fußt. „Unsere Grundlagen sind die Basis für das, was da passiert. Die haben wir geschaffen! Wir haben das Wissen aus der Region genommen und daraus Grundlagenforschung gemacht, es also in eine wissenschaftlich verwertbare Form gebracht. Das wird jetzt angewandt, das wird weiterentwickelt und das finde ich sehr spannend.“ Viele zukünftige Möglichkeiten in der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft können sich aus diesem Projekt noch ergeben, daher sieht Wolf darin auch ein starkes Signal für die Bergischen Unternehmen und wird nicht müde, diese auch zu motivieren. „Ich habe mittlerweile z.B. auch über Rotary, viele Unternehmer kennengelernt“, sagt er und wirbt in persönlichen Gesprächen und gemeinsamen sozialen Aktivitäten für den Blick über den Bergischen Tellerrand. „Die Unternehmen kooperieren gerne mit denen, die sie kennen. Das ist aber nicht immer die richtige Strategie um in die zukünftige Digitalisierung zu starten. Da muss man sich überlegen, ob man sich nicht auch mal mit den wirklich Großen zusammentut, und das ist eigentlich mein Ziel!“ Der Wissenschaftler plädiert für satte Investitionen in gemeinsame Innovation. Der Paradigmenwechsel hin zur Digitalisierung lasse geringe Investitionen nicht mehr zu und fordere neue Wege. „Hier sind ja Unternehmen, die haben mitunter 4000 bis 6000 Mitarbeiter und Produkte im digitalen Bereich“, weiß er, „an dieser Stelle braucht es mehr Selbstbewusstsein. Wir hätten gerne alle, dass die Welt kommt und sagt, wie toll ist es im Bergischen Land. Das wird aber nicht passieren. Aber das, was wir haben, ist ja gut! Dann muss man sich mit größeren Partnern zusammentun und schauen, was man noch lernen kann.“
Warum Menschen neue Technologien als Bedrohung empfinden
Neue Technologien bringen auch bisher unbekannte Sicherheitsrisiken mit sich. Die drahtlose Authentifizierung ist eine davon. Die Bevölkerung kennt sie vom Bezahlen mit EC-Karten oder Chipkarten. Viele sind zögerlich, diese neuen Entwicklungen anzunehmen und das liege nach Wolfs Einschätzung an der Tatsache, dass die Menschen mit den neuen Bedrohungen nicht vertraut seien. „Handtaschendiebstahl, Brieftaschendiebstahl, das kennen wir. Wenn Sie einen herkömmlichen Schlüssel heute auf den Tisch legen und machen z.B. mit dem Handy ein Foto davon, dann können Spezialisten den direkt nachmachen - davor haben wir aber offenbar wenig Angst. Ein moderner Autoschlüssel, den man nicht mehr ins Zündschloss stecken muss, kann ohne Probleme mit einem Laptop angezapft werden, um das Funksignal zu verlängern. So kann jemand anderes mit ihrem Wagen wegfahren. Das wird dann in den Nachrichten gezeigt und verunsichert die Menschen.“ Diese Beispiele bringen den Wissenschaftler dazu, nach Lösungen zu suchen, die oft auch im interdisziplinären Umfeld zu finden sind. Wolf weiß spontan einen Kollegen aus der Elektrotechnik, der an diesen Problemen arbeitet und sieht gleichfalls in der Bergischen Wirtschaft ein verborgenes Potential. „Die Frage ist hier, wie kann ich die Systeme so auswerten, dass sie den privaten Datenschutz gewähren? Das kann ein Alleinstellungsmerkmal werden, was wir erreichen können, das ist eine europäische, das ist eine deutsche Perspektive und auch eine Perspektive für die Unternehmen in der Region.“ Der große Vorzug bestehe in der vorhandenen Erfahrung mit diesen Systemen, und da solle man sich positionieren, denn, so fährt er fort, „das ist ein Zukunftsthema für die Unternehmen: Die Datenschutzrechte der Nutzer berücksichtigen!“
Die Diskrepanz zwischen Safety und Security
Die Anwendung technischer Systeme zur Verbesserung von Sicherheit können widersprüchlich sein. Z. B. kann die verschlossene Türe, die den Angreifer abhält, auf der anderen Seite dem Flüchtenden, der sie nicht öffnen kann, zur tödlichen Falle werden. Fachleute sprechen da von Wechselwirkungen zwischen Safety- und Security-Technologien. Ein Dilemma? Für Wolf müssen sich erst einmal die Prioritäten ändern. „Wir haben in einer Geisteshaltung gelebt, in der wir immer gesagt haben: Safety first“, betont er, „und dadurch, dass wir zunehmend Security-Bedrohungen sehen, durch die Vernetzung, durch internationale Bedrohung von Terroristen, rücken Security-Anforderungen in den Fokus.“ Hier kommen nun wieder die eingangs genannten Metriken zum Einsatz. „Über eine objektive, quantitative Bewertung der Sicherheit, kann ich eine optimale Konfiguration finden unter Berücksichtigung aller Unsicherheiten, die es immer gibt. Oder stellen sie sich vor, ein System erkennt, ob es sich um ein Safety- oder Security-Szenario handelt. Dann kann ich die Tür öffnen oder versperren und muss nicht mehr zwischen Safety und Security abwägen. Und das gibt es auch schon. Es sind die ganz einfachen mechanischen Techniken des Panikschlosses. Wenn sie ein Panikschloss an ihrer Eingangstür haben, dann verriegelt sich das immer, wenn die Türe ins Schloss fällt. Wenn sie von innen auf die Türklinke schlagen, geht das Schloss immer auf, ganz egal, ob es verriegelt ist oder nicht. Dann hat man die Szenarien entkoppelt, weil das Schloss erkennt, von innen nach außen immer öffnen, von außen nach innen geschlossen halten. Es wird in Zukunft mehr Systeme in der Richtung geben. Es ist nicht schwer, durch die zunehmende Vernetzung Sensordaten aus dem Umfeld zu sammeln und dann hat man schon Informationen über das vorliegende Szenario. Und der nächste Schritt ist dann die KI, die eine Situation erkennen kann, um ggfls. Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.“
Regionale Plattform für Bergische Unternehmen
„Smart Access bedeutet eigentlich Türöffnung oder drahtlose Authentifizierung mit dem Smartphone“, sagt Wolf, ein Verfahren, mit dem man Gebäude und Türen öffnen oder das Auto starten kann. Im Bereich Mobilität entwickeln sich bereits neue Geschäftsmodelle, wie das sogenannte Delivery to Trunk. „Sie bestellen z.B. einfach bei Amazon und die liefern das dann direkt in ihr Auto. Der Paketbote öffnet dann ihren Kofferraum und stellt die Ware ein. Sie können bei Smart Access die einmalige Schließberechtigung für die Zustellung über das Telefon verteilen.“ Auch Sharing Economy, also ein Wirtschaftsmodell, das Firmen oder Privatleuten eine geteilte Nutzung von Räumen, Fahrzeugen und anderen Ressourcen ermöglicht, wird durch die Weitergabe von Berechtigungen an Dritte über das Smartphone erst möglich. "Wir sehen das ja bereits im Einsatz bei den allgegenwärtigen Elektrorollern in unseren Städten. Aber wie ist es hier mit dem Datenschutz?" Eine gemeinsame Plattform könnte in Bezug auf diese neuen Technologien auch den Bergischen Unternehmen für ihre Anschlussfähigkeit nützlich sein. Doch der Weg ist weit. „Es muss das Bewusstsein für die Herausforderungen des Datenschutzes und der Datenhoheit der Nutzer bei allen Beteiligten da sein - nicht zuletzt auch bei den Fördergeldgebern und daran hakt es noch“, bedauert Wolf, „aber wir brauchen diese Plattformen für den digitalen Datenaustausch auch im Bereich Industrie 4.0 - es gibt bereits nationale und europäische Initiativen in dieser Richtung. Man muss sich mit den Großen zusammentun und möglichst vielen Unternehmen die Chance geben, daran zu partizipieren und neue datenbasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wir brauchen europäische, deutsche Standpunkte. Das sind wichtige Beschäftigungsfelder für die Unternehmen in der Region. Und da muss man andocken!“
Uwe Blass (Gespräch vom 05.06.2020)
Prof. Dr.-Ing. Kai-Dietrich Wolf studierte Maschinenbau und Mechanik an der Technischen Universität in Darmstadt und an der UC Berkeley in Kalifornien. Seit 2009 lehrt er das Fach "Mechatronik" an der Bergischen Universität und leitet das im gleichen Jahr ins Leben gerufene Institut für Sicherungssysteme (ISS) mit Sitz in Velbert.