Designer*innen sollten frühzeitig in Prozesse eingebunden werden
Ein Transfergespräch mit der Designforscherin Prof. Dr. Martina Fineder über die interdisziplinären Aufgaben des Gestaltens
„Gestaltung beginnt schon beim Mitdenken von Entwicklungsprozessen und hat einen wesentlichen Einfluss auf alles, was wir am Ende in der Hand haben, auch darauf, wie wir es wieder loswerden können, wenn wir es nicht mehr wollen“, sagt die Design- und Kulturwissenschaftlerin Professor Dr. Martina Fineder, die seit 2019 den Lehrstuhl für Designtheorie und Designforschung an der Bergischen Universität innehat.
Die Designtheorie ist eine noch relativ junge Wissenschaft, die sich erst Anfang des vorigen Jahrhunderts entwickelte. Sie beschäftigt sich mit Methoden, Strategien, aber auch Forschung und Analyse zum Begriff Design, ebenso wie mit Konsum- und Lebensstilfragen. Sie betrachtet dabei verstärkt situationsbezogen, auf bestimmte Kontexte oder Zeitspannen hin ausgerichtet.
„In Wuppertal beschäftigen wir uns mit Fragen des gesellschaftlichen Wandels und schwerpunktmäßig mit Fragen sozial und ökologisch ausgerichteter Design- und Konsumforschung sowie Formen kreativer Arbeit“, erklärt Fineder. „Das machen wir sowohl aus geschichtlicher als auch aus aktueller Perspektive.“ Ein besonderes Augenmerk richtet die Wissenschaftlerin mit ihren Studierenden dabei auf die Wahrnehmung des Wandels, und bei Aspekten, wie der Beschleunigung des Lebenstempos oder Umweltveränderungen sowie Digitalisierung, komme dann noch der spannende Blick aus der Mehrgenerationenperspektive dazu, „weil diese Erfahrungen nicht nur kulturell, sondern sehr biographisch geprägt sind.“
Wien – Weimar – Wuppertal
Drei W-Städte markieren Fineders beruflichen Lebensweg. In Wien arbeitet die promovierte Design- und Kulturwissenschaftlerin an der Universität für angewandte Kunst, an der Technischen Universität, zuletzt an der Akademie der bildenden Künste. Zwei Jahre lehrt sie zudem als Gastprofessorin für Theorie und Geschichte des Designs an der Fakultät für Gestaltung der Bauhaus-Universität in Weimar. 2019 findet sie ihre berufliche Heimat in Wuppertal. „Ich komme aus der kultur- und sozialwissenschaftlich geprägten Ecke der Disziplin, die sich hier in Wuppertal gut mit der technisch und wirtschaftlichen Ausrichtung durch die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aus der Designpraxis und Innovationsstrategie verbinden lässt.“
Ihre Wahrnehmung der Bergischen Stadt im Herzen von Nordrhein-Westfalen beschreibt die gebürtige Österreicherin so: „Ich sehe Wuppertal nicht als kleinere Stadt, sondern als Teil einer 10 Millionenmetropole. Die Stadt hat ein großes Einzugsgebiet. Vierzig Minuten bis Köln, zwanzig Minuten bis Düsseldorf, das ist kürzer als in einer Großstadt von einem Ende zum anderen. Es ist gut eingebettet und das, was hier gerade passiert, die Umstrukturierung der Industrie und die damit verbundene notwendige Neugestaltung der Arbeitswelt, bieten ein sehr spannendes Arbeitsumfeld.
Neue Formen des Gestaltens
Ein Thema, mit dem sich die Wissenschaftlerin schon länger beschäftigt, sind die ungeahnten neuen Möglichkeiten der Gemeinwohllogiken, den sogenannten Commons, die Design- und Innovationsstrategien bieten. Dabei gehe es sowohl um die Entwicklung neuer Formen des Gestaltens, als auch des Produzierens und Konsumierens. „Hier ist ein Zugang gefragt, der die Gestaltung unserer Lebens- und Arbeitswelten als gesellschaftlich offene Prozesse begreift, die mehr Teilhabe und Mitbestimmung erlauben. „Design kann hier Anleitungen, Methoden und Tools liefern, um sinnvolle Ergänzungen und Alternativen für die aktuell dominierenden Produktions- und Wirtschafsformen zu bieten. Dafür müssen wir aber ein Verständnis dafür entwickeln, dass uns das alle angeht“, sagt sie. „In einem von mir mitgebrachten Projekt aus Wien haben wir uns länger die verschiedenen Formen des Teilens von Wissen und Produktionsmitteln angeschaut und daraus Muster für künftige Design-Commons entwickelt. Aktuell geht sie gemeinsam mit Kolleg*innen in einem Projekt mit Masterstudierenden Gemeinwohlaspekten im Design nach. Unter dem Titel „Design for Good“ versuche die Arbeitsgruppe auf Initiative des Kollegen Prof. Gert Trauernicht, Design und Wohltätigkeit auf sozial und wirtschaftlich sinnvolle Weise zu verschränken. Im kommenden Semester steht eine Lehr- und Forschungskooperation mit der Bundeskunsthalle Bonn auf dem Programm, welche sich mit neuen Beteiligungsformen und analog-digitalen Hybriderlebnissen zwischen Museum und Zuhause befasst.
Zwischenmenschliches Design
Im letzten Jahr brachte Martina Fineder zusammen mit Johannes Lang das interdisziplinäre Buch „Zwischenmenschliches Design“ heraus. Ausgehend von einer Designgeschichte, die sich mit der ständigen Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen auseinandersetze, gehen die Herausgeber*innen darin der Frage nach, wie Dinge bewusst oder unbewusst unser zwischenmenschliches Zusammensein mitgestalten. Im Zentrum von Praxis wie Theorie stehen als soziale Aspekte des Designs verstärkt die Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen etwa durch technisch-funktionale Erleichterungen. „Haushaltsgestaltung ist hier ein gutes Beispiel. Lange wurde aus guten Gründen wesentlich dran gearbeitet, dass die Arbeit dort ergonomischer wird, das heißt, physisch wie psychisch besser handhabbar gestaltet wird“, zählt sie auf. „Die sozialen Beziehungen im Haushalt standen dabei nicht im Fokus.“ Ebenso trifft das auf den Bereich der Medizin zu. Hier fragen einige Beiträge im Buch ganz konkret nach der Rolle der Dinge in Arzt-Patient*innen-Beziehungen oder nach der Wirkung der Dinge auf das Miteinander in Pflegesituationen. Zu beobachten ist, dass das Abtasten, Fragen und das Patient*innen Anschauen vorwiegend einer evidenzbasierten Arzt-Patient*innen-Beziehung gewichen ist, wenn Messgeräte eingebunden sind, die auch aus Zeit- und Sicherheitsgründen stärker betrachtet werden, weil man sich auf diese Daten besser verlassen kann. „Aktuell zeigt sich: die Menschen müssen wieder stärker informiert, befragt und einbezogen werden“ erläutert Fineder, „deshalb werden zum Beispiel Entscheidungshilfen gestaltet, die Patient*innen, aber auch Angehörige wieder in gemeinsame Therapieentscheidungsprozesse einbinden.“
Ein anderer zwischenmenschlicher Designaspekt behandelt die Gestaltung von Lernräumen, die gemeinsames Nachdenken und Kooperation fördern oder auch stören können, hier stellt sich die Frage: „Können wir uns überhaupt in unseren Räumlichkeiten begegnen? Was kann die gestaltete Umgebung zur Förderung interdisziplinärer Zusammenarbeit beitragen? Welche Art von Hierarchien gestalten wir durch unsere Lernumgebungen mit und wollen wir diese überhaupt?“
Die Chancen des Distanzunterrichts
Jetzt, da Corona immer noch verhindert, dass man sich in Räumlichkeiten begegnen kann, müssen auch Arbeitsbedingungen angepasst werden. Thematisch habe sich die Lehre weniger stark verändert, sagt die Designwissenschaftlerin, methodisch habe man andere Formate genutzt. „Wir haben z.B. verstärkt auf Gruppenarbeiten gesetzt, in denen zwar jede*r ihre/seine individuelle Aufgabe hat, die Studierenden aber bei Vorbereitungen auf Seminare zusammenarbeiten. Hierfür wurden etwa Question- and Answer-Formate entwickelt, die schon im Vorfeld einzelner Lehrveranstaltungen inhaltliche Fragen ergeben. Neue Medien oder Software wie Miroboards (digitales kollaboratives Zeichenboard) mit Chatformaten kommen zum Einsatz. Diesbezüglich konnte ich auch viel von den Studierenden lernen, weil sie einen sehr ungezwungenen Umgang mit den digitalen Medien haben. Wir visualisierten auch die Inhalte kompletter Bücher über das Miroboard. Die gemeinsame, interaktive Visualisierung von Wissen, würde ich sagen, wenn wir nicht physisch in einem Raum sein können, finde ich seit dem letzten Semester noch wichtiger.“ Mit einem konkreten Projekt für Masterstudierende, das sich mit der Frage einer räumlich getrennten Zusammenarbeit beschäftigt, haben wir zudem thematisch direkt auf die Pandemie reagiert. Die Frage, wie kollaborative, kreative Arbeit am zufriedenstellendsten erlebt wird, wenn man sich nicht physisch treffen könne, stand dabei im Zentrum. Als ein wesentliches Ergebnis zeigt sich, dass technische Funktionalität und Perfektion (wie Übertragungsqualität) nur Teilaspekte einer gelingenden
Online-Kommunikation ausmachen. Vielmehr ginge es darum, Bedürfnisse nach sozialer Nähe als entscheidende Aspekte in die Gestaltung von digitalen Meetingkulturen einzubeziehen.
Utopie des Designs
Forschen bedeutet immer, sich mit Herausforderungen zu beschäftigen, die noch nicht bearbeitet wurden. Design setzt sich daher auch mit Utopien auseinander, die im digitalen Zeitalter schnell mal zu Realitäten werden können. „Wenn man Utopien ein wenig dystopisch denkt, die Möglichkeiten und Folgen der Überwachung und Sicherung - das sind ja nicht nur politische sondern auch gestalterische Fragen - dann hat es in den letzten Jahren einen unglaublichen Realisierungsschub gegeben. Vor kurzem war der digital kontrollierte Alltag noch Thema von dystopischen Serien wie z.B. Black Mirror und manches davon ist jetzt auch durch die Pandemie sehr schnell Realität geworden. Bald müssen wir uns vielleicht auch nicht mehr bewegen, etwa wie die Figuren auf der Raumstation im Film Walli-E“ (lacht). Wenn man aber öko-soziale Utopien anschaut, wie sie bereits in den 1970er Jahren gesponnen wurden, etwa zu Themen wie Plastikmüll, Auto- und Abgasfreien Städten oder dem Zugang zu frischem Trinkwasser für alle Menschen auf dieser Welt, dann geht es vergleichsweise sehr langsam.“
Designer*innenausbildung ist sehr interdisziplinär
Design leistet einen entscheidenden Beitrag zum Unternehmenserfolg. „Schauen wir uns einfach Apple an, das ist ja ein vielzitiertes Beispiel, ohne Design nicht denkbar“, erklärt sie, „und wie sein Vorbild, das erfolgreiche deutsche Designmodell Modell Braun, heute ikonischer Bestandteil aller Designsammlungen dieser Welt.“ Aber das sei auch nur das, was man auf den ersten Blick sehe, sagt die Wissenschaftlerin, es sei oft aber viel interessanter, wo Design gemeinhin nicht gesehen werde. „Daher ist es wichtig, dass Designer*innen frühzeitig in Prozesse eingebunden werden, um neue Ausrichtungen, um neue Konsum- Produktions- oder Kommunikationsstrategien oder Verfahrensweisen zu entwickeln, denn das wird in Zukunft nicht nur wesentlich zum Erfolg von Firmen beitragen, sondern auch wesentlich zum Gemeinwohl beitragen.“
„Designer*innen bekommen hierfür eine sehr interdisziplinäre Ausbildung. Sie können soziale und ökologische Fragestellungen mit marktwirtschaftlichen Aspekten und technischen Anforderungen zusammenführen und Entwicklungsprozesse entsprechend gestalten und moderieren und, wenn nötig, Tradiertes entsprechend in Frage stellen.“
Das besondere Alleinstellungsmerkmal der Abteilung Industrial Design an der Bergischen Universität, formuliert Fineder am Ende so: „Das besonders Tolle an unserer Abteilung ist für mich, die zuvor selten erlebte Verschränkung zwischen Praxis, Theorie und Forschung. Da gibt es ein hohes gegenseitiges Interesse.“
Dieses Interesse könnte die Wirtschaft noch aufmerksamer nutzen.
Uwe Blass (Gespräch vom 04.02.2021)
Martina Fineder ist Professorin für Designtheorie und Designforschung in der Abteilung Industrial Design der Fakultät für Design und Kunst an der Bergischen Universität.