Die schwierigen Prozesse im Klimawandel
Prof. Dr. Peter Wiesen / Physikalische und Theoretische Chemie
Foto: Malte Reiter

„Denn sie tun nicht, was sie wissen“

Der Atmosphärenchemiker Peter Wiesen über schwierige, politische Prozesse im Klimawandel und die wissenschaftliche Hilfestellung zur Implementierung von Entscheidungen

Klimawandel, Klimakrise, Klimakampf. Die Veränderungen auf unserer Welt nehmen stetig zu und die Menschen bekommen es hautnah zu spüren. Die Jugend begehrt auf und setzt mit den Fridays-for-Future-Demos deutliche Zeichen. Wissenschaftler weltweit sind sich seit Jahren der Konsequenzen dieser Änderungen bewusst. Doch Maßnahmen durch die Politik lassen auf sich warten. Globale Umweltveränderungen und deren Folgen können den Fortbestand der Menschheit gefährden, das können wir jeden Tag über die Medien erfahren. Prof. Dr. Peter Wiesen, Atmosphärenchemiker und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des neuen Interdisziplinären Zentrums für Atmosphäre und Umwelt (IZAU) an der Bergischen Universität spricht im Transfergespräch über die Möglichkeiten, wie Politik wissenschaftliches Know-how umsetzen könnte.

„Mir gefällt in diesem Zusammenhang das Wort des Klimakampfes nicht“, sagt er direkt zu Beginn, „denn man kämpft ja nicht gegen das Klima, sondern man versucht dagegen anzugehen, dass sich das Klima weiter so massiv ändert, wie wir das im Moment beobachten können. Ich glaube auch nicht, dass die Wissenschaft wenig Gehör findet“, betont er, denn der IPCC (Das Intergovernmental Panel of Climate Change ist ein zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaveränderungen, im Deutschen auch als Weltklimarat bezeichnet -Anm. d. Red.-) sei ja im Sommer letzten Jahres mit einem großen, neuen Bericht herausgekommen, um den Sachstand zum Klimawandel deutlich darzulegen. „Ich glaube, das Problem ist, dass vielen, vor allem jungen Leuten die Entscheidungsprozesse in unserer Gesellschaft viel zu langsam sind. Nun ist Ungeduld sicher etwas, was Jugend charakterisiert, aber demokratische Prozesse sind leider Gottes eben oftmals etwas schleppend. Es gibt viele Interessen abzuwägen, um das Kind letztendlich nicht mit dem Bade auszuschütten.“

Das Klima ändert sich seit Ewigkeiten

Die Wettervorhersage im Fernsehen war früher ein nettes Beiwerk, damit der Zuschauer wusste, ob er einen Schirm oder Sonnencreme für den nächsten Tag bereithalten sollte. Unsere TV-Meteorologen entwickeln sich heute mehr und mehr zu politischen Klimaaktivisten und weisen verstärkt auf Extremwetterkatastrophen hin, die aber bereits seit den 80er Jahren bekannt sind. „Der Hinweis auf die Extremwetterereignisse ist sicherlich ein wichtiger Punkt und auch Aufgabe der Meteorologen“, entgegnet Wiesen. Aber in der Wettervorhersage zu viel übers Klima zu sagen, sei auch nicht der Weg, sagt der Fachmann, denn Wetter sei alltäglich und das Klima untersuche das Wetter über einen dreißigjährigen Zeitraum. Natürlich weiß auch Wiesen, dass es immer Leute geben wird, die konsequent die Veränderungen, die man in der Atmosphäre beobachten kann, leugnen. „Worüber man trefflich streiten kann ist sicherlich nicht, ob sich das Klima ändert, weil es sich seit Ewigkeiten ändert, denn es gibt kein konstantes Klima, aber die Frage, die man vielleicht an der ein oder anderen Stelle noch intensiver diskutieren müsste, ist, wieviel von dem, was man sieht an der Klimaveränderung, tatsächlich durch den Menschen verursacht worden ist. Da gehen die Meinungen auseinander. Wer die sichtbare Änderung des Klimas leugnet, der tut das wahrscheinlich gegen besseres Wissen oder weil er irgendwelche anderen Interessen im Kopf hat.“

Wissenschaftliche Szenarien berechnen zunehmende Kosten durch Extremwetter

Auch Wuppertal war im letzten Jahr vom Extremwetter betroffen. Zwar wird relativ schnell aufgeräumt und finanzielle Zuschüsse werden bewilligt, doch die Frage ist: Was kostet uns die Klimakrise, wenn wir nicht endlich handeln? „Ich bin kein Ökonom und das ist sehr schwierig abzuschätzen“, sagt der Wissenschaftler. Man wisse natürlich auch nicht genau, in welche Richtung sich das Klima bis zum Ende dieses Jahrhunderts entwickeln werde. „Das, was man in der Wissenschaft macht, das sind Szenarien. Es werden Modelle erstellt, in denen man sich überlegt, was würde unter verschiedenen Rahmenbedingungen bis zum Ende des Jahrhunderts passieren? Wie viel davon dann tatsächlich eintritt, das weiß natürlich keiner so genau. Die Unsicherheiten, die man da hat, sind vergleichsweise groß.“ Trotzdem sehe man über die letzten Jahrzehnte eine deutliche Zunahme der Kosten, weiß Wiesen, die solche Extremwetterereignisse verursachen. Große Versicherer machten dafür bei Hurrikans in der Karibik beispielsweise auch die Bebauung verantwortlich, die vor allem an den Küsten immer größer geworden sei. Dadurch entstünden mehr Schäden, die dann im Wiederaufbau dementsprechend höhere Kosten verursachten.

Ein tolles Beispiel für eine gelungene Umweltpolitik: Das Ruhrgebiet

Einer der Forschungsschwerpunkte im Interdisziplinären Zentrum für Atmosphäre und Umwelt ist das Ruhrgebiet, das mittlerweile auf über 50 Jahre Luftqualitätsforschung und Steuerungspolitik zurückblicken kann. Aber wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik?
„Das Ruhrgebiet ist ein tolles Beispiel dafür, was man durch eine konsequente Umweltpolitik erreichen kann“, schwärmt Wiesen zunächst. „1963, während des Bundestagswahlkampfes hat Willy Brandt mal in der Beethovenhalle in Bonn bei einer Rede gesagt: `Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden! ´ Das ist er heute wieder Gott sei Dank und das wäre er wahrscheinlich nicht, wenn man nicht dem ein oder anderen mit Hilfe von Gesetzen ein wenig auf die Füße getreten wäre. Man hat in diesen  Jahren damals eine Menge Fehler gemacht.“ Dazu gehöre die sogenannte Hochschornsteinpolitik der 60er und 70er Jahre. In dieser Zeit baute man Schornsteine möglichst hoch, um den Dreck, den man verursachte, zu verteilen, da man dachte, die Lösung für das Verschmutzungsproblem sei das Verdünnen auf eine große Fläche. Heute weiß man, dass das Unsinn ist.“ Die Erkenntnisse aus jener Zeit wurden vernünftig in die Politik transportiert, sagt Wiesen und das geschehe auch heute zum Teil auf relativ kurzen Wegen zwischen den Forschenden und der Politik. Ein Beispiel dafür sei die Abwendung des drohenden Dieselfahrverbotes gewesen, in dessen Entscheidungsprozess seine Arbeitsgruppe involviert war. „Über die Stadt Wuppertal waren wir dann auch bei der Gerichtsverhandlung vor dem OVG (Oberverwaltungsgericht) in Münster dabei, wo wir dann diese Fahrverbote abwenden konnten zugunsten eines vernünftigen Vergleichs, den man damals abschließen konnte.“ Kurze Wege seien möglich und es gebe u.a. auch enge Kontakte z.B. nach Dessau zum Umweltbundesamt.

Komplexe Probleme bedürfen einfacher Gesetzgebungen

Veränderungsprozesse herbeizuführen, scheint ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. „Den Eindruck könnte man manchmal haben“, sagt der Fachmann, widerspricht aber sofort, denn der Erkenntnisgewinn jeder Maßnahme sei perse etwas Sinnvolles. Die Komplexität der Prozesse, als auch die Verzahnung zwischen den Umweltkompartimenten, also Boden, Wasser und Luft, sei extrem kompliziert und sehr schwer zu vermitteln. „Zu mir hat einmal jemand aus dem Umweltbundesamt gesagt: ´Die Probleme mögen zwar komplex sein, aber die Gesetzgebung muss einfach sein. ` Das ist manchmal das Problem.“
Ob Coronaleugner oder Klimawandelleugner, statt zu handeln, setzt Politik immer noch auf Aufklärung und Gespräche. Das sei auch richtig, ist sich Wiesen sicher, denn es könne bereits jetzt schon einiges durch Gesetzgebungen in die richtige Richtung geschoben werden. „Claus Leggewie, ein Kollege aus einer anderen Fachrichtung in Essen, der hat mal in einem Buch, dass er zusammen mit Harald Welzer geschrieben hat, den schönen Satz geschrieben: ´Denn sie tun nicht, was sie wissen`, in Abwandlung eines Bibelzitates. Wir wissen eigentlich relativ viel über bestimmte Dinge der globalen Umweltveränderungen, aber es ist ein typisch menschliches Verhalten, zunächst einmal solche Dinge sehr langsam anzugehen. Man darf nicht vergessen, auch der Klimawandel ist ein langsames Phänomen.“ Wenn beispielsweise einige Jahre um Weihnachten herum kein Schnee falle, komme es einem so vor, als ob das schon immer so gewesen wäre, denn man gewöhne sich daran. Andersherum glaube man eben auch, dass in unserer Kindheit vielleicht immer um Weihnachten herum Schnee gelegen hätte. Bei schnell voranschreitenden Veränderungen, wie dem Ozonloch der 80er Jahre, einem Problem, welches urplötzlich auftrat, habe man sich schnell zusammengefunden, sagt Wiesen, und über das Montrealprotokoll versucht, dem Fortschreiten des Ozonabbaus Einhalt zu gebieten. Beim Klimawandel kämen die Veränderungen jedoch sehr langsam. „Das ist das Gefährliche daran, denn eigentlich liegen schon Rezepte auf dem Tisch, die man dann konsequent umsetzen müsste.“

Ist der Klimawandel kein medienträchtiges Thema?

Eine Initiative, die im Fernsehen die von der ARD nur für einen sehr kleinen Teil des Publikums relevante »Börse vor acht« durch eine wirklich für alle essenzielle Sendung namens »Klima vor acht« ersetzen wollte, fand bei den Fernsehmachern kein Gehör. Wissenschaftler und Klimaprofis sind fassungslos über die Untätigkeit der Politik und der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zum Klimawandel. Das Problem dabei sieht Wiesen in erster Linie in der Vermittlung des komplexen Themas. Es gebe auch in den öffentlich-rechtlichen eine ganze Menge zu diesem Thema. „Ich glaube, wenn man sich müht, findet man in den Medien eine Menge über Klimawandel.“ Die Vielzahl an Beiträgen im Internet kritisch zu hinterfragen, falle allerdings auch ihm als Fachmann manchmal schwer. Es sei schon viel Information da, aber man dürfe auch nicht jedes Gewitter und jeden Starkregen direkt zu einer großen Katastrophe stilisieren, denn, so betont er, „nicht alles, was an Extremwetterereignissen geschieht, hängt unmittelbar mit dem Klimawandel zusammen.

Uniarbeitsgruppe an millionenschwerem Forschungsprojekt beteiligt

Deutschland bekommt eine neue Infrastruktur zur Erforschung von Feinstaubpartikeln, Wolken und Spurengasen. Verteilt auf elf Forschungseinrichtungen wird dieser deutsche Beitrag zur EU-Forschungsinfrastruktur ACTRIS (Aerosol, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure) künftig bessere Vorhersagen für Luftqualität, Wetter und Klima ermöglichen. Auch Wiesen ist an diesem millionenschweren Großprojekt beteiligt und untersucht Aerosole, also Feinstaubpartikel, auf deren Einfluss auf Luftqualität und das Klima. „Ich bin erst einmal sehr froh, dass meine Arbeitsgruppe an dieser neuen Forschungsinfrastruktur aktiv beteiligt ist, weil das eine langfristige Perspektive für die Atmosphärenforschung in Deutschland eröffnet.“ Kleinste Feinstaubpartikel verhalten sich wie Gase. Das könne jeder Zuhause in einem kleinen Experiment mit einer Orangenschale herausfinden. „Sie nehmen eine Orangenschale und drücken einmal darauf. Wenn sie Ozon in der Luft haben, dann sehen sie, wie aus diesem Duft der Orangenschalen -das sind Terpene- sich mit Ozon sogenannte sekundäre, organische Aerosole bilden. Das sind ganz feine Partikel, die teilweise so klein sind, dass sie sich tatsächlich wie ein Gas verhalten. Und das ist das Problem, denn die haben einen großen Einfluss auf die Gesundheit. Im Bezug auf die Luftqualität spielen sie eine Rolle, weil die beim Einatmen je nachdem wie groß die sind, verschieden tief in unseren Atmungstrakt gelangen können. Je kleiner die sind, umso tiefer dringen sie ein. Wenn die Aerosolpartikel sehr klein sind, dann gelangen die bis in die Lungenbläschen und von dort aus sogar bis in den Blutkreislauf. Man weiß, dass die, ab einer bestimmten Konzentration beispielsweise Entzündungen im Herz oder sonst wo hervorrufen können. Deshalb gibt es da auch sehr strenge Grenzwerte. Die WHO hat erst im September neue Luftqualitätsrichtlinien vorgeschlagen.“ Im Bereich der Luftqualität gehe es im Wesentlichen um Gesundheit. „Es gibt einen ganzen Strauß von möglichen sogenannten kardiovaskulären Erkrankungen, die daraus resultieren können. Schwierig ist vor allem die Bewertung, welche Konzentration tolerierbar ist, oder nicht.“
In Bezug auf das Klima spielten Partikel eine Rolle, weil sie die sogenannte Rückstrahlungseffizienz des Sonnenlichts der Atmosphäre veränderten, erklärt der Forscher, und damit auch die Wärmebilanz der Atmosphäre beeinflussten. Dabei gehe es nicht um Sonnenenergie, denn davon gäbe es mehr als genug. „Das Problem ist, wie wir uns die Energie zunutze machen.“

Ein generelles Problem demokratischer Prozesse

Professor Wiesen, der selber Kinder hat und stetig mitverfolgt, wie langsam die amtlichen Mühlen mahlen, weiß um die komplizierten Entscheidungsprozesse in politischen Gremien und sagt: „Man kann sich wirklich fragen, ob jeder zu allem seine Meinung äußern muss, oder ob man das an der ein oder anderen Stelle nicht etwas straffen kann. Das ist ein generelles Problem demokratischer Prozesse. Sie sind im Vergleich zu autokratischen Systemen sehr langsam.“ Und um nicht falsch verstanden zu werden, fügt er abschließend noch hinzu: „Ich bin froh, dass wir in einer Demokratie, so wie wir sie in Deutschland haben, leben können, und ich glaube, dass meine Kinder auch darüber glücklich sind. Man sollte bei all den Problemen, die auf uns zukommen, oder die wir haben, nicht vergessen, wie verdammt gut es uns heute geht im Vergleich zu Menschen, die vor 50 oder 100 Jahren gelebt haben.“
Der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry sagte: Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen. Die Wissenschaft arbeitet stetig daran.

Uwe Blass  (Gespräch vom 20.12.2022)

Prof. Dr. Peter Wiesen ist Atmosphärenchemiker in der Physikalischen und Theoretischen Chemie in der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften an der Bergischen Universität. Unter seiner Leitung nimmt das 2021 gegründete Institut für Atmosphären- und Umweltforschung am ATMO-ACCESS-Projekt der europäischen Kommission sowie an der europäischen Forschungsinfrastruktur ACTRIS teil, dessen deutscher Beitrag vom TROPOS- Institut der Leibniz-Gemeinschaft in Leipzig  koordiniert wird.

 

 

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