„Family Business in der fünften Generation“
Industrial Designer und Inhaber der Familienmanufaktur Janssen, Andreas Kalweit, stellt die erfolgreichsten Gebäckmaschinen der Welt her
Das blaue Krümelmonster aus der Sesamstraße ist vor allem durch seinen Heißhunger auf Gebäck zur Kultfigur geworden. Sein allzeit begeisterter Ausruf: „Kekse!“ hat sicher jeder noch im Ohr. Kleine Backwaren werden vor allem in der Vorweihnachtszeit in vielen bundesdeutschen Haushalten hergestellt. Begeisterte Hobbykonditor*innen beglücken Familie und Freunde mit ihren Lieblingsrezepten, die von Anisplätzchen, Spritzgebäck, Spekulatius und Vanillekipferl bis zu Zimtsternen reichen.
Einer, der sich mit der Vielfalt von Keksen, Rezepturen und vor allem deren Formen auskennt, ist der Wuppertaler Industrial Designer Andreas Kalweit. Der gelernte Schlosser, studierte Maschinenbauer und Designer führt seit zwölf Jahren, gemeinsam mit seiner Frau Dr. Petra Gersch, das Familienunternehmen der Niederrheinischen Formenfabrik Janssen GmbH – der Firmenname leitet sich von Kalweits Verwandtschaft mütterlicherseits ab - dass sich auf die Fabrikation von Gebäckformern spezialisiert hat.
Zukunft braucht Herkunft
Andreas Kalweit ist hauptberuflich Professor für Manufacturing & Material Science im Fach Industrial Design an der Bergischen Universität. Er ist aber auch Inhaber einer traditionsreichen Familienmanufaktur, die in fünfter Generation in Krefeld Gebäckformenmaschinen herstellt. Sehr passend ist auch der von Odo Marquard philosophisch geprägte Slogan „Zukunft braucht Herkunft“ mit dem die Firma vor allem auf verlässliche Qualität hinweist.
Alles begann im 19. Jahrhundert, als Kalweits Ururgroßvater mit einer innovativen Idee der Gebäckherstellung eine neue Richtung vorgab. „Zunächst gab es Formenstecher, die Holzformen schnitzten, mit denen man Plätzchen herstellte“, erzählt er. „Also Holzbretter mit geschnitzten Motiven. Das war damals ein großer Markt für Familien, die ihre eigenen Formen haben wollten. Um diese Formen aber noch professioneller herstellen zu können, ist mein Ururopa dann an die Werkkunstschule in Krefeld herangetreten. Da gab es viele Bildhauer, die arbeitslos waren.“ Um die Formen präzise schnitzen zu können, benötige man kunsthandwerkliches Verständnis, weiß Kalweit und sein Vorfahre habe das erkannt und die Künstler angestellt. „Man muss das Abbild in ein Relief übertragen können“, erklärt er den Vorgang, „das ist nicht so einfach und das kann kein Tischler in der Regel, d.h. man muss zeichnen und schnitzen können und man muss Erfahrung mit Teig haben, denn die Konturen müssen gleich dick sein, sonst verbrennt der Keks an den Seiten.“ Fortan stellte die Firma individuelle Holzformen für betuchtere Familien her. Zu den Motiven gehörten u.a. Kostüme, Statuen oder Reiterfiguren sowie Familiensymbole, die in aufwändiger Kleinstarbeit geschnitzt wurden.
Ein Baumwolltuch erleichtert die Arbeit
Diese flachen Holzmodeln wurden dann in der nächsten Generation zu Holzrollen weiterentwickelt, in die man die gewünschten Muster nun in Rundform einschnitzen konnte. „Man hat dann mit einem Drahtseil den überschüssigen Teig abgeschnitten und dann die Rolle mit den Teiglingen über ein Baumwolltuch gerollt“, sagt Kalweit. „Die blieben dann an dem Tuch kleben. Das erzähle ich deswegen, weil das das Grundprinzip von allen Spekulatius- und Keksmaschinen ist.“ Das Baumwolltuch saugt den Teig aus der Form heraus. Deswegen spreche man auch heute noch von Saugwalzmaschinen oder Saugbandmaschinen. Auch andere große Firmen wie z.B. der Aachener Printen- und Schokoladenfabrikant Lambertz arbeiten nach diesem Prinzip. „Diese Maschinen haben wir damals mitentwickelt“, erklärt der Designer, „wir waren nicht die einzigen, aber wir waren dabei.“
In der dritten Generation entstand schließlich die eigentliche, zunächst handbetriebene Gebäckmaschine, die die Arbeit wesentlich erleichterte. Neue Entwicklungen bargen so auch neue Chancen, denn durch die Elektrifizierung konnten die Maschinen nun auch breiter konstruiert werden, so dass auch mehr Gebäck durch die Walzen lief.
Bis heute hat sich dieses Prinzip der Keksausformung zwar kaum verändert, aber die Anforderungen an die Konstruktion wurden in den letzten Jahrzehnten durch vielfältige Rezepturen und Hygienestandards immer anspruchsvoller. Durch die Modifizierung des Verfahrensprinzips (von Saugbandprinzip zu Abschneideprinzip) in der vierten Generation wurde auch die Ausformung von fettreicheren, mürberen Teigen möglich. Damit war die Abgrenzung zu den industriell, in Massen hergestellten Gebäcken gesetzt. Mit dem neuen Abschneideprinzip konnten viele unterschiedliche Teige verarbeitet und eine größere Rezeptvielfalt erreicht werden.
Die industrielle Entwicklung kann man an der Manufaktur Janssen sehr schön nachvollziehen und alle Geschäftsführer*innen haben sich beim Bau der Maschinen immer an den Bedarfen der Nutzer orientiert. „Dadurch sind sie dann auch in die ganzen Konditoreien und Bäckereien gekommen“, erzählt Kalweit. „Dort werden auf Backblechen unterschiedlichste Produkte gebacken, also Brote, Kuchen oder Kekse. Und damit man nicht zu viele Blechformate hat, hat man sich auf Standards geeinigt. Auf diese Standards gingen unsere Maschinen ein, d.h. die Maschinen richten sich nach den Größen der Backbleche, die größtenteils in Europa vorhanden sind. “Mit einem modernen, ansprechenden Design führten Andreas Kalweit und seine Frau Petra Gersch mit ihrem Team das Familienunternehmen ins 21. Jahrhundert. „Eigentlich hat jede Generation eine Erfindung gemacht, eine Weiterentwicklung, die dann immer eine Generation gehalten hat. Das war auch unser Anspruch, als wir den Betrieb übernahmen, dass wir die Maschine so konstruieren, dass sie 30 bis 40 Jahre hält. Wir nehmen heute Maschinen in Reparatur, die sind von 1960, und die funktionieren bei guter Pflege einwandfrei.“
Kunden bevorzugen regionale Produkte
Die maschinelle Automatisierung war nicht immer nur ein Segen, weiß Kalweit, denn von 1945 bis 1980 könne man heute belegen, dass Maschinen auch Arbeitsplätze überflüssig machten. „Das hatte Auswirkungen auf die Bäckereien“, sagt er. „Viele mussten schließen oder gingen in Großbetriebe über. Ab den 1990er Jahren war es dann wieder umgekehrt.“ Die Verbrauchereinstellung zu Produkten ändere sich mit jeder Generation. „Gebäcke sind eher regional, d.h. ich habe von dem Bäcker an der Ecke mein Brot, und ich weiß, da kommen die Eier und das Mehl aus der Region.“ Aus demselben Grund bevorzugen Kunden auch Plätzchen aus heimischer Herstellung. „Damit stellen die Bäcker ihre Kekse wieder selber her. Ab diesem Zeitpunkt haben wir wieder viele Keksmaschinen verkauft, obwohl wir ein Nischenmarkt sind.“ Der Kunde setze wieder auf Individualität mit eigenem Logokeks oder tradierten Gebäcken der Großvätergeneration und läute sozusagen ein Revival ein.
Tausende Maschinen stehen weltweit in Bäckereien und Konditoreien
Zuverlässigkeit ist das A und O, weiß Kalweit, denn Lieferschwierigkeiten aufgrund defekter Maschinen können einen Betrieb schnell in die Knie zwingen. „Die Konditoreien und Bäckereien heute sind sehr bestrebt, Maschinen mit hundertprozentigem Service zu kaufen oder die Gewissheit zu haben, dass die Maschinen nie kaputtgehen. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal, denn unsere Maschinen waren schon immer so konzipiert, die gingen nie kaputt. Wir sind mittlerweile nahezu einzigartig am Markt, betont der Firmeneigner. Das liege daran, dass der Markt zu klein und die Umsatzrendite für Neueinsteiger kein Geschäftsmodell sei. „Wir haben unsere Produkte auf den neuesten Stand gebracht und genießen gerade dieses Alleinstellungsmerkmal. Die Leute wissen, wenn du Janssen kaufst, brauchst du dich nicht mehr drum kümmern.“ Viele Tausende Krefelder Gebäckformer stehen weltweit in Bäckereien und Konditoreien, ca. 50% der Kundschaft kommt aus dem Ausland. „Das sind in der Regel Leute, die tradiert aus Deutschland kommen. Die sind nach Neuseeland, nach Guadeloupe, nach Amerika oder Australien ausgewandert und nutzen dort unsere Maschinen.“ Die internationalen Kunden werden dazu oft am Düsseldorfer Flughafen abgeholt und testen dann ihre mitgebrachten Rezepte im sogenannten Backlabor in Krefeld. „Natürlich haben wir auch Rezeptbücher mit Grundrezepten. Das sind Referenzteige, wo der Kunde schauen kann, ob sein Teig in der Rezeptur ähnlich ist“, erläutert Kalweit das Prozedere.
„Bei den Gebäcken kommt es auf die variablen Formwalzen an, die man innerhalb von Sekunden tauschen kann. Auch ganze Blechkuchenböden die sich an Standardgrößen orientieren, kann die Maschine erzeugen.“ Die Investition lohne sich, denn die Maschine sei sehr gut durchdacht und auch für die bildreich und gut erklärte Betriebsanleitung mit Erklärvideos erhalte die Firma immer ein sehr gutes Feedback.
Unternehmen erhält German Design Award
Neben der Funktionalität ist auch das Design ein wichtiger Erfolgsfaktor. Janssen hat im letzten Jahr den German Design Award verliehen bekommen. „Wir haben sogar mehrere international renommierte Preise bekommen“, freut sich Kalweit, „der Aspekt in diesem Falle war Design, Ergonomie, Hygiene und auch funktionale Eigenschaften der Maschine. Die Maschine muss immer gut bedienbar, die Handhabung niederschwellig sein. Alles muss aus dem bisher selbst Erlernten selbst erklärbar sein. Gleichzeitig muss es hygienisch und gut zu reinigen sein.“ Das sei in der Konstruktion schon fast ein Widerspruch, denn wenn etwas gut bedienbar sein solle, brauche es dementsprechend viele Federelemente, damit es möglichst leicht gehe. Aber ein Mehr an Bauteilen bedeute auch viele Schlitze, Kerben und Lücken, in denen sich Teigreste absetzen. Das kontaminiere dann die Maschine und es könnten Keime entstehen. „Dass wir das hingekriegt haben, hat die Designjury erkannt.“
Formwalzen sind das individuelle Geheimnis der Krefelder Manufaktur
Jeder Anbieter träumt von einem Alleinstellungsmerkmal, dass Janssens Maschinen durch die individuell hergestellten Formwalzen garantiert. „Es gibt wunderbare Webseiten belgischer Konditoren in Brüssel oder Antwerpen, die mit unseren Maschinen produzieren“, berichtet er begeistert, und in Deutschland arbeiten viele bekannte Bäckereien und Konditoreien mit Janssen-Gebäckformern und stellen hochwertige Produkte her. Die meisten Kunden haben Ihr eigenes Logo oder tradiertes Wappen. Diese Logos kann man in den Keks eingravieren und zu einer Tasse Kaffee reichen. Es gibt da sehr hochwertige Formen mit wunderbaren Ornamenten.“ Und auch die berühmte sächsische Porzellanmanufaktur Meißen stellt mit den Krefelder Maschinen in unternehmenseigenen Konditoreien ihre berühmte Schwertermarke für Torten her. Und dafür braucht man die Formwalzen. „Die kann ich innerhalb von einer Minute umbauen, d.h., der Kunde kauft die Maschine mit in der Regel drei bis zwölf Walzen. Für die grafischen Erfahrungen haben wir auch eine eigene Designabteilung, die dann die gewünschten Muster erzeugen, erste Musterkekse entwickeln und nach der Begutachtung in die Walzen eingravieren.“
Plagiate, ein Riesenproblem!
Erfolg ist immer auch ein zweischneidiges Schwert, er bringt Neider und Nachahmer auf den Plan. Eine ausländische Firma hat eine Maschine des deutschen Unternehmens exakt kopiert. Einen sicheren Schutz davor scheint es nicht zu geben. „In dem genannten Beispiel haben wir zudem den Fall, dass sie nicht nur die Maschine kopiert, sondern auch unsere YouTube-Filme exakt nachgestellt haben. Auch die Rezeptbücher stehen bei denen 1:1 auf der Webseite.“ Und da es sich um eine türkische Firma handelt, griffen auch EU-Richtlinien nicht, es sei ein rechtsfreier Raum.
„Wir stellen diese Maschine jetzt nicht mehr her und haben eine neue entwickelt. Die ist viel besser und kommt Ende des Jahres raus. Und das haben wir uns nun auch patentieren lassen“, lacht Kalweit bitter, denn auch eine Patentanmeldung bedeutet für Europa und die Vereinigten Staaten eine zusätzliche Unternehmerbelastung von einigen zigtausend Euro.
Langfristig überzeugt nur Qualität
„Mit den Großmaschinen machen wir den Umsatz und reinvestieren in weitere Entwicklungen“, sagt Kalweit. „Wir kreieren Kleingeräte, die wir auch immer wieder für Designpreise einreichen wollen, und gehen davon aus, dass die wieder kopiert werden. Und auch das werden wir wieder dulden“, erklärt er, denn damit zeige der Betrieb, welches Entwicklungspotential in ihm stecke. „Wenn es zu doll wird, werden wir natürlich juristische Schritte einleiten, da wir mittlerweile auch schutzrechtlich dazugelernt und investiert haben“.
Der versierte Industrial Designer bleibt mit seinen Innovationen immer am Zahn der Zeit. Laktosefreie oder glutenfreie Produkte, die eine neue Herausforderung an die Geräte stellen, bedenkt er und sein Team ebenso, wie die sich weiter entwickelnde Regionalisierung von Produkten, die Lieferkettenengpässe, die uns gerade im Zuge des Ukrainekrieges europaweit belasten, überflüssig machen könnten.
„Wir haben als Kleinunternehmen immer viel Wert auf sehr gut ausgebildete Mitarbeiter gelegt, die sofort auf höchstem Niveau, also Lebensmittelstandard, reagieren, entwickeln und sofort produzieren können. Wir wären vom Know-how her in der Lage, auf jedwede Änderung reagieren zu können. Und das ist die Strategie, von der wir denken, da kann man als Familienunternehmen auch für die nächste Generation bestehen.“ 2022 ist für Janssen auch ein Jubiläumsjahr. Das Familienunternehmen feiert 150-jähriges Bestehen.
Uwe Blass
Andreas Kalweit studierte nach einer Betriebsschlosser-Lehre Maschinenbau an der Hochschule Niederrhein, anschließend Industrial Design an der Universität GH Essen und schloss beide Studiengänge mit dem Diplom ab (Maschinenbau mit Auszeichnung). Seit 2012 ist er Professor für »Manufacturing & Material Science - Schwerpunkt Konstruktionstechnik und -systematik im Design« an der Bergischen Universität Wuppertal.