Notgeld: Ein Ei für 320 Milliarden Mark
Prof. Dr. Hans Frambach / Wirtschaftswissenschaft
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Ein Ei für 320 Millarden Mark

Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Hans Frambach über die Entwicklung des Notgeldes vor 100 Jahren.

Wie entsteht eine Inflation?

Frambach: Die Frage der Entstehung ist eine Frage nach den Ursachen. Die ökonomische Theorie unterscheidet erst einmal grundsätzlich mehrere Typen. Es gibt z.B. die sogenannte angebotsinduzierte Inflation. Dahinter stehen Gründe, die die Preise nach oben treiben, wie die Erhöhung der Faktorpreise, also für Energieträger, Rohstoffe, Löhne. Die gestiegenen Preise werden die Unternehmen auch immer an die Verbraucher weitergeben. Die Inflation wird hier also über das Angebot erzeugt. Die zweite Form, die eng damit zusammenhängt, ist die sogenannte importierte Inflation, das ist der Anstieg von Preisen der importierten Faktoren. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Ölkrise der Jahre 1973/74. Die Rohölpreise vervierfachten sich weltweit in kurzer Zeit. Weiter wird unterschieden in die nachfrageinduzierte Inflation, bei der die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen in höherem Ausmaß als das Angebot steigt und die Preise sich aus diesem Grund erhöhen. Schließlich haben wir noch die Erhöhung der Geldmenge. Würde die Geldmenge erhöht werden, ohne dass, vereinfacht gesagt, dem ein entsprechendes Gütervolumen entgegensteht, dann drückt sich das automatisch im Anstieg der Preise aus. Das war dann die Situation der Inflation vor 100 Jahren, die in die sogenannte Hyperinflation von 1923 mündete. Um die Ausgaben für und die Lasten des Ersten Weltkrieges bewältigen zu können, hatte die Reichsbank die Geldmenge erhöht, d.h. die Notenpresse wurde angeworfen, um dem Staat die entsprechende Liquidität zur Verfügung zu stellen. Die Geldreserven waren nach Ausbruch des Krieges 1914 bereits binnen weniger Tage verbraucht. Preissteigerungen waren die Folge, die 1923 ins Extrem führten. Ein berühmtes Beispiel ist das Briefporto: Anfang 1921 lag es bei 0,4 Mark, ein Jahr später bei 2 Mark, im Januar 1923 stieg es auf 50 Mark und im Laufe des Jahres wurde die Millionengrenze überschritten. Erst im August 1924 endete dieses Chaos mit der „Währungsreform“ in Form der Einführung der Reichsmark.

Während des Ersten Weltkrieges ging den Deutschen sozusagen das Kleingeld aus, da man alle Metalle für die Rüstung benötigte, die Inflation stieg und um die Löhne noch auszahlen zu können, brachten viele Kommunen das sogenannte Notgeld heraus. Um welchen Geldersatz handelt es sich dabei?

Frambach: Notgeld ist ein Geldersatz, der in schlimmen Zeiten, wie etwa Kriegen oder tiefgreifenden Krisen, zum Einsatz gelangen kann, wenn das Vertrauen in das offizielle Geld etwa aufgrund einer extremen Geldentwertung nicht mehr gegeben ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg z.B. wurden Zigaretten wie eine Währung als zahlungskräftiges Tauschmittel gehandelt. Der US-Dollar galt als eine Parallelwährung in sozialistischen Staaten vor und während der Wendezeit. Generell können auch wertvolle Waren wie Getreide oder Brot zeitweise als Währungsersatz und damit als Notgeld dienen. Ein theoretischer, nie realisierter Vorläufer der Rentenmark zum Aufhalten der Hyperinflation war die so genannte „Roggenmark“. Ein anderer Gedankenansatz war Kalisalz, ein essentieller Bestandteil für die Wirtschaft. Aus dem Jahr 1923 ist bekannt, dass etwa die neu gegründeten Aluminiumwalzwerke Baden-Württemberg Notscheine aus bedruckter Alufolie herstellten. Der Fantasie über den Gegenstand und die Form des Notgeldes waren keine Grenzen gesetzt, es diente praktisch als Zahlungsmittel.
Es gab insgesamt vier Perioden des deutschen Notgeldes während und nach dem Ersten Weltkrieg. Die erste Periode nannte man die Periode der kleinen Nominale. In dieser Zeit wurden Edelmetalle für die Rüstung benötigt, aber viele Menschen horteten 50 Pfennig- und 1 Markstücke, so dass bereits 1914 in Ostpreußen die ersten Notgeldscheine ausgegeben wurden. Bis 1915 gab es dann insgesamt 450 Stellen im ganzen Deutschen Reich, die Notgeld verteilen durften. Von 1916–21 kam dann die zweite Periode, in der wegen Rohstoffmangel nunmehr auch unedle Scheidemünzen knapp wurden. Die zunehmende Befürchtung eines verlorenen Krieges führte zu weiterer Hortung von Bargeld, so dass die Regierung insgesamt 580 Banken, Sparkassen, Städte, Kreise, aber auch Privatfirmen beauftragte, den Geldbedarf mit eigenen Ausgaben zu gewährleisten. Diese für den Geldumlauf bestimmten „Verkehrsausgaben“ sollten, so das ursprüngliche Ziel, eine bis zum 1. Februar 1919 begrenzte Gültigkeit haben. Allerdings kam es anders, die Theorie wurde von der Praxis überholt. Neben den Notgeldscheinen gab es auch andere Formen, die zu gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt wurden, z.B. Zinskupons von Kriegsanleihen. Die dritte Periode ging dann von 1922–23 und die letzte Periode von August 1923 mit der Hyperinflatiion bis 1924.

Neben Geldformen gab es aber auch andere Materialien, mit denen man bezahlen konnte. Welche waren das?

Frambach: Abgesehen von den Geldformen auf bedrucktem Papier oder Fremdwährungen wie dem Dollar kamen Materialien zum Einsatz, denen die Menschen einen Wert beimaßen, die tauschbar waren. Wertvolle Güter waren etwa Getreide, Brot, Zucker, Holz, Kohle, aber auch Materialien wie Besteck, Porzellan, Pappe, Leder, Presskohle, Seide oder Leinen. All diese Dinge wurden getauscht und dienten somit als eine andere Geldform.

Notgeld

Im Jahr 1921 konnte man Geldscheine u.a. im Wert von 100 Mio. Mark in den Händen halten. Wie kamen solche Summen auf einen Geldschein und wer brachte sie in Umlauf?

Frambach: Zuständig für die Ausgabe von Notengeld war die Reichsbank, also die Zentralnotenbank des Deutschen Reiches (1876-1945) mit Sitz in Berlin. Sie wurde grundsätzlich von der Reichsregierung über das Finanzministerium beauftragt. Weitere vier große Banken, die Badische Bank, die Bayerische Notenbank, die Sächsische Bank zu Dresden und die Württembergische Staatsbank, hatten bereits lange vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in gewissem Umfang das Notenprivileg. In Kriegszeiten wurden dann auch Banken, Sparkassen, Städte, Gemeinden, Kreisen und Privatfirmen von der Regierung beauftragt, „gesetzliche Zahlungsmittel“ als Notgeld in Umlauf zu bringen. So tätigten hunderte von Banken, Sparkassen, Städten etc. im Auftrag der Staatsbank den Geldumlauf für bestimmte „Verkehrsausgaben“, was diese nicht umsonst taten – ein scheinbar einträgliches Geschäft, das später sogar besteuert werden sollte, wozu es aber nie kam.

Notgeld

An vielen Orten entstand lokales Notgeld mit z. T. künstlerischen und stadthistorischen Motiven, so z. B. für Münster. Diese Ausgaben werden als Serienscheine bezeichnet und 1922 bereits verboten. Machte da zwischenzeitlich jeder, was er wollte?

Frambach: Serienscheine sind Notgeldscheine aus Papier, die in Deutschland in der Inflationszeit von 1917 bis 1922 von Städten und Gemeinden, aber auch von Privatpersonen als Ersatz für das fehlende Kleingeld gedruckt und in den Umlauf gebracht wurden. Ihre Gültigkeit war begrenzt und betrug normalerweise auf Messen oder sonstigen Veranstaltungen nur wenige Tage. An vielen Orten entstand lokales Notgeld mit z. T. künstlerischen und stadthistorischen Motiven. Diese sogenannten Serienscheine kamen oft gar nicht in Umlauf und wurden vielfach nur für Sammler gedruckt. Beispiele für Serienscheine sind die Berliner Stadtkassenscheine von 1921, da gab es für jeden Stadtteil einen Schein im Wert von 50 Pfennig, oder Eisenach 1921 mit „Luther auf der Wartburg“. Unter diesen finden sich manchmal wirklich kleine Kunstwerke.
Die Ausgabe von Serienscheinen und anderem Notgeld wurde per Reichsgesetz vom 17. Juli 1922 verboten. Durch einen Streik der Arbeiter der Reichsdruckerei im gleichen Monat entstand jedoch ein erneuter akuter Geldmangel, so dass das Verbot überhaupt nicht durchzusetzen war. Hier wird übrigens der Beginn der dritten Periode des Notgeldes datiert. So wurden die ersten Banken und Sparkassen wieder beauftragt, Notgeld auszugeben (meist Scheine zu 500 und 1000 Mark). Ab 18. September 1922 genehmigte die Reichregierung per Erlass des Finanzministers erneut die Ausgabe von Notgeld, wodurch diese Ausgaben einen offiziellen Charakter erhielten. Insgesamt 715 ausgebende Stellen beteiligten sich an diesen Notgeldemissionen. Ab Februar 1923 wurden diese Geldscheine in den meisten Landesteilen dann wieder eingezogen.

Im November 1923 bestanden nach Schätzungen 84 % des Geldscheinumlaufs aus Notgeld. Was konnte man denn davon überhaupt kaufen?

Frambach: Im August 1923 traten neue Vorschriften in Kraft und das ist nun der Beginn der vierten Periode. Geldscheine und Schecks wurden gedruckt, deren Nennwert etwas unter dem Nennwert der gleichzeitig kursierenden Reichsbanknoten lagen. Zunächst 100.000 bis 5 Millionen Mark, vereinzelt auch bis 100 Billionen Mark. Nur für den 15. November 1923 sind zuverlässige Schätzungen des Bargeldumlaufs vorhanden. Vom gesamten Bargeld im Wert von 988 Millionen Goldmark, was einem ungefähren Wert von fast 93 Trillionen (9,3 x1019) Papiermark entspricht, liefen annährend 155 Millionen Goldmark in Reichsbanknoten um, woraus gefolgert wird, dass 84,5% des Geldscheinumlaufs aus Notgeld bestand.
Was konnte man von dem hyperinflationären Notgeld kaufen? Im Grunde all das, was Menschen gegen das Notgeld abzugeben bereit waren. Im Wesentlichen ging es um Güter des täglichen Bedarfs, vor allem Grundnahrungsmittel, denn die Menschen hungerten. Aber das große Problem mit der Hyperinflation war, dass sich von einem Tag auf den anderen der Geldwert massiv veränderte. Man konnte am nächsten Tag nicht mehr das kaufen, was am Vorherigen noch zu erstehen war. Ein Beispiel: Am 9. Juni 1923 kostete in Berlin ein Ei 800 Mark, am 2. Dezember bereits 320 Milliarden Mark. Die Menschen rechneten in Bündeln statt Scheinen. Geld wurde in Schubkarren transportiert, Bündel als Heizmaterial zweckentfremdet, die Rückseite als Schmierpapier benutzt, Wände mit Geldscheinen tapeziert usw. Das Geld war nichts mehr wert.

Im November 1923 endete die Zeit der kunterbunten Scheine als Zahlungsmittel durch die Einführung der Rentenmark. Obwohl sie bis 1948 bestand, war sie aber gar kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern eine Übergangswährung. Was bedeutet das?

Frambach: Offiziell war die Rentenmark von 1923 bis 1948 als eine sogenannte grundschuldgestützte Übergangswährung in Deutschland gültig. Zur Akzeptanz trug stark ihre vermeintliche, aber nicht wirkliche „Deckung“ durch Grund und Boden bei. Tatsächlich blieb die Rentenmark ausschließlich deshalb wertstabil, weil sie knappgehalten wurde. Seit dem 1. November 1923 gab die Deutsche Rentenbank neue Banknoten an die Bevölkerung parallel zu den umlaufenden Milliarden- und Billionen-Papiermark-Nominalen und den Notgeldbanknoten aus. Die Rentenmark war kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern eine Inhaberschuldverschreibung der Rentenbank. Der Wechselkurs zur Papiermark wurde mit 1:1 Billion festgesetzt, und zwar genau am 20. November 1923 per Festlegung durch die Reichsbank, als der Devisenkurs zu einem US Dollar 4,2 Billionen Papiermark betrug. Das entsprach der Vorkriegs-Goldmarkparität zum Golddollar. Die Rentenmark wurde von der Bevölkerung sofort akzeptiert wahrscheinlich auch, weil man nach diesen Jahren des Chaos die Hoffnung schöpfte, dass nun etwas Verlässliches da sei. Die Inflation stoppte jedenfalls schlagartig. Man sprach vom „Wunder der Rentenmark“.
Am 30. August 1924 wurde zusätzlich zur Rentenmark die Reichsmark eingeführt. Sie galt zur Rentenmark im Verhältnis 1:1. Die Reichsmark hat also nicht, wie oft behauptet, die Rentenmark ersetzt. Vielmehr konnte weiterhin mit beiden Währungen bezahlt werden. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Währungen bestand in ihrer unterschiedlich ausgestalteten Deckung. Mit Einführung der Reichsmark wurde die Verwendung der Bezeichnung „Rentenmark“ – trotz des Umlaufs beider – in allen amtlichen Dokumenten gesetzlich verboten. Auf keinem Rentenbankschein sind deutsche Hoheitssymbole abgebildet. Die Rentenmark bestand über das Jahr 1924 hinaus fort und war bis zu den Währungsreformen 1948 in allen alliierten Besatzungszonen gültig. Ursprünglich sollte die Rentenmark bis spätestens 1934 vollständig durch die Reichsmark ersetzt werden, was jedoch nicht umgesetzt wurde.

Mit der Währungsreform 1948 wurde dann die Deutsche Mark eingeführt, die bis zur Umstellung auf den Euro Gültigkeit hatte. Immerhin, noch heute liegen mindestens 12,4 Milliarden D-Mark in Schubladen oder Kellern herum. Ist das das neue Notgeld für die, die dem Euro nicht trauen?

Frambach: Kurze Antwort: Ja, sicherlich hoffen noch einige auf die Rückkehr der Deutschen Mark oder sehen sich mit ihren gehaltenen Beständen gut vorbereitet. Andere wiederum halten das Geld aus Sentimentalität und Erinnerung oder der spekulativen Hoffnung auf zukünftige Wertsteigerung.
Die ausführlichere Antwort: Die D-Mark war in der BRD von 1948 bis 1998 als Buchgeld, bis 2001 nur noch als Bargeld als die offizielle Währung gültig. Die Deutsche Mark löste die Reichsmark als gesetzliche Währungseinheit ab, dies auch über die Gründung der BRD am 23. Mai 1949 einschließlich West-Berlin hinausgehend. Nach Errichtung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wurde die Deutsche Mark am 1. Januar 1999 als Buchgeld und am 1. Januar 2002 als Bargeld durch den Euro ersetzt.
Am 31. Juli 2021 waren nach Angaben der Deutschen Bundesbank noch DM-Banknoten im Nennwert von 5,77 Mrd. DM und Münzen im Wert von 6,61 Mrd. DM, zusammen also 12,38 Mrd. DM nicht umgetauscht. Das entspricht 5,1 % der Umlaufmenge des Jahres 2000 von 244,8 Mrd. DM.
Die Deutsche Mark wird von vielen Deutschen im Vergleich zum Euro nach wie vor als „stärkere“ Währung angesehen. Das liegt auch daran, dass die Deutsche Mark als Symbol für das Wirtschaftswunder in Deutschland galt, oder an der Mär „Euro heißt Teuro“, weil viele Güter heute scheinbar das in Euro kosten, was sie damals in DM gekostet haben. Dabei wird aber nicht die jährliche Teuerungsrate berücksichtigt, ein Effekt, der auch zu DM-Zeiten bestand.
Nach der Euro-Einführung gab es zwar vielfach hohe Preissteigerungen wie z.B. Bienenhonig von 2001 bis 2003 um 39 %, Eier um 15 % oder Kinobesuche um 8%, wohingegen bei anderen Güter wie Mieten oder Versicherungen sich Preise kaum veränderten oder sogar sanken. So erniedrigten sich nach Einführung des Euro etwa die Preise für Energie, Telekommunikation und Computer. Heute scheint mir die Diskussion um die Abschaffung des Euro weitestgehend vom Tisch zu sein.
Durch die unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Faktoren (im Warenkorb) und die gegenläufige Entwicklung der Preise in verschiedenen Bereichen, ist die gesamte Inflationsrate mit durchschnittlich unter 2 % seit der Währungsunion relativ gering. Erst in den letzten Wochen der Coronazeit haben wir es mit höheren Preissteigerungen zu tun, die derzeit bei 3,9% liegen. Seit der Einführung des Euro gesehen, ist das jedoch die Ausnahme. Bislang gehört der Euro zu den stabilsten Währungen und ist der D-Mark in dieser Hinsicht überlegen.

Uwe Blass (Gespräch vom 30.09.2021)

Prof. Dr. Hans Frambach leitet den Arbeitsbereich Mikroökonomie und Geschichte des ökonomischen Denkens in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft, Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität.

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